Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

zügigkeit, oder es waren die Erziehungsmittel des Merkanti-
lismus, wie die Monopole und Privilegien, welche weg-
fallen konnten, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten.

In Beziehung auf die Entwickelung der Volkswirt-
schaft hat der Liberalismus der letzten hundert Jahre nur
fortgeführt was der Absolutismus begonnen hatte. Wenn
man das so ausspricht, so kann es leicht paradox erscheinen.
Denn äußerlich betrachtet hat der Liberalismus nur zerstört;
er hat die überlebten Organisationsformen der Haus- und
Stadtwirtschaft zerschlagen und nichts Neues aufgebaut.
Er hat die Sonderstellung und die Sonderrechte einzelner
Landesteile und einzelner sozialer Gruppen beseitigt, freie
Konkurrenz und Rechtsgleichheit an die Stelle gesetzt. Aber
wenn er so das Ueberkommene in seine Elemente aufgelöst
hat, so hat er zugleich die Bahn für wirklich volks wirt-
schaftliche Neugestaltungen freigemacht, und er hat es er-
möglicht, daß gemäß dem jeweiligen Entwickelungsstande
der Technik jede Kraft an der Stelle in den Dienst des
Ganzen treten kann, wo sie diesem am meisten nützt.

Hat der Liberalismus die ganze Fortentwicklung der
Volkswirtschaft auf den Boden der freien gesellschaftlichen
Bethätigung gestellt und darum vielfach eine geradezu staats-
feindliche Richtung eingehalten, so hat er doch nicht zu
verhindern vermocht, daß der moderne Staat als solcher
sich in der Richtung weiter ausgebildet hat, welche er seit
dem XVI. Jahrhundert eingeschlagen hatte: in der Richtung
eines immer engeren Zusammenschlusses aller Teile des

zügigkeit, oder es waren die Erziehungsmittel des Merkanti-
lismus, wie die Monopole und Privilegien, welche weg-
fallen konnten, nachdem ſie ihren Zweck erfüllt hatten.

In Beziehung auf die Entwickelung der Volkswirt-
ſchaft hat der Liberalismus der letzten hundert Jahre nur
fortgeführt was der Abſolutismus begonnen hatte. Wenn
man das ſo ausſpricht, ſo kann es leicht paradox erſcheinen.
Denn äußerlich betrachtet hat der Liberalismus nur zerſtört;
er hat die überlebten Organiſationsformen der Haus- und
Stadtwirtſchaft zerſchlagen und nichts Neues aufgebaut.
Er hat die Sonderſtellung und die Sonderrechte einzelner
Landesteile und einzelner ſozialer Gruppen beſeitigt, freie
Konkurrenz und Rechtsgleichheit an die Stelle geſetzt. Aber
wenn er ſo das Ueberkommene in ſeine Elemente aufgelöſt
hat, ſo hat er zugleich die Bahn für wirklich volks wirt-
ſchaftliche Neugeſtaltungen freigemacht, und er hat es er-
möglicht, daß gemäß dem jeweiligen Entwickelungsſtande
der Technik jede Kraft an der Stelle in den Dienſt des
Ganzen treten kann, wo ſie dieſem am meiſten nützt.

Hat der Liberalismus die ganze Fortentwicklung der
Volkswirtſchaft auf den Boden der freien geſellſchaftlichen
Bethätigung geſtellt und darum vielfach eine geradezu ſtaats-
feindliche Richtung eingehalten, ſo hat er doch nicht zu
verhindern vermocht, daß der moderne Staat als ſolcher
ſich in der Richtung weiter ausgebildet hat, welche er ſeit
dem XVI. Jahrhundert eingeſchlagen hatte: in der Richtung
eines immer engeren Zuſammenſchluſſes aller Teile des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="74"/>
zügigkeit, oder es waren die Erziehungsmittel des Merkanti-<lb/>
lismus, wie die Monopole und Privilegien, welche weg-<lb/>
fallen konnten, nachdem &#x017F;ie ihren Zweck erfüllt hatten.</p><lb/>
          <p>In Beziehung auf die Entwickelung der Volkswirt-<lb/>
&#x017F;chaft hat der Liberalismus der letzten hundert Jahre nur<lb/>
fortgeführt was der Ab&#x017F;olutismus begonnen hatte. Wenn<lb/>
man das &#x017F;o aus&#x017F;pricht, &#x017F;o kann es leicht paradox er&#x017F;cheinen.<lb/>
Denn äußerlich betrachtet hat der Liberalismus nur zer&#x017F;tört;<lb/>
er hat die überlebten Organi&#x017F;ationsformen der Haus- und<lb/>
Stadtwirt&#x017F;chaft zer&#x017F;chlagen und nichts Neues aufgebaut.<lb/>
Er hat die Sonder&#x017F;tellung und die Sonderrechte einzelner<lb/>
Landesteile und einzelner &#x017F;ozialer Gruppen be&#x017F;eitigt, freie<lb/>
Konkurrenz und Rechtsgleichheit an die Stelle ge&#x017F;etzt. Aber<lb/>
wenn er &#x017F;o das Ueberkommene in &#x017F;eine Elemente aufgelö&#x017F;t<lb/>
hat, &#x017F;o hat er zugleich die Bahn für wirklich <hi rendition="#g">volks</hi> wirt-<lb/>
&#x017F;chaftliche Neuge&#x017F;taltungen freigemacht, und er hat es er-<lb/>
möglicht, daß gemäß dem jeweiligen Entwickelungs&#x017F;tande<lb/>
der Technik jede Kraft an der Stelle in den Dien&#x017F;t des<lb/>
Ganzen treten <hi rendition="#g">kann</hi>, wo &#x017F;ie die&#x017F;em am mei&#x017F;ten nützt.</p><lb/>
          <p>Hat der Liberalismus die ganze Fortentwicklung der<lb/>
Volkswirt&#x017F;chaft auf den Boden der freien ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
Bethätigung ge&#x017F;tellt und darum vielfach eine geradezu &#x017F;taats-<lb/>
feindliche Richtung eingehalten, &#x017F;o hat er doch nicht zu<lb/>
verhindern vermocht, daß der moderne Staat als &#x017F;olcher<lb/>
&#x017F;ich in der Richtung weiter ausgebildet hat, welche er &#x017F;eit<lb/>
dem <hi rendition="#aq">XVI.</hi> Jahrhundert einge&#x017F;chlagen hatte: in der Richtung<lb/>
eines immer engeren Zu&#x017F;ammen&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es aller Teile des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0088] zügigkeit, oder es waren die Erziehungsmittel des Merkanti- lismus, wie die Monopole und Privilegien, welche weg- fallen konnten, nachdem ſie ihren Zweck erfüllt hatten. In Beziehung auf die Entwickelung der Volkswirt- ſchaft hat der Liberalismus der letzten hundert Jahre nur fortgeführt was der Abſolutismus begonnen hatte. Wenn man das ſo ausſpricht, ſo kann es leicht paradox erſcheinen. Denn äußerlich betrachtet hat der Liberalismus nur zerſtört; er hat die überlebten Organiſationsformen der Haus- und Stadtwirtſchaft zerſchlagen und nichts Neues aufgebaut. Er hat die Sonderſtellung und die Sonderrechte einzelner Landesteile und einzelner ſozialer Gruppen beſeitigt, freie Konkurrenz und Rechtsgleichheit an die Stelle geſetzt. Aber wenn er ſo das Ueberkommene in ſeine Elemente aufgelöſt hat, ſo hat er zugleich die Bahn für wirklich volks wirt- ſchaftliche Neugeſtaltungen freigemacht, und er hat es er- möglicht, daß gemäß dem jeweiligen Entwickelungsſtande der Technik jede Kraft an der Stelle in den Dienſt des Ganzen treten kann, wo ſie dieſem am meiſten nützt. Hat der Liberalismus die ganze Fortentwicklung der Volkswirtſchaft auf den Boden der freien geſellſchaftlichen Bethätigung geſtellt und darum vielfach eine geradezu ſtaats- feindliche Richtung eingehalten, ſo hat er doch nicht zu verhindern vermocht, daß der moderne Staat als ſolcher ſich in der Richtung weiter ausgebildet hat, welche er ſeit dem XVI. Jahrhundert eingeſchlagen hatte: in der Richtung eines immer engeren Zuſammenſchluſſes aller Teile des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/88
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/88>, abgerufen am 27.11.2024.