der ursprünglich allein dafür bestimmte abgegrenzte Raum, zum Markte; der Marktfrieden wurde zum Stadtfrieden, und zur Aufrechterhaltung des letzteren wurde die Stadt als besonderer Gerichtsbezirk aus dem Landrechtsverbande ausgeschieden. Es bildete sich der Grundsatz: "Städtische Luft macht frei", und damit entstand eine sozialrechtliche Kluft zwischen Bürger und Bauer, die man im XIII. und XIV. Jahrhundert vergebens durch das Aus- und Pfahl- bürgertum zu überbrücken suchte. Der Name Bürger be- schränkte sich schließlich auf die ansässigen Glieder der Stadt- gemeinde, und die Zeit gab diesem Namen einen rechtlichen und sittlichen Inhalt, in welchem die Staatsidee der alten Hellenen wieder lebendig geworden zu sein schien.
Uns darf hier weder die Entwicklung der Stadtver- fassung mit ihrer genossenschaftlich abgestuften Selbstver- waltung noch die politische Machtstellung weiter beschäftigen, zu welcher die Städte in Deutschland, Frankreich und Italien im späteren Mittelalter gelangten. Wir haben es nur mit der ausgereiften wirtschaftlichen Organisation zu thun, deren Kernpunkte diese Städte bildeten.
Wenn wir eine Karte des alten Deutschen Reiches zur Hand nehmen und auf derselben die Orte bezeichnen, welchen bis zu Ende des Mittelalters Stadtrecht verliehen worden ist (es mögen ihrer etwa 3000 gewesen sein), so erblicken wir das ganze Land in Abständen von durchschnittlich 4--5 Wegstunden im Süden und Westen, von 7--8 Stunden im Norden und Osten mit Städten übersäet. Nicht alle
Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft. 4
der urſprünglich allein dafür beſtimmte abgegrenzte Raum, zum Markte; der Marktfrieden wurde zum Stadtfrieden, und zur Aufrechterhaltung des letzteren wurde die Stadt als beſonderer Gerichtsbezirk aus dem Landrechtsverbande ausgeſchieden. Es bildete ſich der Grundſatz: „Städtiſche Luft macht frei“, und damit entſtand eine ſozialrechtliche Kluft zwiſchen Bürger und Bauer, die man im XIII. und XIV. Jahrhundert vergebens durch das Aus- und Pfahl- bürgertum zu überbrücken ſuchte. Der Name Bürger be- ſchränkte ſich ſchließlich auf die anſäſſigen Glieder der Stadt- gemeinde, und die Zeit gab dieſem Namen einen rechtlichen und ſittlichen Inhalt, in welchem die Staatsidee der alten Hellenen wieder lebendig geworden zu ſein ſchien.
Uns darf hier weder die Entwicklung der Stadtver- faſſung mit ihrer genoſſenſchaftlich abgeſtuften Selbſtver- waltung noch die politiſche Machtſtellung weiter beſchäftigen, zu welcher die Städte in Deutſchland, Frankreich und Italien im ſpäteren Mittelalter gelangten. Wir haben es nur mit der ausgereiften wirtſchaftlichen Organiſation zu thun, deren Kernpunkte dieſe Städte bildeten.
Wenn wir eine Karte des alten Deutſchen Reiches zur Hand nehmen und auf derſelben die Orte bezeichnen, welchen bis zu Ende des Mittelalters Stadtrecht verliehen worden iſt (es mögen ihrer etwa 3000 geweſen ſein), ſo erblicken wir das ganze Land in Abſtänden von durchſchnittlich 4—5 Wegſtunden im Süden und Weſten, von 7—8 Stunden im Norden und Oſten mit Städten überſäet. Nicht alle
Bücher, Die Entſtehung der Volkswirtſchaft. 4
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der urſprünglich allein dafür beſtimmte abgegrenzte Raum,
zum Markte; der Marktfrieden wurde zum Stadtfrieden,
und zur Aufrechterhaltung des letzteren wurde die Stadt
als beſonderer Gerichtsbezirk aus dem Landrechtsverbande
ausgeſchieden. Es bildete ſich der Grundſatz: „Städtiſche
Luft macht frei“, und damit entſtand eine ſozialrechtliche
Kluft zwiſchen Bürger und Bauer, die man im XIII. und
XIV. Jahrhundert vergebens durch das Aus- und Pfahl-
bürgertum zu überbrücken ſuchte. Der Name Bürger be-
ſchränkte ſich ſchließlich auf die anſäſſigen Glieder der Stadt-
gemeinde, und die Zeit gab dieſem Namen einen rechtlichen
und ſittlichen Inhalt, in welchem die Staatsidee der alten
Hellenen wieder lebendig geworden zu ſein ſchien.
Uns darf hier weder die Entwicklung der Stadtver-
faſſung mit ihrer genoſſenſchaftlich abgeſtuften Selbſtver-
waltung noch die politiſche Machtſtellung weiter beſchäftigen,
zu welcher die Städte in Deutſchland, Frankreich und Italien
im ſpäteren Mittelalter gelangten. Wir haben es nur mit
der ausgereiften wirtſchaftlichen Organiſation zu thun, deren
Kernpunkte dieſe Städte bildeten.
Wenn wir eine Karte des alten Deutſchen Reiches zur
Hand nehmen und auf derſelben die Orte bezeichnen, welchen
bis zu Ende des Mittelalters Stadtrecht verliehen worden
iſt (es mögen ihrer etwa 3000 geweſen ſein), ſo erblicken
wir das ganze Land in Abſtänden von durchſchnittlich
4—5 Wegſtunden im Süden und Weſten, von 7—8 Stunden
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/63>, abgerufen am 31.07.2024.
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