Retorte bezeichnen, in welcher die sich begegnenden Stoffe ganz nach den allgemeinen Gesetzen chemischer Affinität sich zersetzen, verbinden u. s. w. Ein in den Magen eingebrachtes Gift kann durch ein chemisches Gegengift in derselben Weise entkräftet werden, als hätte man diese Procedur außerhalb desselben vorgenommen; ein krank- hafter, in demselben angesammelter Stoff wird durch eingeführte chemische Mittel ebenso neutralisirt und zer- stört, wie in jedem beliebigen Gefäß. Die chemischen Veränderungen, welche die Nahrungsmittel bei ihrem Aufenthalt im Magen und Darmkanal erleiden, hat man in der jüngsten Zeit meist bis in ihre letzten Einzelheiten hinein kennen gelernt und hat des Näheren erkannt, auf welche Weise sie sich in die Gewebe und Stoffe des Körpers verwandeln. Ebenso weiß man, daß ihre Grundelemente genau in derselben Menge und auf verschiedenen Wegen aus dem Körper wieder austreten, wie sie in denselben eingetreten sind, theils unverändert, theils in anderer Form und Zusammensetzung. Kein einziges Stoffatom geht auf diesem Wege verloren oder wird ein anderes. Die Verdauung ist ein rein chemischer Akt. Das Näm- lich wissen wir von der Wirkung der Arzneien; diese ist, wo nicht zugleich mechanische Kräfte mit in's Spiel kommen, stets eine rein chemische. Alle Arzneien, welche in den Flüssigkeiten des thierischen Organismus unlöslich
Retorte bezeichnen, in welcher die ſich begegnenden Stoffe ganz nach den allgemeinen Geſetzen chemiſcher Affinität ſich zerſetzen, verbinden u. ſ. w. Ein in den Magen eingebrachtes Gift kann durch ein chemiſches Gegengift in derſelben Weiſe entkräftet werden, als hätte man dieſe Procedur außerhalb deſſelben vorgenommen; ein krank- hafter, in demſelben angeſammelter Stoff wird durch eingeführte chemiſche Mittel ebenſo neutraliſirt und zer- ſtört, wie in jedem beliebigen Gefäß. Die chemiſchen Veränderungen, welche die Nahrungsmittel bei ihrem Aufenthalt im Magen und Darmkanal erleiden, hat man in der jüngſten Zeit meiſt bis in ihre letzten Einzelheiten hinein kennen gelernt und hat des Näheren erkannt, auf welche Weiſe ſie ſich in die Gewebe und Stoffe des Körpers verwandeln. Ebenſo weiß man, daß ihre Grundelemente genau in derſelben Menge und auf verſchiedenen Wegen aus dem Körper wieder austreten, wie ſie in denſelben eingetreten ſind, theils unverändert, theils in anderer Form und Zuſammenſetzung. Kein einziges Stoffatom geht auf dieſem Wege verloren oder wird ein anderes. Die Verdauung iſt ein rein chemiſcher Akt. Das Näm- lich wiſſen wir von der Wirkung der Arzneien; dieſe iſt, wo nicht zugleich mechaniſche Kräfte mit in’s Spiel kommen, ſtets eine rein chemiſche. Alle Arzneien, welche in den Flüſſigkeiten des thieriſchen Organismus unlöslich
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Retorte bezeichnen, in welcher die ſich begegnenden Stoffe
ganz nach den allgemeinen Geſetzen chemiſcher Affinität
ſich zerſetzen, verbinden u. ſ. w. Ein in den Magen
eingebrachtes Gift kann durch ein chemiſches Gegengift
in derſelben Weiſe entkräftet werden, als hätte man dieſe
Procedur außerhalb deſſelben vorgenommen; ein krank-
hafter, in demſelben angeſammelter Stoff wird durch
eingeführte chemiſche Mittel ebenſo neutraliſirt und zer-
ſtört, wie in jedem beliebigen Gefäß. Die chemiſchen
Veränderungen, welche die Nahrungsmittel bei ihrem
Aufenthalt im Magen und Darmkanal erleiden, hat man
in der jüngſten Zeit meiſt bis in ihre letzten Einzelheiten
hinein kennen gelernt und hat des Näheren erkannt, auf
welche Weiſe ſie ſich in die Gewebe und Stoffe des Körpers
verwandeln. Ebenſo weiß man, daß ihre Grundelemente
genau in derſelben Menge und auf verſchiedenen Wegen
aus dem Körper wieder austreten, wie ſie in denſelben
eingetreten ſind, theils unverändert, theils in anderer
Form und Zuſammenſetzung. Kein einziges Stoffatom
geht auf dieſem Wege verloren oder wird ein anderes.
Die Verdauung iſt ein rein chemiſcher Akt. Das Näm-
lich wiſſen wir von der Wirkung der Arzneien; dieſe iſt,
wo nicht zugleich mechaniſche Kräfte mit in’s Spiel
kommen, ſtets eine rein chemiſche. Alle Arzneien, welche
in den Flüſſigkeiten des thieriſchen Organismus unlöslich
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/241>, abgerufen am 24.11.2024.
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