umkreisen fortwährend elektrische Ströme. Diese Ströme hören sogleich auf, oder werden schwächer, sobald der Nerv auf irgend eine Art gereizt oder in Thätigkeit ver- setzt wird. Die Nerven sind demnach nicht Leiter, son- dern Erzeuger der Elektricität. Dieses Erzeugen hört auf mit dem Thätigsein der Nerven, d. h. sobald Em- pfindung oder Wollen eintritt. Psychische Thätigkeit hat man darnach versucht als latente Elektricität zu definiren!? und den Schlaf als entbundene elektrische Funktion der Nerven! Vielleicht führt uns das einmal aufgesteckte Licht der experimentellen Forschung zu vor- her nicht geahnter näherer Kenntniß des eigentlichen Wesens psychischer Funktionen.
Einen anderen Charakter erhält unsere Untersuchung, sobald wir darnach fragen, welche tiefere und wahre Jdee dem Vogt'schen Ausspruch zu Grunde liegt. Diese Jdee erblicken wir in dem, wofür wir im vorhergehen- den Kapitel zahlreiche Beispiele beigebracht zu haben glauben -- in dem Gesetz, daß Geist und Gehirn sich wechselseitig auf's Nothwendigste bedingen, daß sie in einem untrennbaren causalen Verhältniß zu einander stehen. Wie es keine Galle ohne Leber, wie es keinen Urin ohne Nieren gibt, so gibt es auch keinen Gedanken ohne Gehirn; die Seelenthätigkeit ist eine Funktion der Gehirnsubstanz. Diese Wahrheit ist einfach, klar, leicht mit Thatsachen zu belegen und riecht nicht "urinös,"
umkreiſen fortwährend elektriſche Ströme. Dieſe Ströme hören ſogleich auf, oder werden ſchwächer, ſobald der Nerv auf irgend eine Art gereizt oder in Thätigkeit ver- ſetzt wird. Die Nerven ſind demnach nicht Leiter, ſon- dern Erzeuger der Elektricität. Dieſes Erzeugen hört auf mit dem Thätigſein der Nerven, d. h. ſobald Em- pfindung oder Wollen eintritt. Pſychiſche Thätigkeit hat man darnach verſucht als latente Elektricität zu definiren!? und den Schlaf als entbundene elektriſche Funktion der Nerven! Vielleicht führt uns das einmal aufgeſteckte Licht der experimentellen Forſchung zu vor- her nicht geahnter näherer Kenntniß des eigentlichen Weſens pſychiſcher Funktionen.
Einen anderen Charakter erhält unſere Unterſuchung, ſobald wir darnach fragen, welche tiefere und wahre Jdee dem Vogt’ſchen Ausſpruch zu Grunde liegt. Dieſe Jdee erblicken wir in dem, wofür wir im vorhergehen- den Kapitel zahlreiche Beiſpiele beigebracht zu haben glauben — in dem Geſetz, daß Geiſt und Gehirn ſich wechſelſeitig auf’s Nothwendigſte bedingen, daß ſie in einem untrennbaren cauſalen Verhältniß zu einander ſtehen. Wie es keine Galle ohne Leber, wie es keinen Urin ohne Nieren gibt, ſo gibt es auch keinen Gedanken ohne Gehirn; die Seelenthätigkeit iſt eine Funktion der Gehirnſubſtanz. Dieſe Wahrheit iſt einfach, klar, leicht mit Thatſachen zu belegen und riecht nicht „urinös,‟
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umkreiſen fortwährend elektriſche Ströme. Dieſe Ströme
hören ſogleich auf, oder werden ſchwächer, ſobald der
Nerv auf irgend eine Art gereizt oder in Thätigkeit ver-
ſetzt wird. Die Nerven ſind demnach nicht Leiter, ſon-
dern Erzeuger der Elektricität. Dieſes Erzeugen hört
auf mit dem Thätigſein der Nerven, d. h. ſobald Em-
pfindung oder Wollen eintritt. Pſychiſche Thätigkeit
hat man darnach verſucht als latente Elektricität zu
definiren!? und den Schlaf als entbundene elektriſche
Funktion der Nerven! Vielleicht führt uns das einmal
aufgeſteckte Licht der experimentellen Forſchung zu vor-
her nicht geahnter näherer Kenntniß des eigentlichen
Weſens pſychiſcher Funktionen.
Einen anderen Charakter erhält unſere Unterſuchung,
ſobald wir darnach fragen, welche tiefere und wahre
Jdee dem Vogt’ſchen Ausſpruch zu Grunde liegt. Dieſe
Jdee erblicken wir in dem, wofür wir im vorhergehen-
den Kapitel zahlreiche Beiſpiele beigebracht zu haben
glauben — in dem Geſetz, daß Geiſt und Gehirn ſich
wechſelſeitig auf’s Nothwendigſte bedingen, daß ſie in
einem untrennbaren cauſalen Verhältniß zu einander
ſtehen. Wie es keine Galle ohne Leber, wie es keinen
Urin ohne Nieren gibt, ſo gibt es auch keinen Gedanken
ohne Gehirn; die Seelenthätigkeit iſt eine Funktion der
Gehirnſubſtanz. Dieſe Wahrheit iſt einfach, klar, leicht
mit Thatſachen zu belegen und riecht nicht „urinös,‟
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/173>, abgerufen am 28.11.2024.
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