seitigen Unterstützung kirchliche Brüderschaften, deren wir auch eine zu Frankfurt finden: die Brüderschaft der Blinden und Lahmen zu den Karmelitern. Die Verbreitung dieser Brüderschaften ist ein Beweis mehr für die Häufigkeit der schweren Gebrechen und Sinnesfehler.
Nach dieser Darlegung wird man eingestehen müssen, daß nicht leicht eine Bevölkerung von Natur ungünstiger zusammengesetzt sein konnte, als diejenige unserer mittel- alterlichen Stadt. Die Ueberzahl der Frauen muß als eine Belastung der Wirtschaft aufgefaßt werden, soweit dieselben nicht bei Haus- und Erwerbsarbeit Verwendung finden konnten. Die Masse der erwerbsunfähigen Gebrechlichen aber bedeutete geradezu eine negative Größe für die Wirt- schaft; denn sie erforderten nicht bloß Unterhalt, sondern auch noch einen besonderen Arbeitsaufwand für Pflege und Ueberwachung von Seiten der Gesunden. Nur die geringe Zahl der Kinder, so sehr sie in populationistischer Hinsicht ihre Bedenken hatte, gestaltet sich vom ökonomischen Gesichts- punkte aus nicht ganz so unvorteilhaft. Kinder sind reine Konsumenten der Volkswirtschaft, von der sie Unterhalts- und Erziehungsaufwand fordern. Kinderarme Familien können unter sonst gleichen Verhältnissen mehr erarbeiten, mehr ersparen, als kinderreiche. Aber dieser Gesichtspunkt, der sich uns in der Gegenwart gebieterisch aufdrängt, konnte im Mittelalter, wo es nicht an Erwerbsgelegenheit, wohl aber an Händen fehlte, keine Rolle spielen. Für eine mittelalterliche Stadt war Kinderarmut ein großes Unglück.
ſeitigen Unterſtützung kirchliche Brüderſchaften, deren wir auch eine zu Frankfurt finden: die Brüderſchaft der Blinden und Lahmen zu den Karmelitern. Die Verbreitung dieſer Brüderſchaften iſt ein Beweis mehr für die Häufigkeit der ſchweren Gebrechen und Sinnesfehler.
Nach dieſer Darlegung wird man eingeſtehen müſſen, daß nicht leicht eine Bevölkerung von Natur ungünſtiger zuſammengeſetzt ſein konnte, als diejenige unſerer mittel- alterlichen Stadt. Die Ueberzahl der Frauen muß als eine Belaſtung der Wirtſchaft aufgefaßt werden, ſoweit dieſelben nicht bei Haus- und Erwerbsarbeit Verwendung finden konnten. Die Maſſe der erwerbsunfähigen Gebrechlichen aber bedeutete geradezu eine negative Größe für die Wirt- ſchaft; denn ſie erforderten nicht bloß Unterhalt, ſondern auch noch einen beſonderen Arbeitsaufwand für Pflege und Ueberwachung von Seiten der Geſunden. Nur die geringe Zahl der Kinder, ſo ſehr ſie in populationiſtiſcher Hinſicht ihre Bedenken hatte, geſtaltet ſich vom ökonomiſchen Geſichts- punkte aus nicht ganz ſo unvorteilhaft. Kinder ſind reine Konſumenten der Volkswirtſchaft, von der ſie Unterhalts- und Erziehungsaufwand fordern. Kinderarme Familien können unter ſonſt gleichen Verhältniſſen mehr erarbeiten, mehr erſparen, als kinderreiche. Aber dieſer Geſichtspunkt, der ſich uns in der Gegenwart gebieteriſch aufdrängt, konnte im Mittelalter, wo es nicht an Erwerbsgelegenheit, wohl aber an Händen fehlte, keine Rolle ſpielen. Für eine mittelalterliche Stadt war Kinderarmut ein großes Unglück.
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ſeitigen Unterſtützung kirchliche Brüderſchaften, deren wir
auch eine zu Frankfurt finden: die Brüderſchaft der Blinden
und Lahmen zu den Karmelitern. Die Verbreitung dieſer
Brüderſchaften iſt ein Beweis mehr für die Häufigkeit der
ſchweren Gebrechen und Sinnesfehler.
Nach dieſer Darlegung wird man eingeſtehen müſſen,
daß nicht leicht eine Bevölkerung von Natur ungünſtiger
zuſammengeſetzt ſein konnte, als diejenige unſerer mittel-
alterlichen Stadt. Die Ueberzahl der Frauen muß als eine
Belaſtung der Wirtſchaft aufgefaßt werden, ſoweit dieſelben
nicht bei Haus- und Erwerbsarbeit Verwendung finden
konnten. Die Maſſe der erwerbsunfähigen Gebrechlichen
aber bedeutete geradezu eine negative Größe für die Wirt-
ſchaft; denn ſie erforderten nicht bloß Unterhalt, ſondern
auch noch einen beſonderen Arbeitsaufwand für Pflege und
Ueberwachung von Seiten der Geſunden. Nur die geringe
Zahl der Kinder, ſo ſehr ſie in populationiſtiſcher Hinſicht
ihre Bedenken hatte, geſtaltet ſich vom ökonomiſchen Geſichts-
punkte aus nicht ganz ſo unvorteilhaft. Kinder ſind reine
Konſumenten der Volkswirtſchaft, von der ſie Unterhalts-
und Erziehungsaufwand fordern. Kinderarme Familien
können unter ſonſt gleichen Verhältniſſen mehr erarbeiten,
mehr erſparen, als kinderreiche. Aber dieſer Geſichtspunkt,
der ſich uns in der Gegenwart gebieteriſch aufdrängt, konnte
im Mittelalter, wo es nicht an Erwerbsgelegenheit, wohl
aber an Händen fehlte, keine Rolle ſpielen. Für eine
mittelalterliche Stadt war Kinderarmut ein großes Unglück.
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/250>, abgerufen am 22.11.2024.
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