u. s. w. glauben, sie handeln nach inneren Eingebungen oder Gewohnheiten." Jn diesem Sinne sind wir alle Epikuräer und Egoisten, denn wir thun nur das, was uns angenehm oder vortheilhaft erscheint; wir folgen meist blindlings den Anstößen, welche uns die Beschaffen- heit unserer inneren Natur oder die äußeren Umstände ertheilen, unbekümmert um das, was Moral oder Sitte spricht. Diese Anstöße aber beruhen auf eben solchen Naturnothwendigkeiten, wie der ganze Bau der Welt. Die interessante und neue Wissenschaft der Statistik hat be- stimmte Naturgesetze in allen jenen Erscheinungen nach- gewiesen, welche man bisher für Produkte des Zufalls, des freien Willens hielt. -- Der Eine besitzt einen aus- gezeichneten Hang zum Wohlwollen; Alles, was er thut, zeugt von dieser Charaktereigenthümlichkeit, er ist mild- thätig, verträglich, von Allen geliebt, und sein Genuß besteht darin, diesem Hange nachzuleben. Des Zweiten Charakter neigt zur Gewissenhaftigkeit; man wird ihn in allen Lagen des Lebens seinen Verpflichtungen auf's Genaueste nachkommen und vielleicht seinem Leben frei- willig ein Ende machen sehen, wenn ihm die Möglichkeit dazu benommen ist. Jm Gegensatz dazu verleitet den Leichtsinnigen seine geistige Disposition zu Handlungen, die dem Begriff des Schlechten nahe kommen, ja den- selben erreichen. Ein Vierter hat einen heftigen, zer- störungssüchtigen Charakter, den nur mit äußerster Mühe
u. ſ. w. glauben, ſie handeln nach inneren Eingebungen oder Gewohnheiten.‟ Jn dieſem Sinne ſind wir alle Epikuräer und Egoiſten, denn wir thun nur das, was uns angenehm oder vortheilhaft erſcheint; wir folgen meiſt blindlings den Anſtößen, welche uns die Beſchaffen- heit unſerer inneren Natur oder die äußeren Umſtände ertheilen, unbekümmert um das, was Moral oder Sitte ſpricht. Dieſe Anſtöße aber beruhen auf eben ſolchen Naturnothwendigkeiten, wie der ganze Bau der Welt. Die intereſſante und neue Wiſſenſchaft der Statiſtik hat be- ſtimmte Naturgeſetze in allen jenen Erſcheinungen nach- gewieſen, welche man bisher für Produkte des Zufalls, des freien Willens hielt. — Der Eine beſitzt einen aus- gezeichneten Hang zum Wohlwollen; Alles, was er thut, zeugt von dieſer Charaktereigenthümlichkeit, er iſt mild- thätig, verträglich, von Allen geliebt, und ſein Genuß beſteht darin, dieſem Hange nachzuleben. Des Zweiten Charakter neigt zur Gewiſſenhaftigkeit; man wird ihn in allen Lagen des Lebens ſeinen Verpflichtungen auf’s Genaueſte nachkommen und vielleicht ſeinem Leben frei- willig ein Ende machen ſehen, wenn ihm die Möglichkeit dazu benommen iſt. Jm Gegenſatz dazu verleitet den Leichtſinnigen ſeine geiſtige Diſpoſition zu Handlungen, die dem Begriff des Schlechten nahe kommen, ja den- ſelben erreichen. Ein Vierter hat einen heftigen, zer- ſtörungsſüchtigen Charakter, den nur mit äußerſter Mühe
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u. ſ. w. glauben, ſie handeln nach inneren Eingebungen
oder Gewohnheiten.‟ Jn dieſem Sinne ſind wir alle
Epikuräer und Egoiſten, denn wir thun nur das, was
uns angenehm oder vortheilhaft erſcheint; wir folgen
meiſt blindlings den Anſtößen, welche uns die Beſchaffen-
heit unſerer inneren Natur oder die äußeren Umſtände
ertheilen, unbekümmert um das, was Moral oder Sitte
ſpricht. Dieſe Anſtöße aber beruhen auf eben ſolchen
Naturnothwendigkeiten, wie der ganze Bau der Welt.
Die intereſſante und neue Wiſſenſchaft der Statiſtik hat be-
ſtimmte Naturgeſetze in allen jenen Erſcheinungen nach-
gewieſen, welche man bisher für Produkte des Zufalls,
des freien Willens hielt. — Der Eine beſitzt einen aus-
gezeichneten Hang zum Wohlwollen; Alles, was er thut,
zeugt von dieſer Charaktereigenthümlichkeit, er iſt mild-
thätig, verträglich, von Allen geliebt, und ſein Genuß
beſteht darin, dieſem Hange nachzuleben. Des Zweiten
Charakter neigt zur Gewiſſenhaftigkeit; man wird ihn
in allen Lagen des Lebens ſeinen Verpflichtungen auf’s
Genaueſte nachkommen und vielleicht ſeinem Leben frei-
willig ein Ende machen ſehen, wenn ihm die Möglichkeit
dazu benommen iſt. Jm Gegenſatz dazu verleitet den
Leichtſinnigen ſeine geiſtige Diſpoſition zu Handlungen,
die dem Begriff des Schlechten nahe kommen, ja den-
ſelben erreichen. Ein Vierter hat einen heftigen, zer-
ſtörungsſüchtigen Charakter, den nur mit äußerſter Mühe
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/269>, abgerufen am 25.11.2024.
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