Die römische Zeitung ist ein Glied in der autonomen Güterversorgung des reichen aristokratischen Hauses. Man hält sich einen Zeitungsschreiber, wie man sich einen Leib- arzt oder Bibliothekar hält. Er ist in den meisten Fällen das Eigentum des Zeitungslesers, sein Sklave, der nach den Anweisungen des Herrn arbeitet.
In der geschriebenen Zeitung des XVI. Jahrhunderts waltet der handwerksmäßige Betrieb, der damals alle Zweige höherer wirtschaftlicher Thätigkeit beherrschte. Der Avisen- schreiber liefert auf Bestellung die von ihm gesammelten Nach- richten unmittelbar gegen besonderen Entgelt an einen Kreis von Kunden und richtet sich gewiß auch im Ausmaß des Stoffes nach den Bedürfnissen derselben. Er ist Reporter, Redakteur und Verleger in einer Person.
Die moderne Zeitung ist eine kapitalistische Unter- nehmung, sozusagen eine Neuigkeitenfabrik, in welcher in mannigfach geteilter Arbeit eine große Zahl von Personen (Korrespondenten, Redakteure, Schriftsetzer, Korrektoren, Maschinenpersonal, Annoncensammler, Expeditionsgehilfen, Boten etc.) unter einheitlicher Leitung gegen Lohn beschäftigt werden und die für einen unbekannten Leserkreis, von dem sie oft noch durch Zwischenglieder (Kolporteure, Postanstalten) getrennt ist, Ware erzeugt. Nicht mehr das einfache Be- dürfnis des Lesers oder des Kundenkreises ist für die Qualität dieser Ware maßgebend, sondern die sehr kompli- zierten Konkurrenzverhältnisse des Publizitätsmarktes. Auf diesem Markte spielen aber, wie auf den Großhandels-
Die römiſche Zeitung iſt ein Glied in der autonomen Güterverſorgung des reichen ariſtokratiſchen Hauſes. Man hält ſich einen Zeitungsſchreiber, wie man ſich einen Leib- arzt oder Bibliothekar hält. Er iſt in den meiſten Fällen das Eigentum des Zeitungsleſers, ſein Sklave, der nach den Anweiſungen des Herrn arbeitet.
In der geſchriebenen Zeitung des XVI. Jahrhunderts waltet der handwerksmäßige Betrieb, der damals alle Zweige höherer wirtſchaftlicher Thätigkeit beherrſchte. Der Aviſen- ſchreiber liefert auf Beſtellung die von ihm geſammelten Nach- richten unmittelbar gegen beſonderen Entgelt an einen Kreis von Kunden und richtet ſich gewiß auch im Ausmaß des Stoffes nach den Bedürfniſſen derſelben. Er iſt Reporter, Redakteur und Verleger in einer Perſon.
Die moderne Zeitung iſt eine kapitaliſtiſche Unter- nehmung, ſozuſagen eine Neuigkeitenfabrik, in welcher in mannigfach geteilter Arbeit eine große Zahl von Perſonen (Korreſpondenten, Redakteure, Schriftſetzer, Korrektoren, Maſchinenperſonal, Annoncenſammler, Expeditionsgehilfen, Boten ꝛc.) unter einheitlicher Leitung gegen Lohn beſchäftigt werden und die für einen unbekannten Leſerkreis, von dem ſie oft noch durch Zwiſchenglieder (Kolporteure, Poſtanſtalten) getrennt iſt, Ware erzeugt. Nicht mehr das einfache Be- dürfnis des Leſers oder des Kundenkreiſes iſt für die Qualität dieſer Ware maßgebend, ſondern die ſehr kompli- zierten Konkurrenzverhältniſſe des Publizitätsmarktes. Auf dieſem Markte ſpielen aber, wie auf den Großhandels-
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Die römiſche Zeitung iſt ein Glied in der autonomen
Güterverſorgung des reichen ariſtokratiſchen Hauſes. Man
hält ſich einen Zeitungsſchreiber, wie man ſich einen Leib-
arzt oder Bibliothekar hält. Er iſt in den meiſten Fällen
das Eigentum des Zeitungsleſers, ſein Sklave, der nach
den Anweiſungen des Herrn arbeitet.
In der geſchriebenen Zeitung des XVI. Jahrhunderts
waltet der handwerksmäßige Betrieb, der damals alle Zweige
höherer wirtſchaftlicher Thätigkeit beherrſchte. Der Aviſen-
ſchreiber liefert auf Beſtellung die von ihm geſammelten Nach-
richten unmittelbar gegen beſonderen Entgelt an einen Kreis
von Kunden und richtet ſich gewiß auch im Ausmaß des Stoffes
nach den Bedürfniſſen derſelben. Er iſt Reporter, Redakteur
und Verleger in einer Perſon.
Die moderne Zeitung iſt eine kapitaliſtiſche Unter-
nehmung, ſozuſagen eine Neuigkeitenfabrik, in welcher in
mannigfach geteilter Arbeit eine große Zahl von Perſonen
(Korreſpondenten, Redakteure, Schriftſetzer, Korrektoren,
Maſchinenperſonal, Annoncenſammler, Expeditionsgehilfen,
Boten ꝛc.) unter einheitlicher Leitung gegen Lohn beſchäftigt
werden und die für einen unbekannten Leſerkreis, von dem
ſie oft noch durch Zwiſchenglieder (Kolporteure, Poſtanſtalten)
getrennt iſt, Ware erzeugt. Nicht mehr das einfache Be-
dürfnis des Leſers oder des Kundenkreiſes iſt für die
Qualität dieſer Ware maßgebend, ſondern die ſehr kompli-
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/229>, abgerufen am 24.11.2024.
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