"Jch will zur Ruh' und sterben jetzt im Schlaf -- "Denn Schlaf ist Tod. Hinweg, o Seele, fliehe "Und schwebe ob dem ruhenden Gerüst, "Das leblos lebt, und schütz' und hüte es "Vor der heimtück'schen Nacht, daß sie mich wieder "Heraus dem Leben gibt, etc." --
Gegen diese ganze Anschauung hat man die Träume als faktischen Gegenbeweis geltend zu machen versucht und behauptet, dieselben zeigten, daß der Geist auch im Schlafe, wenn auch in einer untergeordneten Weise, thätig sei. Dieser ganze Einwand beruht auf einem that- sächlichen Jrrthum. Es ist bekannt genug, daß die Träume nicht den Zustand des eigentlichen Schlafs, sondern nur der Uebergangszeit zwischen Schlaf und Wachen, also eine Art Halbwachen bezeichnen. Diese Bemerkung kann jeder aufmerksame Beobachter an sich selbst machen. Ganz gesunde Menschen kennen nicht einmal diesen Ueber- gang, sie träumen bekanntlich überhaupt nicht. Der tiefe Schlaf kennt keinen Traum, und ein aus solchem Zustand plötzlich aufgerüttelter Mensch besitzt gewöhnlich eine zeitlang nach dem Erwecken sowenig den Gebrauch seiner geistigen Kräfte, daß dieser Zustand als criminelle Unzurechnungsfähigkeit bedingend angesehen wird, indem der Uebergang aus dem einen Zustand in den andern allzu schroff und unvermittelt ist. -- Noch mehr als der Schlaf sind gewisse krankhafte Zustände geeignet, diese Vernichtbarkeit unsers geistigen Wesens
„Jch will zur Ruh’ und ſterben jetzt im Schlaf — „Denn Schlaf iſt Tod. Hinweg, o Seele, fliehe „Und ſchwebe ob dem ruhenden Gerüſt, „Das leblos lebt, und ſchütz’ und hüte es „Vor der heimtück’ſchen Nacht, daß ſie mich wieder „Heraus dem Leben gibt, ꝛc.‟ —
Gegen dieſe ganze Anſchauung hat man die Träume als faktiſchen Gegenbeweis geltend zu machen verſucht und behauptet, dieſelben zeigten, daß der Geiſt auch im Schlafe, wenn auch in einer untergeordneten Weiſe, thätig ſei. Dieſer ganze Einwand beruht auf einem that- ſächlichen Jrrthum. Es iſt bekannt genug, daß die Träume nicht den Zuſtand des eigentlichen Schlafs, ſondern nur der Uebergangszeit zwiſchen Schlaf und Wachen, alſo eine Art Halbwachen bezeichnen. Dieſe Bemerkung kann jeder aufmerkſame Beobachter an ſich ſelbſt machen. Ganz geſunde Menſchen kennen nicht einmal dieſen Ueber- gang, ſie träumen bekanntlich überhaupt nicht. Der tiefe Schlaf kennt keinen Traum, und ein aus ſolchem Zuſtand plötzlich aufgerüttelter Menſch beſitzt gewöhnlich eine zeitlang nach dem Erwecken ſowenig den Gebrauch ſeiner geiſtigen Kräfte, daß dieſer Zuſtand als criminelle Unzurechnungsfähigkeit bedingend angeſehen wird, indem der Uebergang aus dem einen Zuſtand in den andern allzu ſchroff und unvermittelt iſt. — Noch mehr als der Schlaf ſind gewiſſe krankhafte Zuſtände geeignet, dieſe Vernichtbarkeit unſers geiſtigen Weſens
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„Jch will zur Ruh’ und ſterben jetzt im Schlaf —
„Denn Schlaf iſt Tod. Hinweg, o Seele, fliehe
„Und ſchwebe ob dem ruhenden Gerüſt,
„Das leblos lebt, und ſchütz’ und hüte es
„Vor der heimtück’ſchen Nacht, daß ſie mich wieder
„Heraus dem Leben gibt, ꝛc.‟ —
Gegen dieſe ganze Anſchauung hat man die Träume
als faktiſchen Gegenbeweis geltend zu machen verſucht
und behauptet, dieſelben zeigten, daß der Geiſt auch im
Schlafe, wenn auch in einer untergeordneten Weiſe,
thätig ſei. Dieſer ganze Einwand beruht auf einem that-
ſächlichen Jrrthum. Es iſt bekannt genug, daß die Träume
nicht den Zuſtand des eigentlichen Schlafs, ſondern nur
der Uebergangszeit zwiſchen Schlaf und Wachen, alſo
eine Art Halbwachen bezeichnen. Dieſe Bemerkung kann
jeder aufmerkſame Beobachter an ſich ſelbſt machen.
Ganz geſunde Menſchen kennen nicht einmal dieſen Ueber-
gang, ſie träumen bekanntlich überhaupt nicht. Der
tiefe Schlaf kennt keinen Traum, und ein aus
ſolchem Zuſtand plötzlich aufgerüttelter Menſch beſitzt
gewöhnlich eine zeitlang nach dem Erwecken ſowenig den
Gebrauch ſeiner geiſtigen Kräfte, daß dieſer Zuſtand als
criminelle Unzurechnungsfähigkeit bedingend angeſehen
wird, indem der Uebergang aus dem einen Zuſtand in
den andern allzu ſchroff und unvermittelt iſt. — Noch
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/219>, abgerufen am 18.07.2024.
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