gänzlichen Mangel aller moralischen Eigenschaften bei den Negern haben wir schon in einem früheren Kapitel geschildert. Auch bei den civilisirten Nationen sind die moralischen Begriffe äußerst verschieden und relativ. Der Staat, die Gesellschaft brandmarkt oft etwas als Ver- brechen, das man moralisch als eine Großthat ansieht. Ueberhaupt ist jener ganze tiefgreifende Unterschied zwi- schen "juristisch" und "moralisch" Folge äußerer Ver- hältnisse und der beste Beweis dafür, daß die Jdee des Guten keinen absoluten Werth besitzt. Die meisten Ver- brechen, welche begangen werden, werden von Angehö- rigen niederer Stände verübt und sind fast jedesmal nachweisbare Folge mangelhafter Erziehung und Bildung oder angeborener Schwachheit der intellektuellen Kräfte. Die ganze moralische Natur des Menschen hängt auf's Jnnigste mit seinen äußeren Verhältnissen zusammen. Je höher die Cultur steigt, desto mehr erhebt sich die Sittlichkeit und mindern sich die Verbrechen. "Ein Blick auf die Culturgeschichte der Völker," sagt Krahmer, "belehrt uns, daß man zu allen Zeiten sehr verschieden über Tugend, Gott oder Recht gedacht hat, ohne darum seiner vernünftigen Bildung verlustig gegangen zu sein." -- Noch mehr verdankt endlich der Begriff des Wah- ren dem Fortschritt der Wissenschaften seine Entstehung und allmählige Ausbildung, und wenn die Gesetze des Denkens unter Umständen eine gewisse unabänderliche
gänzlichen Mangel aller moraliſchen Eigenſchaften bei den Negern haben wir ſchon in einem früheren Kapitel geſchildert. Auch bei den civiliſirten Nationen ſind die moraliſchen Begriffe äußerſt verſchieden und relativ. Der Staat, die Geſellſchaft brandmarkt oft etwas als Ver- brechen, das man moraliſch als eine Großthat anſieht. Ueberhaupt iſt jener ganze tiefgreifende Unterſchied zwi- ſchen „juriſtiſch‟ und „moraliſch‟ Folge äußerer Ver- hältniſſe und der beſte Beweis dafür, daß die Jdee des Guten keinen abſoluten Werth beſitzt. Die meiſten Ver- brechen, welche begangen werden, werden von Angehö- rigen niederer Stände verübt und ſind faſt jedesmal nachweisbare Folge mangelhafter Erziehung und Bildung oder angeborener Schwachheit der intellektuellen Kräfte. Die ganze moraliſche Natur des Menſchen hängt auf’s Jnnigſte mit ſeinen äußeren Verhältniſſen zuſammen. Je höher die Cultur ſteigt, deſto mehr erhebt ſich die Sittlichkeit und mindern ſich die Verbrechen. „Ein Blick auf die Culturgeſchichte der Völker,‟ ſagt Krahmer, „belehrt uns, daß man zu allen Zeiten ſehr verſchieden über Tugend, Gott oder Recht gedacht hat, ohne darum ſeiner vernünftigen Bildung verluſtig gegangen zu ſein.‟ — Noch mehr verdankt endlich der Begriff des Wah- ren dem Fortſchritt der Wiſſenſchaften ſeine Entſtehung und allmählige Ausbildung, und wenn die Geſetze des Denkens unter Umſtänden eine gewiſſe unabänderliche
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gänzlichen Mangel aller moraliſchen Eigenſchaften bei
den Negern haben wir ſchon in einem früheren Kapitel
geſchildert. Auch bei den civiliſirten Nationen ſind die
moraliſchen Begriffe äußerſt verſchieden und relativ. Der
Staat, die Geſellſchaft brandmarkt oft etwas als Ver-
brechen, das man moraliſch als eine Großthat anſieht.
Ueberhaupt iſt jener ganze tiefgreifende Unterſchied zwi-
ſchen „juriſtiſch‟ und „moraliſch‟ Folge äußerer Ver-
hältniſſe und der beſte Beweis dafür, daß die Jdee des
Guten keinen abſoluten Werth beſitzt. Die meiſten Ver-
brechen, welche begangen werden, werden von Angehö-
rigen niederer Stände verübt und ſind faſt jedesmal
nachweisbare Folge mangelhafter Erziehung und Bildung
oder angeborener Schwachheit der intellektuellen Kräfte.
Die ganze moraliſche Natur des Menſchen hängt auf’s
Jnnigſte mit ſeinen äußeren Verhältniſſen zuſammen.
Je höher die Cultur ſteigt, deſto mehr erhebt ſich die
Sittlichkeit und mindern ſich die Verbrechen. „Ein Blick
auf die Culturgeſchichte der Völker,‟ ſagt Krahmer,
„belehrt uns, daß man zu allen Zeiten ſehr verſchieden
über Tugend, Gott oder Recht gedacht hat, ohne
darum ſeiner vernünftigen Bildung verluſtig gegangen zu
ſein.‟ — Noch mehr verdankt endlich der Begriff des Wah-
ren dem Fortſchritt der Wiſſenſchaften ſeine Entſtehung
und allmählige Ausbildung, und wenn die Geſetze des
Denkens unter Umſtänden eine gewiſſe unabänderliche
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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