Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

naturwissenschaftlichen Begriffen Vertraute wollte alsdann
leugnen, daß einst Verhältnisse müssen bestanden haben
können, unter denen auch in der höheren Thierwelt ein
solcher Vorgang möglich ward, oder unter denen ein Affe,
ja irgend ein beliebiges anderes Thier einen Menschen
gebar! Man wird von nun an, im Angesichte einer solchen
Thatsache und im Hinblick auf das, was wir über die
anders gestalteten äußeren Zustände der Erdoberfläche
in vorweltlicher Zeit erfahren haben, nicht mehr Denje-
nigen, welche die organische Schöpfung aus allmähligen
Verwandlungen hervorgehen lassen, antworten können:
Warum geschieht es heute nicht mehr? Man wird nicht
mehr nöthig haben, den Menschen, wie es Oken that,
aus dem Meerschlamm entstehen zu lassen, und eben-
sowenig wird man nöthig haben, mit der bornirten und
in scholastischem Wust und Unsinn erstickenden Mönchs-
weisheit des Mittelalters endlose Streitigkeiten darüber
aufzuführen, ob der erste Mensch einen Nabel gehabt
habe oder nicht. -- Mit dieser Anerkennung eines Gesetzes
der Verwandlungen in diesem Sinne, wobei die Ver-
wandlung nicht, wie es die alte naturphilosophische Schule
wollte, eine ganz allmählige, sondern eine mehr
sprungweise und schon in der embryonalen Entwicklung
jedesmal vorhandene gewesen sein muß, ist ein Anhalts-
punkt für die Beurtheilung der ganzen Frage nach dem
Woher? der organischen Wesen gewonnen. Aus dem

naturwiſſenſchaftlichen Begriffen Vertraute wollte alsdann
leugnen, daß einſt Verhältniſſe müſſen beſtanden haben
können, unter denen auch in der höheren Thierwelt ein
ſolcher Vorgang möglich ward, oder unter denen ein Affe,
ja irgend ein beliebiges anderes Thier einen Menſchen
gebar! Man wird von nun an, im Angeſichte einer ſolchen
Thatſache und im Hinblick auf das, was wir über die
anders geſtalteten äußeren Zuſtände der Erdoberfläche
in vorweltlicher Zeit erfahren haben, nicht mehr Denje-
nigen, welche die organiſche Schöpfung aus allmähligen
Verwandlungen hervorgehen laſſen, antworten können:
Warum geſchieht es heute nicht mehr? Man wird nicht
mehr nöthig haben, den Menſchen, wie es Oken that,
aus dem Meerſchlamm entſtehen zu laſſen, und eben-
ſowenig wird man nöthig haben, mit der bornirten und
in ſcholaſtiſchem Wuſt und Unſinn erſtickenden Mönchs-
weisheit des Mittelalters endloſe Streitigkeiten darüber
aufzuführen, ob der erſte Menſch einen Nabel gehabt
habe oder nicht. — Mit dieſer Anerkennung eines Geſetzes
der Verwandlungen in dieſem Sinne, wobei die Ver-
wandlung nicht, wie es die alte naturphiloſophiſche Schule
wollte, eine ganz allmählige, ſondern eine mehr
ſprungweiſe und ſchon in der embryonalen Entwicklung
jedesmal vorhandene geweſen ſein muß, iſt ein Anhalts-
punkt für die Beurtheilung der ganzen Frage nach dem
Woher? der organiſchen Weſen gewonnen. Aus dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0107" n="87"/>
naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Begriffen Vertraute wollte alsdann<lb/>
leugnen, daß ein&#x017F;t Verhältni&#x017F;&#x017F;e mü&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;tanden haben<lb/>
können, unter denen auch in der höheren Thierwelt ein<lb/>
&#x017F;olcher Vorgang möglich ward, oder unter denen ein Affe,<lb/>
ja irgend ein beliebiges anderes Thier einen Men&#x017F;chen<lb/>
gebar! Man wird von nun an, im Ange&#x017F;ichte einer &#x017F;olchen<lb/>
That&#x017F;ache und im Hinblick auf das, was wir über die<lb/>
anders ge&#x017F;talteten äußeren Zu&#x017F;tände der Erdoberfläche<lb/>
in vorweltlicher Zeit erfahren haben, nicht mehr Denje-<lb/>
nigen, welche die organi&#x017F;che Schöpfung aus allmähligen<lb/>
Verwandlungen hervorgehen la&#x017F;&#x017F;en, antworten können:<lb/>
Warum ge&#x017F;chieht es heute nicht mehr? Man wird nicht<lb/>
mehr nöthig haben, den Men&#x017F;chen, wie es <hi rendition="#g">Oken</hi> that,<lb/>
aus dem <hi rendition="#g">Meer&#x017F;chlamm</hi> ent&#x017F;tehen zu la&#x017F;&#x017F;en, und eben-<lb/>
&#x017F;owenig wird man nöthig haben, mit der bornirten und<lb/>
in &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;chem Wu&#x017F;t und Un&#x017F;inn er&#x017F;tickenden Mönchs-<lb/>
weisheit des Mittelalters endlo&#x017F;e Streitigkeiten darüber<lb/>
aufzuführen, ob der er&#x017F;te Men&#x017F;ch einen <hi rendition="#g">Nabel</hi> gehabt<lb/>
habe oder nicht. &#x2014; Mit die&#x017F;er Anerkennung eines Ge&#x017F;etzes<lb/>
der Verwandlungen in <hi rendition="#g">die&#x017F;em</hi> Sinne, wobei die Ver-<lb/>
wandlung nicht, wie es die alte naturphilo&#x017F;ophi&#x017F;che Schule<lb/>
wollte, eine <hi rendition="#g">ganz allmählige,</hi> &#x017F;ondern eine mehr<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;prungwei&#x017F;e</hi> und &#x017F;chon in der embryonalen Entwicklung<lb/>
jedesmal vorhandene gewe&#x017F;en &#x017F;ein muß, i&#x017F;t ein Anhalts-<lb/>
punkt für die Beurtheilung der ganzen Frage nach dem<lb/>
Woher? der organi&#x017F;chen We&#x017F;en gewonnen. Aus dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0107] naturwiſſenſchaftlichen Begriffen Vertraute wollte alsdann leugnen, daß einſt Verhältniſſe müſſen beſtanden haben können, unter denen auch in der höheren Thierwelt ein ſolcher Vorgang möglich ward, oder unter denen ein Affe, ja irgend ein beliebiges anderes Thier einen Menſchen gebar! Man wird von nun an, im Angeſichte einer ſolchen Thatſache und im Hinblick auf das, was wir über die anders geſtalteten äußeren Zuſtände der Erdoberfläche in vorweltlicher Zeit erfahren haben, nicht mehr Denje- nigen, welche die organiſche Schöpfung aus allmähligen Verwandlungen hervorgehen laſſen, antworten können: Warum geſchieht es heute nicht mehr? Man wird nicht mehr nöthig haben, den Menſchen, wie es Oken that, aus dem Meerſchlamm entſtehen zu laſſen, und eben- ſowenig wird man nöthig haben, mit der bornirten und in ſcholaſtiſchem Wuſt und Unſinn erſtickenden Mönchs- weisheit des Mittelalters endloſe Streitigkeiten darüber aufzuführen, ob der erſte Menſch einen Nabel gehabt habe oder nicht. — Mit dieſer Anerkennung eines Geſetzes der Verwandlungen in dieſem Sinne, wobei die Ver- wandlung nicht, wie es die alte naturphiloſophiſche Schule wollte, eine ganz allmählige, ſondern eine mehr ſprungweiſe und ſchon in der embryonalen Entwicklung jedesmal vorhandene geweſen ſein muß, iſt ein Anhalts- punkt für die Beurtheilung der ganzen Frage nach dem Woher? der organiſchen Weſen gewonnen. Aus dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/107
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/107>, abgerufen am 23.11.2024.