menschliche Verstand des Weiteren mit den ihm als Jndividuum bald unmittelbar durch seine eigenen Sinne, bald durch die geistige Anschauung des in historischer Zeit vor ihm Geschehenen und Erkannten anfangen, wie er dieses Material in sich verarbeiten, combiniren, zu allgemeinen Schlußfolgerungen benützen, ja daraus Wissen- schaften, wie z. B. die Mathematik, aufbauen mag, dies ist seine Sache und zunächst unabhängig von den sensualistischen Eindrücken; aber diese Eindrücke waren das einzige und alleinige Mittel, welches ihm überhaupt jenes Material zur Verarbeitung liefern konnte; eine angeborene, unmittelbare Erkenntniß hat er nie besessen. Oersted setzt die geschichtliche Entstehungsweise der Jdee so auseinander. Er sagt: "etc. dabei konnte es nicht an- ders sein, als daß der Mensch bei seinen Nebengeschöpfen ein geistiges Wesen, wie das seinige voraussetzen mußte; das eigene Wesen trat ihm, von Außen kommend, wie- der entgegen etc. -- Erweckte der eine Mensch angenehme Gefühle in dem andern, so entstand Liebe, umgekehrt Haß. Durch solche Einwirkungen konnte auch ein erster Anfang zu der Vorstellung von einem Etwas in den Handlungen der Menschen entstehen, das zu billigen oder zu verwerfen war, und dieser geringe Anfang wurde das verborgene Saatkorn zu dem Begriffe von Recht und Unrecht." -- Weiter ist Folgendes zu bemerken: Wären die ästhetischen, moralischen oder metaphysischen
menſchliche Verſtand des Weiteren mit den ihm als Jndividuum bald unmittelbar durch ſeine eigenen Sinne, bald durch die geiſtige Anſchauung des in hiſtoriſcher Zeit vor ihm Geſchehenen und Erkannten anfangen, wie er dieſes Material in ſich verarbeiten, combiniren, zu allgemeinen Schlußfolgerungen benützen, ja daraus Wiſſen- ſchaften, wie z. B. die Mathematik, aufbauen mag, dies iſt ſeine Sache und zunächſt unabhängig von den ſenſualiſtiſchen Eindrücken; aber dieſe Eindrücke waren das einzige und alleinige Mittel, welches ihm überhaupt jenes Material zur Verarbeitung liefern konnte; eine angeborene, unmittelbare Erkenntniß hat er nie beſeſſen. Oerſted ſetzt die geſchichtliche Entſtehungsweiſe der Jdee ſo auseinander. Er ſagt: „ꝛc. dabei konnte es nicht an- ders ſein, als daß der Menſch bei ſeinen Nebengeſchöpfen ein geiſtiges Weſen, wie das ſeinige vorausſetzen mußte; das eigene Weſen trat ihm, von Außen kommend, wie- der entgegen ꝛc. — Erweckte der eine Menſch angenehme Gefühle in dem andern, ſo entſtand Liebe, umgekehrt Haß. Durch ſolche Einwirkungen konnte auch ein erſter Anfang zu der Vorſtellung von einem Etwas in den Handlungen der Menſchen entſtehen, das zu billigen oder zu verwerfen war, und dieſer geringe Anfang wurde das verborgene Saatkorn zu dem Begriffe von Recht und Unrecht.‟ — Weiter iſt Folgendes zu bemerken: Wären die äſthetiſchen, moraliſchen oder metaphyſiſchen
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menſchliche Verſtand des Weiteren mit den ihm als
Jndividuum bald unmittelbar durch ſeine eigenen Sinne,
bald durch die geiſtige Anſchauung des in hiſtoriſcher
Zeit vor ihm Geſchehenen und Erkannten anfangen, wie
er dieſes Material in ſich verarbeiten, combiniren, zu
allgemeinen Schlußfolgerungen benützen, ja daraus Wiſſen-
ſchaften, wie z. B. die Mathematik, aufbauen mag,
dies iſt ſeine Sache und zunächſt unabhängig von den
ſenſualiſtiſchen Eindrücken; aber dieſe Eindrücke waren
das einzige und alleinige Mittel, welches ihm überhaupt
jenes Material zur Verarbeitung liefern konnte; eine
angeborene, unmittelbare Erkenntniß hat er nie beſeſſen.
Oerſted ſetzt die geſchichtliche Entſtehungsweiſe der Jdee
ſo auseinander. Er ſagt: „ꝛc. dabei konnte es nicht an-
ders ſein, als daß der Menſch bei ſeinen Nebengeſchöpfen
ein geiſtiges Weſen, wie das ſeinige vorausſetzen mußte;
das eigene Weſen trat ihm, von Außen kommend, wie-
der entgegen ꝛc. — Erweckte der eine Menſch angenehme
Gefühle in dem andern, ſo entſtand Liebe, umgekehrt
Haß. Durch ſolche Einwirkungen konnte auch ein erſter
Anfang zu der Vorſtellung von einem Etwas in den
Handlungen der Menſchen entſtehen, das zu billigen oder
zu verwerfen war, und dieſer geringe Anfang wurde
das verborgene Saatkorn zu dem Begriffe von Recht
und Unrecht.‟ — Weiter iſt Folgendes zu bemerken:
Wären die äſthetiſchen, moraliſchen oder metaphyſiſchen
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/189>, abgerufen am 24.11.2024.
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