duktion und Haushalt, und wo sich individuelle Geschick- lichkeit hervorthut, findet sie in der Bethätigung für die eigene Sippe ihre Aufgabe, aber auch ihre Schranke. Die Gefühle der Brüderlichkeit, der kindlichen Pietät, der Ach- tung vor dem Alter, der Unterordnung und Fügsamkeit ge- langen in solcher Gemeinschaft zur schönsten Entfaltung. Wie die Sippe für den Einzelnen das Wergeld zahlt oder eine ihm widerfahrene Unbill rächt, so weiht wieder der Einzelne der Sippe sein ganzes Leben und opfert ihr jede Regung der Selbständigkeit.
Und selbst wenn die Stärke dieser Gefühle nachläßt, tritt nicht sofort die moderne Einzelfamilie mit voller Son- derwirtschaft auf. Denn ihre Entstehung hätte eine Schwä- chung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, ein Aufgeben der autonomen Hauswirtschaft, vielleicht ein Zurücksinken in die Barbarei zur sichern Folge gehabt. Um dies zu ver- meiden gab es zwei Mittel.
Das eine bestand darin, daß man für solche Wirt- schaftsaufgaben, denen die kleiner gewordene Familie nicht mehr gewachsen war, die älteren großen Geschlechts- oder Stammverbände als lokale Organisationen fortbestehen ließ. Diese örtlichen Verbände, welche auf der Grundlage ge- meinsamen Eigentums und gemeinsamer Nutzung desselben partielle Gemeinwirtschaften bildeten, konnten unter Um- ständen auch Aufgaben übernehmen, deren Wahrnehmung in jedem einzelnen Hause zu unwirtschaftlicher Kräftever- schwendung geführt haben würde (z. B. das Hüten des
duktion und Haushalt, und wo ſich individuelle Geſchick- lichkeit hervorthut, findet ſie in der Bethätigung für die eigene Sippe ihre Aufgabe, aber auch ihre Schranke. Die Gefühle der Brüderlichkeit, der kindlichen Pietät, der Ach- tung vor dem Alter, der Unterordnung und Fügſamkeit ge- langen in ſolcher Gemeinſchaft zur ſchönſten Entfaltung. Wie die Sippe für den Einzelnen das Wergeld zahlt oder eine ihm widerfahrene Unbill rächt, ſo weiht wieder der Einzelne der Sippe ſein ganzes Leben und opfert ihr jede Regung der Selbſtändigkeit.
Und ſelbſt wenn die Stärke dieſer Gefühle nachläßt, tritt nicht ſofort die moderne Einzelfamilie mit voller Son- derwirtſchaft auf. Denn ihre Entſtehung hätte eine Schwä- chung der wirtſchaftlichen Leiſtungsfähigkeit, ein Aufgeben der autonomen Hauswirtſchaft, vielleicht ein Zurückſinken in die Barbarei zur ſichern Folge gehabt. Um dies zu ver- meiden gab es zwei Mittel.
Das eine beſtand darin, daß man für ſolche Wirt- ſchaftsaufgaben, denen die kleiner gewordene Familie nicht mehr gewachſen war, die älteren großen Geſchlechts- oder Stammverbände als lokale Organiſationen fortbeſtehen ließ. Dieſe örtlichen Verbände, welche auf der Grundlage ge- meinſamen Eigentums und gemeinſamer Nutzung desſelben partielle Gemeinwirtſchaften bildeten, konnten unter Um- ſtänden auch Aufgaben übernehmen, deren Wahrnehmung in jedem einzelnen Hauſe zu unwirtſchaftlicher Kräftever- ſchwendung geführt haben würde (z. B. das Hüten des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0034"n="20"/>
duktion und Haushalt, und wo ſich individuelle Geſchick-<lb/>
lichkeit hervorthut, findet ſie in der Bethätigung für die<lb/>
eigene Sippe ihre Aufgabe, aber auch ihre Schranke. Die<lb/>
Gefühle der Brüderlichkeit, der kindlichen Pietät, der Ach-<lb/>
tung vor dem Alter, der Unterordnung und Fügſamkeit ge-<lb/>
langen in ſolcher Gemeinſchaft zur ſchönſten Entfaltung.<lb/>
Wie die Sippe für den Einzelnen das Wergeld zahlt oder<lb/>
eine ihm widerfahrene Unbill rächt, ſo weiht wieder der<lb/>
Einzelne der Sippe ſein ganzes Leben und opfert ihr jede<lb/>
Regung der Selbſtändigkeit.</p><lb/><p>Und ſelbſt wenn die Stärke dieſer Gefühle nachläßt,<lb/>
tritt nicht ſofort die moderne Einzelfamilie mit voller Son-<lb/>
derwirtſchaft auf. Denn ihre Entſtehung hätte eine Schwä-<lb/>
chung der wirtſchaftlichen Leiſtungsfähigkeit, ein Aufgeben<lb/>
der autonomen Hauswirtſchaft, vielleicht ein Zurückſinken<lb/>
in die Barbarei zur ſichern Folge gehabt. Um dies zu ver-<lb/>
meiden gab es zwei Mittel.</p><lb/><p>Das <hirendition="#g">eine</hi> beſtand darin, daß man für ſolche Wirt-<lb/>ſchaftsaufgaben, denen die kleiner gewordene Familie nicht<lb/>
mehr gewachſen war, die älteren großen Geſchlechts- oder<lb/>
Stammverbände als lokale Organiſationen fortbeſtehen ließ.<lb/>
Dieſe örtlichen Verbände, welche auf der Grundlage ge-<lb/>
meinſamen Eigentums und gemeinſamer Nutzung desſelben<lb/>
partielle Gemeinwirtſchaften bildeten, konnten unter Um-<lb/>ſtänden auch Aufgaben übernehmen, deren Wahrnehmung<lb/>
in jedem einzelnen Hauſe zu unwirtſchaftlicher Kräftever-<lb/>ſchwendung geführt haben würde (z. B. das Hüten des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[20/0034]
duktion und Haushalt, und wo ſich individuelle Geſchick-
lichkeit hervorthut, findet ſie in der Bethätigung für die
eigene Sippe ihre Aufgabe, aber auch ihre Schranke. Die
Gefühle der Brüderlichkeit, der kindlichen Pietät, der Ach-
tung vor dem Alter, der Unterordnung und Fügſamkeit ge-
langen in ſolcher Gemeinſchaft zur ſchönſten Entfaltung.
Wie die Sippe für den Einzelnen das Wergeld zahlt oder
eine ihm widerfahrene Unbill rächt, ſo weiht wieder der
Einzelne der Sippe ſein ganzes Leben und opfert ihr jede
Regung der Selbſtändigkeit.
Und ſelbſt wenn die Stärke dieſer Gefühle nachläßt,
tritt nicht ſofort die moderne Einzelfamilie mit voller Son-
derwirtſchaft auf. Denn ihre Entſtehung hätte eine Schwä-
chung der wirtſchaftlichen Leiſtungsfähigkeit, ein Aufgeben
der autonomen Hauswirtſchaft, vielleicht ein Zurückſinken
in die Barbarei zur ſichern Folge gehabt. Um dies zu ver-
meiden gab es zwei Mittel.
Das eine beſtand darin, daß man für ſolche Wirt-
ſchaftsaufgaben, denen die kleiner gewordene Familie nicht
mehr gewachſen war, die älteren großen Geſchlechts- oder
Stammverbände als lokale Organiſationen fortbeſtehen ließ.
Dieſe örtlichen Verbände, welche auf der Grundlage ge-
meinſamen Eigentums und gemeinſamer Nutzung desſelben
partielle Gemeinwirtſchaften bildeten, konnten unter Um-
ſtänden auch Aufgaben übernehmen, deren Wahrnehmung
in jedem einzelnen Hauſe zu unwirtſchaftlicher Kräftever-
ſchwendung geführt haben würde (z. B. das Hüten des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/34>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.