Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

was wir an Bevölkerungszahlen 1) von der zweiten Hälfte
des XVII. Jahrhunderts bis etwa 1820 für einzelne Städte
auftreiben können: sie zeigen bald Rückgang, bald Wachs-
tum in regellosem Wechsel. In Frankreich dagegen scheint
die moderne Bewegung schon um etwa 150 Jahre früher
eingesetzt zu haben; dort spricht man schon im vorigen
Jahrhundert in schlagwortartiger Weise von der "Ent-
völkerung des platten Landes" 2).

Gehen wir dagegen weiter in der Geschichte der euro-
päischen Menschheit zurück, so finden wir zwei Perioden,
welche in großer Ausdehnung die gleiche Erscheinung auf-
weisen: das Altertum, insbesondere die römische Kaiserzeit
und das spätere Mittelalter, namentlich das XIV. und
XV. Jahrhundert. Dazwischen liegen große Zeiträume
des Rückgangs und Verfalls oder doch des Stillstandes.

Wie sind nun jene früheren Perioden der städtischen
Zuwanderung entwicklungsgeschichtlich aufzufassen? Sind
sie verfrühte Anläufe, ein Ziel zu erreichen, das die Ge-
schichte erst unserer Zeit mit ihren vervollkommneten Ver-
kehrsmitteln vorbehalten hat? Oder folgten sie anderen An-
trieben als die entsprechende Bewegung in der Gegenwart
und lieferten darum auch andere Ergebnisse? Vor allem
war ihr populationistisches Resultat und ihr wirtschaftlicher
Charakter der gleiche?

1) Manches dahin gehörige ist zusammengestellt von Inama-
Sternegg
im Handwörterbuch d. Staatsw. II, S. 433 ff.
2) Zeugnisse gesammelt bei Legoyt, Du Progres des Agglo-
merations urbaines et l'Emigration rurale, Marseille 1870, S. 8 ff.

was wir an Bevölkerungszahlen 1) von der zweiten Hälfte
des XVII. Jahrhunderts bis etwa 1820 für einzelne Städte
auftreiben können: ſie zeigen bald Rückgang, bald Wachs-
tum in regelloſem Wechſel. In Frankreich dagegen ſcheint
die moderne Bewegung ſchon um etwa 150 Jahre früher
eingeſetzt zu haben; dort ſpricht man ſchon im vorigen
Jahrhundert in ſchlagwortartiger Weiſe von der „Ent-
völkerung des platten Landes“ 2).

Gehen wir dagegen weiter in der Geſchichte der euro-
päiſchen Menſchheit zurück, ſo finden wir zwei Perioden,
welche in großer Ausdehnung die gleiche Erſcheinung auf-
weiſen: das Altertum, insbeſondere die römiſche Kaiſerzeit
und das ſpätere Mittelalter, namentlich das XIV. und
XV. Jahrhundert. Dazwiſchen liegen große Zeiträume
des Rückgangs und Verfalls oder doch des Stillſtandes.

Wie ſind nun jene früheren Perioden der ſtädtiſchen
Zuwanderung entwicklungsgeſchichtlich aufzufaſſen? Sind
ſie verfrühte Anläufe, ein Ziel zu erreichen, das die Ge-
ſchichte erſt unſerer Zeit mit ihren vervollkommneten Ver-
kehrsmitteln vorbehalten hat? Oder folgten ſie anderen An-
trieben als die entſprechende Bewegung in der Gegenwart
und lieferten darum auch andere Ergebniſſe? Vor allem
war ihr populationiſtiſches Reſultat und ihr wirtſchaftlicher
Charakter der gleiche?

1) Manches dahin gehörige iſt zuſammengeſtellt von Inama-
Sternegg
im Handwörterbuch d. Staatsw. II, S. 433 ff.
2) Zeugniſſe geſammelt bei Legoyt, Du Progrès des Agglo-
mérations urbaines et l’Émigration rurale, Marseille 1870, S. 8 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0307" n="285"/>
was wir an Bevölkerungszahlen <note place="foot" n="1)">Manches dahin gehörige i&#x017F;t zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt von <hi rendition="#g">Inama-<lb/>
Sternegg</hi> im Handwörterbuch d. Staatsw. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 433 ff.</note> von der zweiten Hälfte<lb/>
des <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Jahrhunderts bis etwa 1820 für einzelne Städte<lb/>
auftreiben können: &#x017F;ie zeigen bald Rückgang, bald Wachs-<lb/>
tum in regello&#x017F;em Wech&#x017F;el. In Frankreich dagegen &#x017F;cheint<lb/>
die moderne Bewegung &#x017F;chon um etwa 150 Jahre früher<lb/>
einge&#x017F;etzt zu haben; dort &#x017F;pricht man &#x017F;chon im vorigen<lb/>
Jahrhundert in &#x017F;chlagwortartiger Wei&#x017F;e von der &#x201E;Ent-<lb/>
völkerung des platten Landes&#x201C; <note place="foot" n="2)">Zeugni&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;ammelt bei <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Legoyt</hi>, Du Progrès des Agglo-<lb/>
mérations urbaines et l&#x2019;Émigration rurale, Marseille 1870, S. 8 ff.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Gehen wir dagegen weiter in der Ge&#x017F;chichte der euro-<lb/>
päi&#x017F;chen Men&#x017F;chheit zurück, &#x017F;o finden wir zwei Perioden,<lb/>
welche in großer Ausdehnung die gleiche Er&#x017F;cheinung auf-<lb/>
wei&#x017F;en: das Altertum, insbe&#x017F;ondere die römi&#x017F;che Kai&#x017F;erzeit<lb/>
und das &#x017F;pätere Mittelalter, namentlich das <hi rendition="#aq">XIV.</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">XV.</hi> Jahrhundert. Dazwi&#x017F;chen liegen große Zeiträume<lb/>
des Rückgangs und Verfalls oder doch des Still&#x017F;tandes.</p><lb/>
          <p>Wie &#x017F;ind nun jene früheren Perioden der &#x017F;tädti&#x017F;chen<lb/>
Zuwanderung entwicklungsge&#x017F;chichtlich aufzufa&#x017F;&#x017F;en? Sind<lb/>
&#x017F;ie verfrühte Anläufe, ein Ziel zu erreichen, das die Ge-<lb/>
&#x017F;chichte er&#x017F;t un&#x017F;erer Zeit mit ihren vervollkommneten Ver-<lb/>
kehrsmitteln vorbehalten hat? Oder folgten &#x017F;ie anderen An-<lb/>
trieben als die ent&#x017F;prechende Bewegung in der Gegenwart<lb/>
und lieferten darum auch andere Ergebni&#x017F;&#x017F;e? Vor allem<lb/>
war ihr populationi&#x017F;ti&#x017F;ches Re&#x017F;ultat und ihr wirt&#x017F;chaftlicher<lb/>
Charakter der gleiche?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0307] was wir an Bevölkerungszahlen 1) von der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts bis etwa 1820 für einzelne Städte auftreiben können: ſie zeigen bald Rückgang, bald Wachs- tum in regelloſem Wechſel. In Frankreich dagegen ſcheint die moderne Bewegung ſchon um etwa 150 Jahre früher eingeſetzt zu haben; dort ſpricht man ſchon im vorigen Jahrhundert in ſchlagwortartiger Weiſe von der „Ent- völkerung des platten Landes“ 2). Gehen wir dagegen weiter in der Geſchichte der euro- päiſchen Menſchheit zurück, ſo finden wir zwei Perioden, welche in großer Ausdehnung die gleiche Erſcheinung auf- weiſen: das Altertum, insbeſondere die römiſche Kaiſerzeit und das ſpätere Mittelalter, namentlich das XIV. und XV. Jahrhundert. Dazwiſchen liegen große Zeiträume des Rückgangs und Verfalls oder doch des Stillſtandes. Wie ſind nun jene früheren Perioden der ſtädtiſchen Zuwanderung entwicklungsgeſchichtlich aufzufaſſen? Sind ſie verfrühte Anläufe, ein Ziel zu erreichen, das die Ge- ſchichte erſt unſerer Zeit mit ihren vervollkommneten Ver- kehrsmitteln vorbehalten hat? Oder folgten ſie anderen An- trieben als die entſprechende Bewegung in der Gegenwart und lieferten darum auch andere Ergebniſſe? Vor allem war ihr populationiſtiſches Reſultat und ihr wirtſchaftlicher Charakter der gleiche? 1) Manches dahin gehörige iſt zuſammengeſtellt von Inama- Sternegg im Handwörterbuch d. Staatsw. II, S. 433 ff. 2) Zeugniſſe geſammelt bei Legoyt, Du Progrès des Agglo- mérations urbaines et l’Émigration rurale, Marseille 1870, S. 8 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/307
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/307>, abgerufen am 24.11.2024.