die anfangs nach dem Mutterrecht, später nach dem Vater- recht organisiert sind, gemeinsames Eigentum haben, ge- meinsame Wirtschaft führen und einen gemeinsamen Rechts- schutzverband bilden. Der Mensch außerhalb der Geschlechts- verbindung ist vogelfrei; er hat keine rechtliche und wirt- schaftliche Existenz, keine Hülfe in der Not, keinen Rächer, wenn er erschlagen wird, kein Grabgeleite, wenn er zur letzten Ruhe eingeht.
Diese Familienverfassung findet sich regelmäßig bei Jäger- und Hirtenvölkern; aber auch wo mit dem Fort- schritte des Ackerbaus feste Niederlassung notwendig wird, erfolgt dieselbe gewöhnlich in der Weise, daß die Geschlechts- genossen zusammen große Gemeinschaftshäuser, Höfe, Dörfer gründen. Im gesicherten Besitze des Bodens lockert sich der Gemeinsinn; es scheiden sich wohl aus dem großen Verbande engere patriarchale Hausgemeinschaften mit ge- ringerer Personenzahl aus, wie sie noch heute die Zadruga der Südslaven, die Großfamilie der Russen, der Kaukasus- völker, der Hindu repräsentieren. Aber noch Jahrhunderte lang besitzen die Hausgemeinschaften des Dorfes den Boden im Gesamteigentum, bebauen ihn auch wohl noch eine Zeit lang in gemeinsamer Arbeit, während jedes Haus die Früchte gesondert verbraucht.
In solchen größeren Familienverbänden läßt sich die Arbeitsverteilung in ziemlich weitem Umfange durchführen. Männer und Frauen, Mütter und Kinder, Väter und Groß- väter, jede Gruppe erhält ihre besondere Rolle in Pro-
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die anfangs nach dem Mutterrecht, ſpäter nach dem Vater- recht organiſiert ſind, gemeinſames Eigentum haben, ge- meinſame Wirtſchaft führen und einen gemeinſamen Rechts- ſchutzverband bilden. Der Menſch außerhalb der Geſchlechts- verbindung iſt vogelfrei; er hat keine rechtliche und wirt- ſchaftliche Exiſtenz, keine Hülfe in der Not, keinen Rächer, wenn er erſchlagen wird, kein Grabgeleite, wenn er zur letzten Ruhe eingeht.
Dieſe Familienverfaſſung findet ſich regelmäßig bei Jäger- und Hirtenvölkern; aber auch wo mit dem Fort- ſchritte des Ackerbaus feſte Niederlaſſung notwendig wird, erfolgt dieſelbe gewöhnlich in der Weiſe, daß die Geſchlechts- genoſſen zuſammen große Gemeinſchaftshäuſer, Höfe, Dörfer gründen. Im geſicherten Beſitze des Bodens lockert ſich der Gemeinſinn; es ſcheiden ſich wohl aus dem großen Verbande engere patriarchale Hausgemeinſchaften mit ge- ringerer Perſonenzahl aus, wie ſie noch heute die Zadruga der Südſlaven, die Großfamilie der Ruſſen, der Kaukaſus- völker, der Hindu repräſentieren. Aber noch Jahrhunderte lang beſitzen die Hausgemeinſchaften des Dorfes den Boden im Geſamteigentum, bebauen ihn auch wohl noch eine Zeit lang in gemeinſamer Arbeit, während jedes Haus die Früchte geſondert verbraucht.
In ſolchen größeren Familienverbänden läßt ſich die Arbeitsverteilung in ziemlich weitem Umfange durchführen. Männer und Frauen, Mütter und Kinder, Väter und Groß- väter, jede Gruppe erhält ihre beſondere Rolle in Pro-
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die anfangs nach dem Mutterrecht, ſpäter nach dem Vater-
recht organiſiert ſind, gemeinſames Eigentum haben, ge-
meinſame Wirtſchaft führen und einen gemeinſamen Rechts-
ſchutzverband bilden. Der Menſch außerhalb der Geſchlechts-
verbindung iſt vogelfrei; er hat keine rechtliche und wirt-
ſchaftliche Exiſtenz, keine Hülfe in der Not, keinen Rächer,
wenn er erſchlagen wird, kein Grabgeleite, wenn er zur
letzten Ruhe eingeht.
Dieſe Familienverfaſſung findet ſich regelmäßig bei
Jäger- und Hirtenvölkern; aber auch wo mit dem Fort-
ſchritte des Ackerbaus feſte Niederlaſſung notwendig wird,
erfolgt dieſelbe gewöhnlich in der Weiſe, daß die Geſchlechts-
genoſſen zuſammen große Gemeinſchaftshäuſer, Höfe, Dörfer
gründen. Im geſicherten Beſitze des Bodens lockert ſich
der Gemeinſinn; es ſcheiden ſich wohl aus dem großen
Verbande engere patriarchale Hausgemeinſchaften mit ge-
ringerer Perſonenzahl aus, wie ſie noch heute die Zadruga
der Südſlaven, die Großfamilie der Ruſſen, der Kaukaſus-
völker, der Hindu repräſentieren. Aber noch Jahrhunderte
lang beſitzen die Hausgemeinſchaften des Dorfes den Boden
im Geſamteigentum, bebauen ihn auch wohl noch eine Zeit
lang in gemeinſamer Arbeit, während jedes Haus die Früchte
geſondert verbraucht.
In ſolchen größeren Familienverbänden läßt ſich die
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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