Fötus und Neugeborenen sind die Gehirnfette in bedeu- tend geringerer Quantität vorhanden, als beim Erwach- senen; dagegen ist der Wassergehalt des kindlichen Gehirns sehr groß. Beim Neugeborenen findet man schon mehr Fett, als beim Fötus, und der Fettgehalt scheint nach Bibra ziemlich rasch mit vorrückendem Alter zu steigen. Bei Thieren, die man hungern läßt, ver- liert das Gehirn nicht, wie andere Organe, einen Theil seines Fettgehalts, woraus hervorgeht, daß die Function des Gehirns einen bestimmten Fettgehalt mit Nothwen- digkeit fordert. Sehr kleine Thiergehirne (z. B. das vom Pferd, vom Ochsen) ergeben einen verhältnißmäßig sehr großen Fettgehalt, so daß nach Bibra die Quan- tität durch die Qualität ausgeglichen zu werden scheint -- ein Verhältniß, auf dessen Existenz auch noch manche andere Thatsachen mit Bestimmtheit hinweisen. Schloß- berger fand das Gehirn eines neugeborenen Knaben viel wasserreicher und fettärmer als bei Erwach- senen. -- Dasselbe Gesetz, welches uns die Betrachtung der Gehirnentwicklung durch die Thierreihe vor Augen stellt, zeigt uns die Entwicklungsgeschichte des Menschen selbst. Mit der allmäbligen materiellen Entwicklung seines Gehirns steigt die geistige Befähigung des Men- schen und sinkt wiederum rückwärts mit der allmähligen Rückbildung jenes materiellen Substrats im Alter. Nach den genauen Messungen des Engländers Peacock nimmt
Fötus und Neugeborenen ſind die Gehirnfette in bedeu- tend geringerer Quantität vorhanden, als beim Erwach- ſenen; dagegen iſt der Waſſergehalt des kindlichen Gehirns ſehr groß. Beim Neugeborenen findet man ſchon mehr Fett, als beim Fötus, und der Fettgehalt ſcheint nach Bibra ziemlich raſch mit vorrückendem Alter zu ſteigen. Bei Thieren, die man hungern läßt, ver- liert das Gehirn nicht, wie andere Organe, einen Theil ſeines Fettgehalts, woraus hervorgeht, daß die Function des Gehirns einen beſtimmten Fettgehalt mit Nothwen- digkeit fordert. Sehr kleine Thiergehirne (z. B. das vom Pferd, vom Ochſen) ergeben einen verhältnißmäßig ſehr großen Fettgehalt, ſo daß nach Bibra die Quan- tität durch die Qualität ausgeglichen zu werden ſcheint — ein Verhältniß, auf deſſen Exiſtenz auch noch manche andere Thatſachen mit Beſtimmtheit hinweiſen. Schloß- berger fand das Gehirn eines neugeborenen Knaben viel waſſerreicher und fettärmer als bei Erwach- ſenen. — Daſſelbe Geſetz, welches uns die Betrachtung der Gehirnentwicklung durch die Thierreihe vor Augen ſtellt, zeigt uns die Entwicklungsgeſchichte des Menſchen ſelbſt. Mit der allmäbligen materiellen Entwicklung ſeines Gehirns ſteigt die geiſtige Befähigung des Men- ſchen und ſinkt wiederum rückwärts mit der allmähligen Rückbildung jenes materiellen Subſtrats im Alter. Nach den genauen Meſſungen des Engländers Peacock nimmt
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Fötus und Neugeborenen ſind die Gehirnfette in bedeu-
tend geringerer Quantität vorhanden, als beim Erwach-
ſenen; dagegen iſt der Waſſergehalt des kindlichen
Gehirns ſehr groß. Beim Neugeborenen findet man
ſchon mehr Fett, als beim Fötus, und der Fettgehalt
ſcheint nach Bibra ziemlich raſch mit vorrückendem Alter
zu ſteigen. Bei Thieren, die man hungern läßt, ver-
liert das Gehirn nicht, wie andere Organe, einen Theil
ſeines Fettgehalts, woraus hervorgeht, daß die Function
des Gehirns einen beſtimmten Fettgehalt mit Nothwen-
digkeit fordert. Sehr kleine Thiergehirne (z. B. das
vom Pferd, vom Ochſen) ergeben einen verhältnißmäßig
ſehr großen Fettgehalt, ſo daß nach Bibra die Quan-
tität durch die Qualität ausgeglichen zu werden ſcheint —
ein Verhältniß, auf deſſen Exiſtenz auch noch manche
andere Thatſachen mit Beſtimmtheit hinweiſen. Schloß-
berger fand das Gehirn eines neugeborenen Knaben
viel waſſerreicher und fettärmer als bei Erwach-
ſenen. — Daſſelbe Geſetz, welches uns die Betrachtung
der Gehirnentwicklung durch die Thierreihe vor Augen
ſtellt, zeigt uns die Entwicklungsgeſchichte des Menſchen
ſelbſt. Mit der allmäbligen materiellen Entwicklung
ſeines Gehirns ſteigt die geiſtige Befähigung des Men-
ſchen und ſinkt wiederum rückwärts mit der allmähligen
Rückbildung jenes materiellen Subſtrats im Alter. Nach
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/142>, abgerufen am 28.11.2024.
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