sich nicht weniger als 15 Aerztinnen nachweisen; im Jahre 1368 sind von den 11 konzessionierten Wechselstuben 6 in weiblichen Händen; wir finden eine Frau als Pächterin des Leinwandzolles, eine andere als Aufseherin in der Stadtwage.
Diese Beispiele sind sehr lehrreich. Sie zeigen uns einerseits, zu welchen Auskunftsmitteln die Menge unver- sorgter Frauen trieb, anderseits wie man bei der geringen Menschenzahl der Städte genötigt war, alle irgend verfüg- baren Kräfte, selbst die schwächsten, im Dienste des Gemein- wesens einzuspannen.
Aber noch in einer dritten Beziehung gestaltete sich die Gliederung der mittelalterlichen Stadtbevölkerung un- günstig: in Hinsicht auf den Gesundheitszustand. Die Zahl der mit dauernden körperlichen und geistigen Gebrechen Behafteten war eine außerordentlich große.
In erster Linie stehen die Aussätzigen oder Son- dersiechen, die ihr entsetzliches Uebel zur Ausstoßung aus der Gesellschaft verurteilte. Wie verbreitet die furcht- bare Krankheit gerade im XIV. und XV. Jahrhundert ge- wesen ist, läßt sich nur ungefähr an der Zahl und Aus- dehnung der Leprosenhäuser ermessen, die auch in der kleinsten Stadt nicht fehlen durften. In Frankfurt diente diesem Zwecke der außerhalb der Mauer gelegene Gutleuthof. Seine Insassen müssen zahlreich gewesen sein, da sie sogar eine eigene Weinstube hielten.
Auch die Zahl der Lahmen, Blinden, Tauben und
ſich nicht weniger als 15 Aerztinnen nachweiſen; im Jahre 1368 ſind von den 11 konzeſſionierten Wechſelſtuben 6 in weiblichen Händen; wir finden eine Frau als Pächterin des Leinwandzolles, eine andere als Aufſeherin in der Stadtwage.
Dieſe Beiſpiele ſind ſehr lehrreich. Sie zeigen uns einerſeits, zu welchen Auskunftsmitteln die Menge unver- ſorgter Frauen trieb, anderſeits wie man bei der geringen Menſchenzahl der Städte genötigt war, alle irgend verfüg- baren Kräfte, ſelbſt die ſchwächſten, im Dienſte des Gemein- weſens einzuſpannen.
Aber noch in einer dritten Beziehung geſtaltete ſich die Gliederung der mittelalterlichen Stadtbevölkerung un- günſtig: in Hinſicht auf den Geſundheitszuſtand. Die Zahl der mit dauernden körperlichen und geiſtigen Gebrechen Behafteten war eine außerordentlich große.
In erſter Linie ſtehen die Ausſätzigen oder Son- derſiechen, die ihr entſetzliches Uebel zur Ausſtoßung aus der Geſellſchaft verurteilte. Wie verbreitet die furcht- bare Krankheit gerade im XIV. und XV. Jahrhundert ge- weſen iſt, läßt ſich nur ungefähr an der Zahl und Aus- dehnung der Leproſenhäuſer ermeſſen, die auch in der kleinſten Stadt nicht fehlen durften. In Frankfurt diente dieſem Zwecke der außerhalb der Mauer gelegene Gutleuthof. Seine Inſaſſen müſſen zahlreich geweſen ſein, da ſie ſogar eine eigene Weinſtube hielten.
Auch die Zahl der Lahmen, Blinden, Tauben und
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ſich nicht weniger als 15 Aerztinnen nachweiſen; im Jahre
1368 ſind von den 11 konzeſſionierten Wechſelſtuben 6 in
weiblichen Händen; wir finden eine Frau als Pächterin
des Leinwandzolles, eine andere als Aufſeherin in der
Stadtwage.
Dieſe Beiſpiele ſind ſehr lehrreich. Sie zeigen uns
einerſeits, zu welchen Auskunftsmitteln die Menge unver-
ſorgter Frauen trieb, anderſeits wie man bei der geringen
Menſchenzahl der Städte genötigt war, alle irgend verfüg-
baren Kräfte, ſelbſt die ſchwächſten, im Dienſte des Gemein-
weſens einzuſpannen.
Aber noch in einer dritten Beziehung geſtaltete ſich
die Gliederung der mittelalterlichen Stadtbevölkerung un-
günſtig: in Hinſicht auf den Geſundheitszuſtand.
Die Zahl der mit dauernden körperlichen und geiſtigen
Gebrechen Behafteten war eine außerordentlich große.
In erſter Linie ſtehen die Ausſätzigen oder Son-
derſiechen, die ihr entſetzliches Uebel zur Ausſtoßung
aus der Geſellſchaft verurteilte. Wie verbreitet die furcht-
bare Krankheit gerade im XIV. und XV. Jahrhundert ge-
weſen iſt, läßt ſich nur ungefähr an der Zahl und Aus-
dehnung der Leproſenhäuſer ermeſſen, die auch in der
kleinſten Stadt nicht fehlen durften. In Frankfurt diente
dieſem Zwecke der außerhalb der Mauer gelegene Gutleuthof.
Seine Inſaſſen müſſen zahlreich geweſen ſein, da ſie ſogar
eine eigene Weinſtube hielten.
Auch die Zahl der Lahmen, Blinden, Tauben und
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/246>, abgerufen am 31.07.2024.
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