wir haben gesehen, daß die materielle Organisation des Gehirns das die geistige Entwicklung vor allem Bestim- mende ist, aber es kann diese Entwicklung nur vor sich gehen im Verein mit den äußeren Eindrücken der ob- jectiven Welt. Fehlen die Letzteren, so fehlt auch jeder Widerschein der Weltbilder auf der materiellen Grund- fläche des Gehirns, so ausgezeichnet dieselbe auch zu- bereitet sein mag. Von dieser verschiedenen Zubereitung aber hängt wiederum Stärke und Kraft der seelischen Bilder auf's Vollkommenste ab. Jst es nun richtig, daß sich die besonderen geistigen Qualitäten an besonderen Orten des Gehirns lokalisiren, so folgt daraus nur, daß die äußeren Eindrücke je nach ihrer verschiedenen geistigen Natur sich nach verschiedenen Richtungen inner- halb des Denkorgans vertheilen und an den ihnen ent- sprechenden Stellen festsetzen; es findet, um mich so auszudrücken, eine innere Anziehung zwischen Eindrücken gewisser Art und einzelnen Gehirntheilen statt. Je größer, je materiell ausgebildeter nun diese letzteren sind, um so leichter und häufiger werden sie auch ihre Anziehung ausüben, und um so stärker wird sich die betreffende geistige Qualität auf Grund ihres stärker entwickelten materiellen Substrats herausbilden. Ein analoges Bei- spiel solcher Anziehung in der physischen und leiblichen Welt besitzen wir in der Wirkung mancher Arzneimittel. Viele Arzneien zeigen nach ihrer Einverleibung in den
Büchner, Kraft und Stoff. 12
wir haben geſehen, daß die materielle Organiſation des Gehirns das die geiſtige Entwicklung vor allem Beſtim- mende iſt, aber es kann dieſe Entwicklung nur vor ſich gehen im Verein mit den äußeren Eindrücken der ob- jectiven Welt. Fehlen die Letzteren, ſo fehlt auch jeder Widerſchein der Weltbilder auf der materiellen Grund- fläche des Gehirns, ſo ausgezeichnet dieſelbe auch zu- bereitet ſein mag. Von dieſer verſchiedenen Zubereitung aber hängt wiederum Stärke und Kraft der ſeeliſchen Bilder auf’s Vollkommenſte ab. Jſt es nun richtig, daß ſich die beſonderen geiſtigen Qualitäten an beſonderen Orten des Gehirns lokaliſiren, ſo folgt daraus nur, daß die äußeren Eindrücke je nach ihrer verſchiedenen geiſtigen Natur ſich nach verſchiedenen Richtungen inner- halb des Denkorgans vertheilen und an den ihnen ent- ſprechenden Stellen feſtſetzen; es findet, um mich ſo auszudrücken, eine innere Anziehung zwiſchen Eindrücken gewiſſer Art und einzelnen Gehirntheilen ſtatt. Je größer, je materiell ausgebildeter nun dieſe letzteren ſind, um ſo leichter und häufiger werden ſie auch ihre Anziehung ausüben, und um ſo ſtärker wird ſich die betreffende geiſtige Qualität auf Grund ihres ſtärker entwickelten materiellen Subſtrats herausbilden. Ein analoges Bei- ſpiel ſolcher Anziehung in der phyſiſchen und leiblichen Welt beſitzen wir in der Wirkung mancher Arzneimittel. Viele Arzneien zeigen nach ihrer Einverleibung in den
Büchner, Kraft und Stoff. 12
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0197"n="177"/>
wir haben geſehen, daß die materielle Organiſation des<lb/>
Gehirns das die geiſtige Entwicklung vor allem Beſtim-<lb/>
mende iſt, aber es kann dieſe Entwicklung nur vor ſich<lb/>
gehen <hirendition="#g">im Verein</hi> mit den äußeren Eindrücken der ob-<lb/>
jectiven Welt. Fehlen die Letzteren, ſo fehlt auch jeder<lb/>
Widerſchein der Weltbilder auf der materiellen Grund-<lb/>
fläche des Gehirns, ſo ausgezeichnet dieſelbe auch zu-<lb/>
bereitet ſein mag. Von dieſer verſchiedenen Zubereitung<lb/>
aber hängt wiederum Stärke und Kraft der ſeeliſchen<lb/>
Bilder auf’s Vollkommenſte ab. Jſt es nun richtig, daß<lb/>ſich die beſonderen geiſtigen Qualitäten an beſonderen<lb/>
Orten des Gehirns lokaliſiren, ſo folgt daraus nur,<lb/>
daß die äußeren Eindrücke je nach ihrer verſchiedenen<lb/>
geiſtigen Natur ſich nach verſchiedenen Richtungen inner-<lb/>
halb des Denkorgans vertheilen und an den ihnen ent-<lb/>ſprechenden Stellen feſtſetzen; es findet, um mich ſo<lb/>
auszudrücken, eine innere Anziehung zwiſchen Eindrücken<lb/>
gewiſſer Art und einzelnen Gehirntheilen ſtatt. Je größer,<lb/>
je materiell ausgebildeter nun dieſe letzteren ſind, um ſo<lb/>
leichter und häufiger werden ſie auch ihre Anziehung<lb/>
ausüben, und um ſo ſtärker wird ſich die betreffende<lb/>
geiſtige Qualität auf Grund ihres ſtärker entwickelten<lb/>
materiellen Subſtrats herausbilden. Ein analoges Bei-<lb/>ſpiel ſolcher Anziehung in der phyſiſchen und leiblichen<lb/>
Welt beſitzen wir in der Wirkung mancher Arzneimittel.<lb/>
Viele Arzneien zeigen nach ihrer Einverleibung in den<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Büchner</hi>, Kraft und Stoff. 12</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[177/0197]
wir haben geſehen, daß die materielle Organiſation des
Gehirns das die geiſtige Entwicklung vor allem Beſtim-
mende iſt, aber es kann dieſe Entwicklung nur vor ſich
gehen im Verein mit den äußeren Eindrücken der ob-
jectiven Welt. Fehlen die Letzteren, ſo fehlt auch jeder
Widerſchein der Weltbilder auf der materiellen Grund-
fläche des Gehirns, ſo ausgezeichnet dieſelbe auch zu-
bereitet ſein mag. Von dieſer verſchiedenen Zubereitung
aber hängt wiederum Stärke und Kraft der ſeeliſchen
Bilder auf’s Vollkommenſte ab. Jſt es nun richtig, daß
ſich die beſonderen geiſtigen Qualitäten an beſonderen
Orten des Gehirns lokaliſiren, ſo folgt daraus nur,
daß die äußeren Eindrücke je nach ihrer verſchiedenen
geiſtigen Natur ſich nach verſchiedenen Richtungen inner-
halb des Denkorgans vertheilen und an den ihnen ent-
ſprechenden Stellen feſtſetzen; es findet, um mich ſo
auszudrücken, eine innere Anziehung zwiſchen Eindrücken
gewiſſer Art und einzelnen Gehirntheilen ſtatt. Je größer,
je materiell ausgebildeter nun dieſe letzteren ſind, um ſo
leichter und häufiger werden ſie auch ihre Anziehung
ausüben, und um ſo ſtärker wird ſich die betreffende
geiſtige Qualität auf Grund ihres ſtärker entwickelten
materiellen Subſtrats herausbilden. Ein analoges Bei-
ſpiel ſolcher Anziehung in der phyſiſchen und leiblichen
Welt beſitzen wir in der Wirkung mancher Arzneimittel.
Viele Arzneien zeigen nach ihrer Einverleibung in den
Büchner, Kraft und Stoff. 12
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/197>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.