Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

griffen ziemlich allgemein emancipirt, und überläßt es
der Schullehrerweisheit, dergleichen unschuldige Studien
mit den kindlichen Bewohnern ihrer Hörsäle fortzusetzen.

Die Combinationen natürlicher Stoffe und Kräfte
mußten, indem sie sich einander begegnend mannigfaltigen
Formen des Daseins ihre Entstehung gaben, sich zugleich
in einer gewissen Weise gegenseitig abgrenzen, bedingen
und dadurch Einrichtungen hervorrufen, welche sich in
einer gewissen zweckentsprechenden Weise einander begeg-
nen und welche uns nun, eben weil sie mit Nothwendig-
keit einander bedingen und entsprechen, bei oberflächlichem
Anblick von einem bewußten Verstand auf äußerliche Weise
veranlaßt scheinen. Unser reflektirender Verstand ist die
einzige Ursache dieser scheinbaren Zweckmäßigkeit, welche
weiter nichts ist, als die nothwendige Folge des Be-
gegnens natürlicher Stoffe und Kräfte. So staunt nach
Kant unser Verstand ein Wunder an, das er selbst erst
geschaffen hat. Wie können wir von Zweckmäßigkeit
reden, da wir ja die Dinge nur in dieser einen gewissen
Gestalt und Form kennen und keine Ahnung davon haben,
wie sie uns in irgend einer anderen Gestalt und Form
erscheinen würden! Die Bäume wachsen nicht in den
Himmel -- nebenbei gesagt, aus sehr natürlichen Grün-
den. Welches Recht haben wir nun, zu sagen: Es
ist zweckmäßig, daß die Bäume nicht in den Himmel
wachsen? Es könnte vielleicht sehr zweckmäßig sein,

griffen ziemlich allgemein emancipirt, und überläßt es
der Schullehrerweisheit, dergleichen unſchuldige Studien
mit den kindlichen Bewohnern ihrer Hörſäle fortzuſetzen.

Die Combinationen natürlicher Stoffe und Kräfte
mußten, indem ſie ſich einander begegnend mannigfaltigen
Formen des Daſeins ihre Entſtehung gaben, ſich zugleich
in einer gewiſſen Weiſe gegenſeitig abgrenzen, bedingen
und dadurch Einrichtungen hervorrufen, welche ſich in
einer gewiſſen zweckentſprechenden Weiſe einander begeg-
nen und welche uns nun, eben weil ſie mit Nothwendig-
keit einander bedingen und entſprechen, bei oberflächlichem
Anblick von einem bewußten Verſtand auf äußerliche Weiſe
veranlaßt ſcheinen. Unſer reflektirender Verſtand iſt die
einzige Urſache dieſer ſcheinbaren Zweckmäßigkeit, welche
weiter nichts iſt, als die nothwendige Folge des Be-
gegnens natürlicher Stoffe und Kräfte. So ſtaunt nach
Kant unſer Verſtand ein Wunder an, das er ſelbſt erſt
geſchaffen hat. Wie können wir von Zweckmäßigkeit
reden, da wir ja die Dinge nur in dieſer einen gewiſſen
Geſtalt und Form kennen und keine Ahnung davon haben,
wie ſie uns in irgend einer anderen Geſtalt und Form
erſcheinen würden! Die Bäume wachſen nicht in den
Himmel — nebenbei geſagt, aus ſehr natürlichen Grün-
den. Welches Recht haben wir nun, zu ſagen: Es
iſt zweckmäßig, daß die Bäume nicht in den Himmel
wachſen? Es könnte vielleicht ſehr zweckmäßig ſein,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="95"/>
griffen ziemlich allgemein emancipirt, und überläßt es<lb/>
der Schullehrerweisheit, dergleichen un&#x017F;chuldige Studien<lb/>
mit den kindlichen Bewohnern ihrer Hör&#x017F;äle fortzu&#x017F;etzen.</p><lb/>
        <p>Die Combinationen natürlicher Stoffe und Kräfte<lb/>
mußten, indem &#x017F;ie &#x017F;ich einander begegnend mannigfaltigen<lb/>
Formen des Da&#x017F;eins ihre Ent&#x017F;tehung gaben, &#x017F;ich zugleich<lb/>
in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Wei&#x017F;e gegen&#x017F;eitig abgrenzen, bedingen<lb/>
und dadurch Einrichtungen hervorrufen, welche &#x017F;ich in<lb/>
einer gewi&#x017F;&#x017F;en zweckent&#x017F;prechenden Wei&#x017F;e einander begeg-<lb/>
nen und welche uns nun, eben weil &#x017F;ie mit Nothwendig-<lb/>
keit einander bedingen und ent&#x017F;prechen, bei oberflächlichem<lb/>
Anblick von einem bewußten Ver&#x017F;tand auf äußerliche Wei&#x017F;e<lb/>
veranlaßt &#x017F;cheinen. Un&#x017F;er reflektirender Ver&#x017F;tand i&#x017F;t die<lb/>
einzige Ur&#x017F;ache die&#x017F;er &#x017F;cheinbaren Zweckmäßigkeit, welche<lb/>
weiter nichts i&#x017F;t, als die nothwendige Folge des Be-<lb/>
gegnens natürlicher Stoffe und Kräfte. So &#x017F;taunt nach<lb/>
Kant un&#x017F;er Ver&#x017F;tand ein Wunder an, das er &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;chaffen hat. Wie können wir von Zweckmäßigkeit<lb/>
reden, da wir ja die Dinge nur in die&#x017F;er <hi rendition="#g">einen</hi> gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Ge&#x017F;talt und Form kennen und keine Ahnung davon haben,<lb/>
wie &#x017F;ie uns in irgend einer anderen Ge&#x017F;talt und Form<lb/>
er&#x017F;cheinen würden! Die Bäume wach&#x017F;en nicht in den<lb/>
Himmel &#x2014; nebenbei ge&#x017F;agt, aus &#x017F;ehr natürlichen Grün-<lb/>
den. Welches Recht haben wir nun, zu &#x017F;agen: Es<lb/>
i&#x017F;t zweckmäßig, daß die Bäume nicht in den Himmel<lb/>
wach&#x017F;en? Es könnte vielleicht &#x017F;ehr zweckmäßig &#x017F;ein,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0115] griffen ziemlich allgemein emancipirt, und überläßt es der Schullehrerweisheit, dergleichen unſchuldige Studien mit den kindlichen Bewohnern ihrer Hörſäle fortzuſetzen. Die Combinationen natürlicher Stoffe und Kräfte mußten, indem ſie ſich einander begegnend mannigfaltigen Formen des Daſeins ihre Entſtehung gaben, ſich zugleich in einer gewiſſen Weiſe gegenſeitig abgrenzen, bedingen und dadurch Einrichtungen hervorrufen, welche ſich in einer gewiſſen zweckentſprechenden Weiſe einander begeg- nen und welche uns nun, eben weil ſie mit Nothwendig- keit einander bedingen und entſprechen, bei oberflächlichem Anblick von einem bewußten Verſtand auf äußerliche Weiſe veranlaßt ſcheinen. Unſer reflektirender Verſtand iſt die einzige Urſache dieſer ſcheinbaren Zweckmäßigkeit, welche weiter nichts iſt, als die nothwendige Folge des Be- gegnens natürlicher Stoffe und Kräfte. So ſtaunt nach Kant unſer Verſtand ein Wunder an, das er ſelbſt erſt geſchaffen hat. Wie können wir von Zweckmäßigkeit reden, da wir ja die Dinge nur in dieſer einen gewiſſen Geſtalt und Form kennen und keine Ahnung davon haben, wie ſie uns in irgend einer anderen Geſtalt und Form erſcheinen würden! Die Bäume wachſen nicht in den Himmel — nebenbei geſagt, aus ſehr natürlichen Grün- den. Welches Recht haben wir nun, zu ſagen: Es iſt zweckmäßig, daß die Bäume nicht in den Himmel wachſen? Es könnte vielleicht ſehr zweckmäßig ſein,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/115
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/115>, abgerufen am 23.11.2024.