stehen schiene. Die Natur versteht es, mit oft äußerst geringen oder einfachen stofflichen Mitteln Großes und mit denselben Mitteln sehr Verschiedenes zu leisten, je nachdem sie die mechanische Anordnung der feinsten Theilchen gewisser Stoffe so oder so einrichtet. Die s. g. isomeren Körper sind Körper von vollkommen gleicher chemischer Zusammensetzung, oft sogar von der- selben Krystallisationsform, welche dennoch sehr verschie- dene Eigenschaften und ein sehr verschiedenes Verhalten gegen andere Stoffe zeigen. So giebt es unter den s. g. Alkaloiden, krystallisationsfähigen Pflanzenstoffen von meist starker giftiger Wirkung, einige, welche in ihrer Zusammensetzung eine vollkommene chemische Gleich- heit besitzen, dennoch aber auf den thierischen Organis- mus so äußerst verschiedene Wirkungen äußern, daß sie geradezu als Gegengifte angesehen werden. Genauere Untersuchungen über die Lichtbrechungsfähigkeit der iso- meren Körper haben uns unzweifelhaft darüber belehrt, daß ihre Atome in verschiedener Weise gegeneinander gelagert sein müssen, und daß diese Verschiedenheit der feinsten stofflichen Lagerung die Verschiedenheit in ihren Eigenschaften hervorbringt. Wenn so kleine und un- scheinbare Ursachen eine so hochgradige Verschiedenheit der Effekte hervorzubringen im Stande sind, wie sollte man es für unmöglich halten dürfen, daß Aehnliches auch auf das Verhältniß von Gehirn und Seele influire!
ſtehen ſchiene. Die Natur verſteht es, mit oft äußerſt geringen oder einfachen ſtofflichen Mitteln Großes und mit denſelben Mitteln ſehr Verſchiedenes zu leiſten, je nachdem ſie die mechaniſche Anordnung der feinſten Theilchen gewiſſer Stoffe ſo oder ſo einrichtet. Die ſ. g. iſomeren Körper ſind Körper von vollkommen gleicher chemiſcher Zuſammenſetzung, oft ſogar von der- ſelben Kryſtalliſationsform, welche dennoch ſehr verſchie- dene Eigenſchaften und ein ſehr verſchiedenes Verhalten gegen andere Stoffe zeigen. So giebt es unter den ſ. g. Alkaloiden, kryſtalliſationsfähigen Pflanzenſtoffen von meiſt ſtarker giftiger Wirkung, einige, welche in ihrer Zuſammenſetzung eine vollkommene chemiſche Gleich- heit beſitzen, dennoch aber auf den thieriſchen Organis- mus ſo äußerſt verſchiedene Wirkungen äußern, daß ſie geradezu als Gegengifte angeſehen werden. Genauere Unterſuchungen über die Lichtbrechungsfähigkeit der iſo- meren Körper haben uns unzweifelhaft darüber belehrt, daß ihre Atome in verſchiedener Weiſe gegeneinander gelagert ſein müſſen, und daß dieſe Verſchiedenheit der feinſten ſtofflichen Lagerung die Verſchiedenheit in ihren Eigenſchaften hervorbringt. Wenn ſo kleine und un- ſcheinbare Urſachen eine ſo hochgradige Verſchiedenheit der Effekte hervorzubringen im Stande ſind, wie ſollte man es für unmöglich halten dürfen, daß Aehnliches auch auf das Verhältniß von Gehirn und Seele influire!
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ſtehen ſchiene. Die Natur verſteht es, mit oft äußerſt
geringen oder einfachen ſtofflichen Mitteln Großes und
mit denſelben Mitteln ſehr Verſchiedenes zu leiſten, je
nachdem ſie die mechaniſche Anordnung der feinſten
Theilchen gewiſſer Stoffe ſo oder ſo einrichtet. Die
ſ. g. iſomeren Körper ſind Körper von vollkommen
gleicher chemiſcher Zuſammenſetzung, oft ſogar von der-
ſelben Kryſtalliſationsform, welche dennoch ſehr verſchie-
dene Eigenſchaften und ein ſehr verſchiedenes Verhalten
gegen andere Stoffe zeigen. So giebt es unter den
ſ. g. Alkaloiden, kryſtalliſationsfähigen Pflanzenſtoffen
von meiſt ſtarker giftiger Wirkung, einige, welche in
ihrer Zuſammenſetzung eine vollkommene chemiſche Gleich-
heit beſitzen, dennoch aber auf den thieriſchen Organis-
mus ſo äußerſt verſchiedene Wirkungen äußern, daß ſie
geradezu als Gegengifte angeſehen werden. Genauere
Unterſuchungen über die Lichtbrechungsfähigkeit der iſo-
meren Körper haben uns unzweifelhaft darüber belehrt,
daß ihre Atome in verſchiedener Weiſe gegeneinander
gelagert ſein müſſen, und daß dieſe Verſchiedenheit der
feinſten ſtofflichen Lagerung die Verſchiedenheit in ihren
Eigenſchaften hervorbringt. Wenn ſo kleine und un-
ſcheinbare Urſachen eine ſo hochgradige Verſchiedenheit
der Effekte hervorzubringen im Stande ſind, wie ſollte
man es für unmöglich halten dürfen, daß Aehnliches
auch auf das Verhältniß von Gehirn und Seele influire!
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/162>, abgerufen am 22.11.2024.
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