meinungen, welches den ganzen Gegenstand noch immer umgibt, trotz aller Bemühungen der Statistik und der Na- tionalökonomie.
Unter allen Massenerscheinungen des sozialen Lebens, welche der Statistik zugänglich sind, gibt es freilich kaum eine, welche von vornherein so sehr unter das allgemeine Gesetz der Kausalität zu fallen scheint als die Wanderungen, kaum eine aber auch, über deren nächste Verursachung so unklare Vorstellungen herrschen als diese.
Spricht man doch nicht bloß in den Kreisen des großen Publikums und in der Presse sondern sogar in wissen- schaftlichen Werken vom Wandertriebe und stellt damit jene Bewegungen der Menschen von Ort zu Ort außerhalb des Bereiches bewußten Handelns. Ja ein Statistiker hat einen in der Zeitschrift des preußischen statistischen Bureaus von 1873 erschienenen Aufsatz überschrieben: "Heimatsinn und Wandertrieb der preußischen Bevölkerung" -- gleich als ob das Verharren in der Heimat auf bloßer Natur- anlage, das Verlassen derselben auf einem unwiderstehlichen instinktiven Drange beruhte, der dem einen Volke mehr, dem andern weniger zukomme.
Damit steht es denn freilich in seltsamem Widerspruche, daß, während die große Masse der amtlichen statistischen Arbeiten in weiteren Kreisen unbeachtet bleibt, die öffent- liche Meinung auf die Publikation der Auswanderungs- ziffern meist sehr lebhaft sich äußert. An ihr Steigen und Fallen knüpfen sich Furcht und Hoffnung, Beifall und
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meinungen, welches den ganzen Gegenſtand noch immer umgibt, trotz aller Bemühungen der Statiſtik und der Na- tionalökonomie.
Unter allen Maſſenerſcheinungen des ſozialen Lebens, welche der Statiſtik zugänglich ſind, gibt es freilich kaum eine, welche von vornherein ſo ſehr unter das allgemeine Geſetz der Kauſalität zu fallen ſcheint als die Wanderungen, kaum eine aber auch, über deren nächſte Verurſachung ſo unklare Vorſtellungen herrſchen als dieſe.
Spricht man doch nicht bloß in den Kreiſen des großen Publikums und in der Preſſe ſondern ſogar in wiſſen- ſchaftlichen Werken vom Wandertriebe und ſtellt damit jene Bewegungen der Menſchen von Ort zu Ort außerhalb des Bereiches bewußten Handelns. Ja ein Statiſtiker hat einen in der Zeitſchrift des preußiſchen ſtatiſtiſchen Bureaus von 1873 erſchienenen Aufſatz überſchrieben: „Heimatſinn und Wandertrieb der preußiſchen Bevölkerung“ — gleich als ob das Verharren in der Heimat auf bloßer Natur- anlage, das Verlaſſen derſelben auf einem unwiderſtehlichen inſtinktiven Drange beruhte, der dem einen Volke mehr, dem andern weniger zukomme.
Damit ſteht es denn freilich in ſeltſamem Widerſpruche, daß, während die große Maſſe der amtlichen ſtatiſtiſchen Arbeiten in weiteren Kreiſen unbeachtet bleibt, die öffent- liche Meinung auf die Publikation der Auswanderungs- ziffern meiſt ſehr lebhaft ſich äußert. An ihr Steigen und Fallen knüpfen ſich Furcht und Hoffnung, Beifall und
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meinungen, welches den ganzen Gegenſtand noch immer
umgibt, trotz aller Bemühungen der Statiſtik und der Na-
tionalökonomie.
Unter allen Maſſenerſcheinungen des ſozialen Lebens,
welche der Statiſtik zugänglich ſind, gibt es freilich kaum
eine, welche von vornherein ſo ſehr unter das allgemeine
Geſetz der Kauſalität zu fallen ſcheint als die Wanderungen,
kaum eine aber auch, über deren nächſte Verurſachung ſo
unklare Vorſtellungen herrſchen als dieſe.
Spricht man doch nicht bloß in den Kreiſen des großen
Publikums und in der Preſſe ſondern ſogar in wiſſen-
ſchaftlichen Werken vom Wandertriebe und ſtellt damit
jene Bewegungen der Menſchen von Ort zu Ort außerhalb
des Bereiches bewußten Handelns. Ja ein Statiſtiker hat
einen in der Zeitſchrift des preußiſchen ſtatiſtiſchen Bureaus
von 1873 erſchienenen Aufſatz überſchrieben: „Heimatſinn
und Wandertrieb der preußiſchen Bevölkerung“ — gleich
als ob das Verharren in der Heimat auf bloßer Natur-
anlage, das Verlaſſen derſelben auf einem unwiderſtehlichen
inſtinktiven Drange beruhte, der dem einen Volke mehr,
dem andern weniger zukomme.
Damit ſteht es denn freilich in ſeltſamem Widerſpruche,
daß, während die große Maſſe der amtlichen ſtatiſtiſchen
Arbeiten in weiteren Kreiſen unbeachtet bleibt, die öffent-
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/281>, abgerufen am 08.07.2024.
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