Aber welches Recht haben wir, das Handwerk als normale Betriebsform zu betrachten und so gleichsam einem Ideale nachzustreben, dessen Verwirklichung in der Ver- gangenheit liegt?
Die älteren Nationalökonomen stellen uns das Hand- werk als die Urform der gewerblichen Produktion dar. "In einem Jäger- oder Hirtenstamme", sagt Adam Smith, "findet sich ein Mensch, der Bogen und Pfeile mit größerer Geschicklichkeit verfertigt als alle anderen. Er tauscht sie gegen Vieh oder Wildpret bei seinen Genossen um und findet schließlich, daß er sich dabei besser steht, als wenn er selbst auf die Jagd ginge. Zuletzt macht er die An- fertigung von Schießgerät zu seiner Hauptbeschäftigung und wird zu einer Art Waffenschmied." Verfolgen wir diese historische Konstruktion zwei Schritte weiter, so wird das Urbild des Handwerkers wahrscheinlich nach einiger Zeit einen Lehrling nehmen und wenn dieser ausgelernt hat, einen zweiten, während der erste sein Geselle wird. Die spätere Entwickelung findet beim besten Willen nichts mehr hinzuzusetzen. Wenn wir heute vom Handwerker sprechen, so denken wir uns einen kleinen Unternehmer, der in wohl- geordneter Stufenfolge vom Lehrling zum Gesellen, vom Gesellen zum Meister geworden ist, der mit eigener Hand und eigenem Kapital für einen örtlich begrenzten Kunden- kreis produziert und dem der ganze Arbeitsertrag unge- schmälert zufließt. Alles, was man von einer Wirtschafts- ordnung verlangen kann, die der Gerechtigkeit entspricht,
Aber welches Recht haben wir, das Handwerk als normale Betriebsform zu betrachten und ſo gleichſam einem Ideale nachzuſtreben, deſſen Verwirklichung in der Ver- gangenheit liegt?
Die älteren Nationalökonomen ſtellen uns das Hand- werk als die Urform der gewerblichen Produktion dar. „In einem Jäger- oder Hirtenſtamme“, ſagt Adam Smith, „findet ſich ein Menſch, der Bogen und Pfeile mit größerer Geſchicklichkeit verfertigt als alle anderen. Er tauſcht ſie gegen Vieh oder Wildpret bei ſeinen Genoſſen um und findet ſchließlich, daß er ſich dabei beſſer ſteht, als wenn er ſelbſt auf die Jagd ginge. Zuletzt macht er die An- fertigung von Schießgerät zu ſeiner Hauptbeſchäftigung und wird zu einer Art Waffenſchmied.“ Verfolgen wir dieſe hiſtoriſche Konſtruktion zwei Schritte weiter, ſo wird das Urbild des Handwerkers wahrſcheinlich nach einiger Zeit einen Lehrling nehmen und wenn dieſer ausgelernt hat, einen zweiten, während der erſte ſein Geſelle wird. Die ſpätere Entwickelung findet beim beſten Willen nichts mehr hinzuzuſetzen. Wenn wir heute vom Handwerker ſprechen, ſo denken wir uns einen kleinen Unternehmer, der in wohl- geordneter Stufenfolge vom Lehrling zum Geſellen, vom Geſellen zum Meiſter geworden iſt, der mit eigener Hand und eigenem Kapital für einen örtlich begrenzten Kunden- kreis produziert und dem der ganze Arbeitsertrag unge- ſchmälert zufließt. Alles, was man von einer Wirtſchafts- ordnung verlangen kann, die der Gerechtigkeit entſpricht,
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Aber welches Recht haben wir, das Handwerk als
normale Betriebsform zu betrachten und ſo gleichſam einem
Ideale nachzuſtreben, deſſen Verwirklichung in der Ver-
gangenheit liegt?
Die älteren Nationalökonomen ſtellen uns das Hand-
werk als die Urform der gewerblichen Produktion dar.
„In einem Jäger- oder Hirtenſtamme“, ſagt Adam Smith,
„findet ſich ein Menſch, der Bogen und Pfeile mit größerer
Geſchicklichkeit verfertigt als alle anderen. Er tauſcht ſie
gegen Vieh oder Wildpret bei ſeinen Genoſſen um und
findet ſchließlich, daß er ſich dabei beſſer ſteht, als wenn
er ſelbſt auf die Jagd ginge. Zuletzt macht er die An-
fertigung von Schießgerät zu ſeiner Hauptbeſchäftigung und
wird zu einer Art Waffenſchmied.“ Verfolgen wir dieſe
hiſtoriſche Konſtruktion zwei Schritte weiter, ſo wird das
Urbild des Handwerkers wahrſcheinlich nach einiger Zeit
einen Lehrling nehmen und wenn dieſer ausgelernt hat,
einen zweiten, während der erſte ſein Geſelle wird. Die
ſpätere Entwickelung findet beim beſten Willen nichts mehr
hinzuzuſetzen. Wenn wir heute vom Handwerker ſprechen,
ſo denken wir uns einen kleinen Unternehmer, der in wohl-
geordneter Stufenfolge vom Lehrling zum Geſellen, vom
Geſellen zum Meiſter geworden iſt, der mit eigener Hand
und eigenem Kapital für einen örtlich begrenzten Kunden-
kreis produziert und dem der ganze Arbeitsertrag unge-
ſchmälert zufließt. Alles, was man von einer Wirtſchafts-
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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