verloren." Wo sich der Mensch gewöhnt hat, sich als elenden, verdammten Sünder anzusehen, welcher nur durch unablässige Ascetik sich dieser Verdammniß entringen kann, da müssen menschliche Würde und menschlicher Stolz verloren gehen. Wo wir überirdische Wesen für uns sorgen lassen und die Beschäftigung mit irdischen An- gelegenheiten für ein Werk des Teufels ansehen, da ist ein menschenwürdiges Dasein eine Unmöglichkeit. "Der lei- dige Teufel," sagt Luther, "der Gott und Christo feind ist, der will uns -- auf uns selbst und auf unsre Sorgen reißen, daß wir uns selber Gottes Amt (welches ist für uns sorgen und unser Gott sein) unterwinden." -- Unsrer Zeit war es vorbehalten, den praktisch längst entschie- denen Sieg des menschlichen Princip's über das über- menschliche auch theoretisch und wissenschaftlich zu er- ringen. Als ein Namen erster Größe leuchtet bei Be- trachtung dieser philosophischen Bestrebungen der Lud- wig Feuerbach's hervor. Das menschliche Wesen ist für diesen tiefsinnigen Philosophen zugleich das höchste Wesen. "Die Gottheit des Jndividunms", ruft er aus, "ist das aufgelöste Geheimniß der Religion, die Nega- tion Gottes die Position des Jndividuums." -- "Wir sind allzumal vollkommen", sagt Max Stirner, der bekannte Verfasser des: "Der Einzige und sein Eigen- thum", gegenüber denen, welche die Menschen allzumal als Sünder und unwürdig der Gnade des Herrn dar-
verloren.‟ Wo ſich der Menſch gewöhnt hat, ſich als elenden, verdammten Sünder anzuſehen, welcher nur durch unabläſſige Aſcetik ſich dieſer Verdammniß entringen kann, da müſſen menſchliche Würde und menſchlicher Stolz verloren gehen. Wo wir überirdiſche Weſen für uns ſorgen laſſen und die Beſchäftigung mit irdiſchen An- gelegenheiten für ein Werk des Teufels anſehen, da iſt ein menſchenwürdiges Daſein eine Unmöglichkeit. „Der lei- dige Teufel,‟ ſagt Luther, „der Gott und Chriſto feind iſt, der will uns — auf uns ſelbſt und auf unſre Sorgen reißen, daß wir uns ſelber Gottes Amt (welches iſt für uns ſorgen und unſer Gott ſein) unterwinden.‟ — Unſrer Zeit war es vorbehalten, den praktiſch längſt entſchie- denen Sieg des menſchlichen Princip’s über das über- menſchliche auch theoretiſch und wiſſenſchaftlich zu er- ringen. Als ein Namen erſter Größe leuchtet bei Be- trachtung dieſer philoſophiſchen Beſtrebungen der Lud- wig Feuerbach’s hervor. Das menſchliche Weſen iſt für dieſen tiefſinnigen Philoſophen zugleich das höchſte Weſen. „Die Gottheit des Jndividunms‟, ruft er aus, „iſt das aufgelöſte Geheimniß der Religion, die Nega- tion Gottes die Poſition des Jndividuums.‟ — „Wir ſind allzumal vollkommen‟, ſagt Max Stirner, der bekannte Verfaſſer des: „Der Einzige und ſein Eigen- thum‟, gegenüber denen, welche die Menſchen allzumal als Sünder und unwürdig der Gnade des Herrn dar-
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verloren.‟ Wo ſich der Menſch gewöhnt hat, ſich als
elenden, verdammten Sünder anzuſehen, welcher nur
durch unabläſſige Aſcetik ſich dieſer Verdammniß entringen
kann, da müſſen menſchliche Würde und menſchlicher
Stolz verloren gehen. Wo wir überirdiſche Weſen für
uns ſorgen laſſen und die Beſchäftigung mit irdiſchen An-
gelegenheiten für ein Werk des Teufels anſehen, da iſt ein
menſchenwürdiges Daſein eine Unmöglichkeit. „Der lei-
dige Teufel,‟ ſagt Luther, „der Gott und Chriſto feind
iſt, der will uns — auf uns ſelbſt und auf unſre Sorgen
reißen, daß wir uns ſelber Gottes Amt (welches iſt für
uns ſorgen und unſer Gott ſein) unterwinden.‟ — Unſrer
Zeit war es vorbehalten, den praktiſch längſt entſchie-
denen Sieg des menſchlichen Princip’s über das über-
menſchliche auch theoretiſch und wiſſenſchaftlich zu er-
ringen. Als ein Namen erſter Größe leuchtet bei Be-
trachtung dieſer philoſophiſchen Beſtrebungen der Lud-
wig Feuerbach’s hervor. Das menſchliche Weſen iſt
für dieſen tiefſinnigen Philoſophen zugleich das höchſte
Weſen. „Die Gottheit des Jndividunms‟, ruft er aus,
„iſt das aufgelöſte Geheimniß der Religion, die Nega-
tion Gottes die Poſition des Jndividuums.‟ — „Wir
ſind allzumal vollkommen‟, ſagt Max Stirner, der
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thum‟, gegenüber denen, welche die Menſchen allzumal
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/134>, abgerufen am 16.02.2025.
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