Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit, welche uns bekannt ist, über die Kraft jener Ein-
wirkung sagen? Die Thiere im Norden haben einen
dichteren Pelz, als die im Süden, und ebenso bekleiden
sich die Thiere im Winter mit dichteren Haaren und
Federn, als im Sommer. Jst es nicht natürlicher, ein
solches Verhältniß als die Folge äußerer Einwirkung,
in diesem Falle der Temperaturverhältnisse, anzusehen,
als an einen himmlischen Zuschneider zu denken, der
jedem Thiere für Sommer- und Wintergarderobe sorgt?
-- Wenn der Hirsch lange Beine zum Laufen hat, so
hat er dieselben nicht deßwegen erhalten, um schnell lau-
fen zu können, sondern er läuft schnell, weil er lange
Beine hat. Hätte er Beine, die zum Laufen ungeschickt
sind, er wäre vielleicht ein sehr muthiges Thier gewor-
den, während er jetzt ein sehr furchtsames ist. Der
Maulwurf hat kurze, schaufelartige Füße zum Graben;
hätte er sie nicht, es würde ihm nie eingefallen sein,
in der Erde zu wühlen. Die Dinge sind einmal, wie
sie sind; wären sie anders geworden, d. h. wäre es
möglich gewesen, daß sie anders geworden wären, wir
würden sie nicht minder zweckmäßig gefunden haben.
Wie viele verunglückte Versuche zur Erzeugung beliebiger
Formen von Naturwesen oder natürlicher Erscheinungs-
weisen mag die Natur oder mögen die mit Kräften be-
gabten Stoffe bei ihrer gegenseitigen millionenfachen
Begegnung unter den verschiedensten Umständen gemacht

Büchner, Kraft und Stoff. 7

Zeit, welche uns bekannt iſt, über die Kraft jener Ein-
wirkung ſagen? Die Thiere im Norden haben einen
dichteren Pelz, als die im Süden, und ebenſo bekleiden
ſich die Thiere im Winter mit dichteren Haaren und
Federn, als im Sommer. Jſt es nicht natürlicher, ein
ſolches Verhältniß als die Folge äußerer Einwirkung,
in dieſem Falle der Temperaturverhältniſſe, anzuſehen,
als an einen himmliſchen Zuſchneider zu denken, der
jedem Thiere für Sommer- und Wintergarderobe ſorgt?
— Wenn der Hirſch lange Beine zum Laufen hat, ſo
hat er dieſelben nicht deßwegen erhalten, um ſchnell lau-
fen zu können, ſondern er läuft ſchnell, weil er lange
Beine hat. Hätte er Beine, die zum Laufen ungeſchickt
ſind, er wäre vielleicht ein ſehr muthiges Thier gewor-
den, während er jetzt ein ſehr furchtſames iſt. Der
Maulwurf hat kurze, ſchaufelartige Füße zum Graben;
hätte er ſie nicht, es würde ihm nie eingefallen ſein,
in der Erde zu wühlen. Die Dinge ſind einmal, wie
ſie ſind; wären ſie anders geworden, d. h. wäre es
möglich geweſen, daß ſie anders geworden wären, wir
würden ſie nicht minder zweckmäßig gefunden haben.
Wie viele verunglückte Verſuche zur Erzeugung beliebiger
Formen von Naturweſen oder natürlicher Erſcheinungs-
weiſen mag die Natur oder mögen die mit Kräften be-
gabten Stoffe bei ihrer gegenſeitigen millionenfachen
Begegnung unter den verſchiedenſten Umſtänden gemacht

Büchner, Kraft und Stoff. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0117" n="97"/>
Zeit, welche uns bekannt i&#x017F;t, über die Kraft jener Ein-<lb/>
wirkung &#x017F;agen? Die Thiere im Norden haben einen<lb/>
dichteren Pelz, als die im Süden, und eben&#x017F;o bekleiden<lb/>
&#x017F;ich die Thiere im Winter mit dichteren Haaren und<lb/>
Federn, als im Sommer. J&#x017F;t es nicht natürlicher, ein<lb/>
&#x017F;olches Verhältniß als die Folge äußerer Einwirkung,<lb/>
in die&#x017F;em Falle der Temperaturverhältni&#x017F;&#x017F;e, anzu&#x017F;ehen,<lb/>
als an einen himmli&#x017F;chen Zu&#x017F;chneider zu denken, der<lb/>
jedem Thiere für Sommer- und Wintergarderobe &#x017F;orgt?<lb/>
&#x2014; Wenn der Hir&#x017F;ch lange Beine zum Laufen hat, &#x017F;o<lb/>
hat er die&#x017F;elben nicht deßwegen erhalten, um &#x017F;chnell lau-<lb/>
fen zu können, &#x017F;ondern er läuft &#x017F;chnell, weil er lange<lb/>
Beine hat. Hätte er Beine, die zum Laufen unge&#x017F;chickt<lb/>
&#x017F;ind, er wäre vielleicht ein &#x017F;ehr muthiges Thier gewor-<lb/>
den, während er jetzt ein &#x017F;ehr furcht&#x017F;ames i&#x017F;t. Der<lb/>
Maulwurf hat kurze, &#x017F;chaufelartige Füße zum Graben;<lb/>
hätte er &#x017F;ie nicht, es würde ihm nie eingefallen &#x017F;ein,<lb/>
in der Erde zu wühlen. Die Dinge &#x017F;ind einmal, wie<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ind; wären &#x017F;ie anders geworden, d. h. wäre es<lb/>
möglich gewe&#x017F;en, daß &#x017F;ie anders geworden wären, wir<lb/>
würden &#x017F;ie nicht minder zweckmäßig gefunden haben.<lb/>
Wie viele verunglückte Ver&#x017F;uche zur Erzeugung beliebiger<lb/>
Formen von Naturwe&#x017F;en oder natürlicher Er&#x017F;cheinungs-<lb/>
wei&#x017F;en mag die Natur oder mögen die mit Kräften be-<lb/>
gabten Stoffe bei ihrer gegen&#x017F;eitigen millionenfachen<lb/>
Begegnung unter den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Um&#x017F;tänden gemacht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Büchner,</hi> Kraft und Stoff. 7</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0117] Zeit, welche uns bekannt iſt, über die Kraft jener Ein- wirkung ſagen? Die Thiere im Norden haben einen dichteren Pelz, als die im Süden, und ebenſo bekleiden ſich die Thiere im Winter mit dichteren Haaren und Federn, als im Sommer. Jſt es nicht natürlicher, ein ſolches Verhältniß als die Folge äußerer Einwirkung, in dieſem Falle der Temperaturverhältniſſe, anzuſehen, als an einen himmliſchen Zuſchneider zu denken, der jedem Thiere für Sommer- und Wintergarderobe ſorgt? — Wenn der Hirſch lange Beine zum Laufen hat, ſo hat er dieſelben nicht deßwegen erhalten, um ſchnell lau- fen zu können, ſondern er läuft ſchnell, weil er lange Beine hat. Hätte er Beine, die zum Laufen ungeſchickt ſind, er wäre vielleicht ein ſehr muthiges Thier gewor- den, während er jetzt ein ſehr furchtſames iſt. Der Maulwurf hat kurze, ſchaufelartige Füße zum Graben; hätte er ſie nicht, es würde ihm nie eingefallen ſein, in der Erde zu wühlen. Die Dinge ſind einmal, wie ſie ſind; wären ſie anders geworden, d. h. wäre es möglich geweſen, daß ſie anders geworden wären, wir würden ſie nicht minder zweckmäßig gefunden haben. Wie viele verunglückte Verſuche zur Erzeugung beliebiger Formen von Naturweſen oder natürlicher Erſcheinungs- weiſen mag die Natur oder mögen die mit Kräften be- gabten Stoffe bei ihrer gegenſeitigen millionenfachen Begegnung unter den verſchiedenſten Umſtänden gemacht Büchner, Kraft und Stoff. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/117
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/117>, abgerufen am 24.11.2024.