und Thatenlosigkeit zu Grunde gehen. Schon Lessing verknüpfte mit dieser Jdee eine solche Vorstellung von Langeweile, daß ihm "Angst und Wehe dabei ankam." Wollte man sich aber damit begnügen, ein immerdauern- des, wenn auch vollkommeneres Streben in einem anderen Leben anzunehmen, so wäre für die letzte Frage von der Endlichkeit oder Unendlichkeit des menschlichen Geistes gar nichts gewonnen, sondern die Entscheidung nur um einige Zeitspannen weiter hinausgerückt; das zweite Leben wäre eine vermehrte und verbesserte Wiederholung des ersten, aber mit denselben Grundmängeln, mit denselben Widersprüchen, mit derselben endlichen Resultatlosigkeit. Aber wie der angehende Staats-Aspirant lieber eine Anstellung auf unbestimmte Zeit, als gar keine, annimmt, so klammern sich Tausende und aber Tausende in geistiger Beschränktheit an eine unbestimmte und ungewisse Aus- sicht auf eine problematische ewige oder zeitliche Fort- dauer. -- Solche Philosophen endlich, welche in der Frage von der individuellen Unsterblichkeit sich nicht ent- blöden, die philosophische Denkweise, mit der sie sonst so sehr sich brüsten, gradezu an den Nagel zu hängen und an eine unbestimmte Uebersinnlichkeit zu appelliren, verdienen kaum eine Berücksichtigung. So decretirt der Philosoph Fichte: "Die unendliche Fortdauer ist aus bloßen Naturbedingungen nicht erklärlich, braucht es aber auch nicht zu sein, weil sie über alle Natur hinausliegt.
und Thatenloſigkeit zu Grunde gehen. Schon Leſſing verknüpfte mit dieſer Jdee eine ſolche Vorſtellung von Langeweile, daß ihm „Angſt und Wehe dabei ankam.‟ Wollte man ſich aber damit begnügen, ein immerdauern- des, wenn auch vollkommeneres Streben in einem anderen Leben anzunehmen, ſo wäre für die letzte Frage von der Endlichkeit oder Unendlichkeit des menſchlichen Geiſtes gar nichts gewonnen, ſondern die Entſcheidung nur um einige Zeitſpannen weiter hinausgerückt; das zweite Leben wäre eine vermehrte und verbeſſerte Wiederholung des erſten, aber mit denſelben Grundmängeln, mit denſelben Widerſprüchen, mit derſelben endlichen Reſultatloſigkeit. Aber wie der angehende Staats-Aſpirant lieber eine Anſtellung auf unbeſtimmte Zeit, als gar keine, annimmt, ſo klammern ſich Tauſende und aber Tauſende in geiſtiger Beſchränktheit an eine unbeſtimmte und ungewiſſe Aus- ſicht auf eine problematiſche ewige oder zeitliche Fort- dauer. — Solche Philoſophen endlich, welche in der Frage von der individuellen Unſterblichkeit ſich nicht ent- blöden, die philoſophiſche Denkweiſe, mit der ſie ſonſt ſo ſehr ſich brüſten, gradezu an den Nagel zu hängen und an eine unbeſtimmte Ueberſinnlichkeit zu appelliren, verdienen kaum eine Berückſichtigung. So decretirt der Philoſoph Fichte: „Die unendliche Fortdauer iſt aus bloßen Naturbedingungen nicht erklärlich, braucht es aber auch nicht zu ſein, weil ſie über alle Natur hinausliegt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0226"n="206"/>
und Thatenloſigkeit zu Grunde gehen. Schon <hirendition="#g">Leſſing</hi><lb/>
verknüpfte mit dieſer Jdee eine ſolche Vorſtellung von<lb/>
Langeweile, daß ihm „Angſt und Wehe dabei ankam.‟<lb/>
Wollte man ſich aber damit begnügen, ein immerdauern-<lb/>
des, wenn auch vollkommeneres Streben in einem anderen<lb/>
Leben anzunehmen, ſo wäre für die letzte Frage von der<lb/>
Endlichkeit oder Unendlichkeit des menſchlichen Geiſtes<lb/>
gar nichts gewonnen, ſondern die Entſcheidung nur um<lb/>
einige Zeitſpannen weiter hinausgerückt; das zweite Leben<lb/>
wäre eine vermehrte und verbeſſerte Wiederholung des<lb/>
erſten, aber mit denſelben Grundmängeln, mit denſelben<lb/>
Widerſprüchen, mit derſelben endlichen Reſultatloſigkeit.<lb/>
Aber wie der angehende Staats-Aſpirant lieber eine<lb/>
Anſtellung auf unbeſtimmte Zeit, als gar keine, annimmt,<lb/>ſo klammern ſich Tauſende und aber Tauſende in geiſtiger<lb/>
Beſchränktheit an eine unbeſtimmte und ungewiſſe Aus-<lb/>ſicht auf eine problematiſche ewige oder zeitliche Fort-<lb/>
dauer. — Solche Philoſophen endlich, welche in der<lb/>
Frage von der individuellen Unſterblichkeit ſich nicht ent-<lb/>
blöden, die philoſophiſche Denkweiſe, mit der ſie ſonſt<lb/>ſo ſehr ſich brüſten, gradezu an den Nagel zu hängen<lb/>
und an eine unbeſtimmte Ueberſinnlichkeit zu appelliren,<lb/>
verdienen kaum eine Berückſichtigung. So decretirt der<lb/>
Philoſoph <hirendition="#g">Fichte:</hi>„Die unendliche Fortdauer iſt aus<lb/>
bloßen Naturbedingungen nicht erklärlich, braucht es aber<lb/>
auch nicht zu ſein, weil ſie über alle Natur hinausliegt.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[206/0226]
und Thatenloſigkeit zu Grunde gehen. Schon Leſſing
verknüpfte mit dieſer Jdee eine ſolche Vorſtellung von
Langeweile, daß ihm „Angſt und Wehe dabei ankam.‟
Wollte man ſich aber damit begnügen, ein immerdauern-
des, wenn auch vollkommeneres Streben in einem anderen
Leben anzunehmen, ſo wäre für die letzte Frage von der
Endlichkeit oder Unendlichkeit des menſchlichen Geiſtes
gar nichts gewonnen, ſondern die Entſcheidung nur um
einige Zeitſpannen weiter hinausgerückt; das zweite Leben
wäre eine vermehrte und verbeſſerte Wiederholung des
erſten, aber mit denſelben Grundmängeln, mit denſelben
Widerſprüchen, mit derſelben endlichen Reſultatloſigkeit.
Aber wie der angehende Staats-Aſpirant lieber eine
Anſtellung auf unbeſtimmte Zeit, als gar keine, annimmt,
ſo klammern ſich Tauſende und aber Tauſende in geiſtiger
Beſchränktheit an eine unbeſtimmte und ungewiſſe Aus-
ſicht auf eine problematiſche ewige oder zeitliche Fort-
dauer. — Solche Philoſophen endlich, welche in der
Frage von der individuellen Unſterblichkeit ſich nicht ent-
blöden, die philoſophiſche Denkweiſe, mit der ſie ſonſt
ſo ſehr ſich brüſten, gradezu an den Nagel zu hängen
und an eine unbeſtimmte Ueberſinnlichkeit zu appelliren,
verdienen kaum eine Berückſichtigung. So decretirt der
Philoſoph Fichte: „Die unendliche Fortdauer iſt aus
bloßen Naturbedingungen nicht erklärlich, braucht es aber
auch nicht zu ſein, weil ſie über alle Natur hinausliegt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/226>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.