sinnlichen Welt gewohnt sind, überall, wo wir eine Wir- kung sehen, auch eine Ursache zu finden, haben wir fälschlich auf die Existenz einer höchsten Ursache aller Dinge geschlossen, obgleich eine solche dem Bereich unserer sonstigen Begriffe nicht zugänglich ist und der wissen- schaftlichen Erfahrung widerstreitet. --
Die Phrenologen, welche lehren, daß sich die ein- zelnen geistigen Qualitäten nicht als ein seelisches Ganze durch die ganze Masse des Gehirns gleichmäßig ver- breiten, sondern an einzelnen Punkten oder Stellen des- selben localisiren und in ihrer Stärke abhängig sind von der größeren oder geringeren materiellen Entwicklung dieser entsprechenden Gehirntheile, scheinen anzunehmen oder zu glauben, daß ihre Lehre im Widerspruch stände mit der Ansicht, welche die angebornen Jdeen oder An- schauungen verwirft. Sie halten eine gewisse angeborne, materielle Organisation des Gehirns für das Bestim- mende und glauben, daß das Jndividuum sich diesem natur- nothwendigen Einfluß in seiner geistigen Entwicklung nur bis zu einem gewissen Grade entziehen könne. Die Rich- tigkeit dieser Lehre in der oben aufgeführten Form, welcher indessen die allerwichtigsten wissenschaftlichen Be- denken entgegenstehen, einmal angenommen -- so glauben wir dennoch bei genauerer Betrachtung einen wirklichen Widerspruch zwischen ihr und der Ansicht, welche die angebornen Jdeen verwirft, nicht finden zu können. Auch
ſinnlichen Welt gewohnt ſind, überall, wo wir eine Wir- kung ſehen, auch eine Urſache zu finden, haben wir fälſchlich auf die Exiſtenz einer höchſten Urſache aller Dinge geſchloſſen, obgleich eine ſolche dem Bereich unſerer ſonſtigen Begriffe nicht zugänglich iſt und der wiſſen- ſchaftlichen Erfahrung widerſtreitet. —
Die Phrenologen, welche lehren, daß ſich die ein- zelnen geiſtigen Qualitäten nicht als ein ſeeliſches Ganze durch die ganze Maſſe des Gehirns gleichmäßig ver- breiten, ſondern an einzelnen Punkten oder Stellen des- ſelben localiſiren und in ihrer Stärke abhängig ſind von der größeren oder geringeren materiellen Entwicklung dieſer entſprechenden Gehirntheile, ſcheinen anzunehmen oder zu glauben, daß ihre Lehre im Widerſpruch ſtände mit der Anſicht, welche die angebornen Jdeen oder An- ſchauungen verwirft. Sie halten eine gewiſſe angeborne, materielle Organiſation des Gehirns für das Beſtim- mende und glauben, daß das Jndividuum ſich dieſem natur- nothwendigen Einfluß in ſeiner geiſtigen Entwicklung nur bis zu einem gewiſſen Grade entziehen könne. Die Rich- tigkeit dieſer Lehre in der oben aufgeführten Form, welcher indeſſen die allerwichtigſten wiſſenſchaftlichen Be- denken entgegenſtehen, einmal angenommen — ſo glauben wir dennoch bei genauerer Betrachtung einen wirklichen Widerſpruch zwiſchen ihr und der Anſicht, welche die angebornen Jdeen verwirft, nicht finden zu können. Auch
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ſinnlichen Welt gewohnt ſind, überall, wo wir eine Wir-
kung ſehen, auch eine Urſache zu finden, haben wir
fälſchlich auf die Exiſtenz einer höchſten Urſache aller
Dinge geſchloſſen, obgleich eine ſolche dem Bereich unſerer
ſonſtigen Begriffe nicht zugänglich iſt und der wiſſen-
ſchaftlichen Erfahrung widerſtreitet. —
Die Phrenologen, welche lehren, daß ſich die ein-
zelnen geiſtigen Qualitäten nicht als ein ſeeliſches Ganze
durch die ganze Maſſe des Gehirns gleichmäßig ver-
breiten, ſondern an einzelnen Punkten oder Stellen des-
ſelben localiſiren und in ihrer Stärke abhängig ſind von
der größeren oder geringeren materiellen Entwicklung
dieſer entſprechenden Gehirntheile, ſcheinen anzunehmen
oder zu glauben, daß ihre Lehre im Widerſpruch ſtände
mit der Anſicht, welche die angebornen Jdeen oder An-
ſchauungen verwirft. Sie halten eine gewiſſe angeborne,
materielle Organiſation des Gehirns für das Beſtim-
mende und glauben, daß das Jndividuum ſich dieſem natur-
nothwendigen Einfluß in ſeiner geiſtigen Entwicklung nur
bis zu einem gewiſſen Grade entziehen könne. Die Rich-
tigkeit dieſer Lehre in der oben aufgeführten Form,
welcher indeſſen die allerwichtigſten wiſſenſchaftlichen Be-
denken entgegenſtehen, einmal angenommen — ſo glauben
wir dennoch bei genauerer Betrachtung einen wirklichen
Widerſpruch zwiſchen ihr und der Anſicht, welche die
angebornen Jdeen verwirft, nicht finden zu können. Auch
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/196>, abgerufen am 16.02.2025.
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