Zertrümmern wir eine Uhr, so zeigt sie keine Stunde mehr und wir zerstören gleichzeitig den ganzen ideellen Begriff, welchen wir mit einem solchen Jnstrumente zu verbinden gewohnt sind; wir haben keine stundenzeigende Uhr mehr vor uns, sondern einen Haufen beliebiger Stoffe, welche nichts Ganzes mehr darstellen. Daß eine solche Analogie anwendbar ist, indem die organische Welt nicht, wie Viele meinen, Ausnahmsgesetzen folgt, son- dern ganz von denselben Stoffen und Naturkräften ge- bildet wird, wie die anorganische -- dies werden wir in dem Kapitel "Lebenskraft" näher zu erörtern Gelegen- heit haben. -- Mit dieser Anschauungsweise im Einklang lehrt uns denn auch die Erfahrung, daß die persönliche Seele trotz ihrer angeblichen Unvernichtbarkeit eine Ewig- keit lang in der That vernichtet, nicht existirend war! Wäre sie unvernichtbar wie der Stoff, so müßte sie nicht nur gleich diesem ewig bleiben, sondern auch ewig gewesen sein. Wo aber befand sich dieselbe, als der Leib, zu dem sie gehört, noch nicht gebildet war? Sie war nicht da; kein, auch nicht das leiseste Zeichen ver- rieth ihre Existenz, und eine solche dennoch anzunehmen, wäre eine rein willkürliche Hypothese. Was aber einmal nicht war, kann auch wieder untergehen, vernichtet werden. -- Einen weiteren ganz directen Beweis für die Vernichtbarkeit der Seele liefert der Zustand des Schlafes. Jn Folge körperlicher Verhält-
Zertrümmern wir eine Uhr, ſo zeigt ſie keine Stunde mehr und wir zerſtören gleichzeitig den ganzen ideellen Begriff, welchen wir mit einem ſolchen Jnſtrumente zu verbinden gewohnt ſind; wir haben keine ſtundenzeigende Uhr mehr vor uns, ſondern einen Haufen beliebiger Stoffe, welche nichts Ganzes mehr darſtellen. Daß eine ſolche Analogie anwendbar iſt, indem die organiſche Welt nicht, wie Viele meinen, Ausnahmsgeſetzen folgt, ſon- dern ganz von denſelben Stoffen und Naturkräften ge- bildet wird, wie die anorganiſche — dies werden wir in dem Kapitel „Lebenskraft‟ näher zu erörtern Gelegen- heit haben. — Mit dieſer Anſchauungsweiſe im Einklang lehrt uns denn auch die Erfahrung, daß die perſönliche Seele trotz ihrer angeblichen Unvernichtbarkeit eine Ewig- keit lang in der That vernichtet, nicht exiſtirend war! Wäre ſie unvernichtbar wie der Stoff, ſo müßte ſie nicht nur gleich dieſem ewig bleiben, ſondern auch ewig geweſen ſein. Wo aber befand ſich dieſelbe, als der Leib, zu dem ſie gehört, noch nicht gebildet war? Sie war nicht da; kein, auch nicht das leiſeſte Zeichen ver- rieth ihre Exiſtenz, und eine ſolche dennoch anzunehmen, wäre eine rein willkürliche Hypotheſe. Was aber einmal nicht war, kann auch wieder untergehen, vernichtet werden. — Einen weiteren ganz directen Beweis für die Vernichtbarkeit der Seele liefert der Zuſtand des Schlafes. Jn Folge körperlicher Verhält-
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Zertrümmern wir eine Uhr, ſo zeigt ſie keine Stunde
mehr und wir zerſtören gleichzeitig den ganzen ideellen
Begriff, welchen wir mit einem ſolchen Jnſtrumente zu
verbinden gewohnt ſind; wir haben keine ſtundenzeigende
Uhr mehr vor uns, ſondern einen Haufen beliebiger
Stoffe, welche nichts Ganzes mehr darſtellen. Daß eine
ſolche Analogie anwendbar iſt, indem die organiſche Welt
nicht, wie Viele meinen, Ausnahmsgeſetzen folgt, ſon-
dern ganz von denſelben Stoffen und Naturkräften ge-
bildet wird, wie die anorganiſche — dies werden wir
in dem Kapitel „Lebenskraft‟ näher zu erörtern Gelegen-
heit haben. — Mit dieſer Anſchauungsweiſe im Einklang
lehrt uns denn auch die Erfahrung, daß die perſönliche
Seele trotz ihrer angeblichen Unvernichtbarkeit eine Ewig-
keit lang in der That vernichtet, nicht exiſtirend war!
Wäre ſie unvernichtbar wie der Stoff, ſo müßte ſie nicht
nur gleich dieſem ewig bleiben, ſondern auch ewig
geweſen ſein. Wo aber befand ſich dieſelbe, als der
Leib, zu dem ſie gehört, noch nicht gebildet war? Sie
war nicht da; kein, auch nicht das leiſeſte Zeichen ver-
rieth ihre Exiſtenz, und eine ſolche dennoch anzunehmen,
wäre eine rein willkürliche Hypotheſe. Was aber
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/217>, abgerufen am 25.11.2024.
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