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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 67. Königstreue und Huldigung.

Bei der Forderung des allgemeinen Treueides war es den frän-
kischen Königen darum zu thun, die nach Volksrecht bestehende Treu-
pflicht nicht nur eidlich bekräftigen zu lassen, sondern auch zu erwei-
tern und zu steigern. Dies zeigt schon die Verwandtschaft der
Eidesformeln mit dem dienstlichen Treueid. Besonders deutlich geht
aber jene Absicht aus der ausführlichen Belehrung hervor, welche
Karl der Grosse 802 über die durch den Treueid auferlegten Pflichten
gab 35. Irrig sei die von vielen behauptete Meinung, dass der Eid
nur für die Lebenszeit des Kaisers verbinde (eine Auffassung, die
allerdings für den vassallitischen Eid berechtigt war). Irrig ebenso
die Ansicht, dass der Treueid nur zur Vermeidung von Landesverrat
verpflichte. Er schliesse vielmehr in sich die Erfüllung der religiösen
Pflichten, die Beachtung des besonderen Friedens, in welchem Kirchen,
Witwen, Waisen und Pilger stehen, die Pflicht, das Recht nicht zu
verkehren und die Gerechtigkeit zu fördern, die Vermeidung von Ein-
griffen in das Fiskalgut und die Pflicht, kaiserliche Benefizien nicht in
Eigengut zu verwandeln, endlich den Gehorsam gegen den Bann des
Königs, insbesondere die Erfüllung des Heerbannes.

Die aus dem Treueid abgeleiteten Pflichten blieben nicht be-
schränkt auf solche, über die das Volk vor der Huldigung belehrt
worden war. Die Unterthanen mussten auch nachträglich noch ein-
zelne Pflichten auf den früher geleisteten Treueid übernehmen. Ein
Kapitular von 853 verpflichtet die Unterthanen bei ihrem Treueide,
Diebe und Räuber anzuzeigen und bei ihrer Verfolgung zu helfen 36.
Im Rügeverfahren und bei Aufnahme eines Inquisitionsbeweises, na-
mentlich in Fiskalsachen, werden die aufgebotenen Zeugen nicht selten
bei ihrem Treueide verpflichtet, die Wahrheit auszusagen 37.

Ein staatsmännischer Gedanke war die ungemessene Ausdehnung
der Treupflicht sicherlich nicht, weil sie dem Unterthanenverbande
durch die Hereinziehung religiöser und sittlicher Pflichten jede ju-
ristische Grundlage entzog. Die Verletzung einer derartig verflachten

mutlich in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts aufgezeichnet wurde, schwört
der Mann: volo esse domino meo N. fidelis et credibilis et amare, quae amet, ab-
soniare (ascunian, meiden), quae absoniet ... Vgl. die von Waitz VG VI 49,
Anm. 5 aus den Annales Altahenses zu 1041 angeführte Formel eines Lehnseides:
ut tam fidelis illi maneret, quam miles seniori esse deberet, omnibus amicis eius
fore se amicum, inimicis inimicum. Der Eid, den Wilhelm der Eroberer verlangte
(Schmid S. 354), ist den westfränkischen Eiden von 858 und 872 verwandt.
35 Cap. missorum generale v. J. 802, c. 2--9, I 92 f.
36 Karoli II. Conv. Silvacensis c. 4, Pertz, LL I 424.
37 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 151 ff. Derselbe, Ent-
stehung der Schwurgerichte S. 116. Siehe unten § 117. 121.
§ 67. Königstreue und Huldigung.

Bei der Forderung des allgemeinen Treueides war es den frän-
kischen Königen darum zu thun, die nach Volksrecht bestehende Treu-
pflicht nicht nur eidlich bekräftigen zu lassen, sondern auch zu erwei-
tern und zu steigern. Dies zeigt schon die Verwandtschaft der
Eidesformeln mit dem dienstlichen Treueid. Besonders deutlich geht
aber jene Absicht aus der ausführlichen Belehrung hervor, welche
Karl der Groſse 802 über die durch den Treueid auferlegten Pflichten
gab 35. Irrig sei die von vielen behauptete Meinung, daſs der Eid
nur für die Lebenszeit des Kaisers verbinde (eine Auffassung, die
allerdings für den vassallitischen Eid berechtigt war). Irrig ebenso
die Ansicht, daſs der Treueid nur zur Vermeidung von Landesverrat
verpflichte. Er schlieſse vielmehr in sich die Erfüllung der religiösen
Pflichten, die Beachtung des besonderen Friedens, in welchem Kirchen,
Witwen, Waisen und Pilger stehen, die Pflicht, das Recht nicht zu
verkehren und die Gerechtigkeit zu fördern, die Vermeidung von Ein-
griffen in das Fiskalgut und die Pflicht, kaiserliche Benefizien nicht in
Eigengut zu verwandeln, endlich den Gehorsam gegen den Bann des
Königs, insbesondere die Erfüllung des Heerbannes.

Die aus dem Treueid abgeleiteten Pflichten blieben nicht be-
schränkt auf solche, über die das Volk vor der Huldigung belehrt
worden war. Die Unterthanen muſsten auch nachträglich noch ein-
zelne Pflichten auf den früher geleisteten Treueid übernehmen. Ein
Kapitular von 853 verpflichtet die Unterthanen bei ihrem Treueide,
Diebe und Räuber anzuzeigen und bei ihrer Verfolgung zu helfen 36.
Im Rügeverfahren und bei Aufnahme eines Inquisitionsbeweises, na-
mentlich in Fiskalsachen, werden die aufgebotenen Zeugen nicht selten
bei ihrem Treueide verpflichtet, die Wahrheit auszusagen 37.

Ein staatsmännischer Gedanke war die ungemessene Ausdehnung
der Treupflicht sicherlich nicht, weil sie dem Unterthanenverbande
durch die Hereinziehung religiöser und sittlicher Pflichten jede ju-
ristische Grundlage entzog. Die Verletzung einer derartig verflachten

mutlich in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts aufgezeichnet wurde, schwört
der Mann: volo esse domino meo N. fidelis et credibilis et amare, quae amet, ab-
soniare (áscúnian, meiden), quae absoniet … Vgl. die von Waitz VG VI 49,
Anm. 5 aus den Annales Altahenses zu 1041 angeführte Formel eines Lehnseides:
ut tam fidelis illi maneret, quam miles seniori esse deberet, omnibus amicis eius
fore se amicum, inimicis inimicum. Der Eid, den Wilhelm der Eroberer verlangte
(Schmid S. 354), ist den westfränkischen Eiden von 858 und 872 verwandt.
35 Cap. missorum generale v. J. 802, c. 2—9, I 92 f.
36 Karoli II. Conv. Silvacensis c. 4, Pertz, LL I 424.
37 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 151 ff. Derselbe, Ent-
stehung der Schwurgerichte S. 116. Siehe unten § 117. 121.
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[63/0081] § 67. Königstreue und Huldigung. Bei der Forderung des allgemeinen Treueides war es den frän- kischen Königen darum zu thun, die nach Volksrecht bestehende Treu- pflicht nicht nur eidlich bekräftigen zu lassen, sondern auch zu erwei- tern und zu steigern. Dies zeigt schon die Verwandtschaft der Eidesformeln mit dem dienstlichen Treueid. Besonders deutlich geht aber jene Absicht aus der ausführlichen Belehrung hervor, welche Karl der Groſse 802 über die durch den Treueid auferlegten Pflichten gab 35. Irrig sei die von vielen behauptete Meinung, daſs der Eid nur für die Lebenszeit des Kaisers verbinde (eine Auffassung, die allerdings für den vassallitischen Eid berechtigt war). Irrig ebenso die Ansicht, daſs der Treueid nur zur Vermeidung von Landesverrat verpflichte. Er schlieſse vielmehr in sich die Erfüllung der religiösen Pflichten, die Beachtung des besonderen Friedens, in welchem Kirchen, Witwen, Waisen und Pilger stehen, die Pflicht, das Recht nicht zu verkehren und die Gerechtigkeit zu fördern, die Vermeidung von Ein- griffen in das Fiskalgut und die Pflicht, kaiserliche Benefizien nicht in Eigengut zu verwandeln, endlich den Gehorsam gegen den Bann des Königs, insbesondere die Erfüllung des Heerbannes. Die aus dem Treueid abgeleiteten Pflichten blieben nicht be- schränkt auf solche, über die das Volk vor der Huldigung belehrt worden war. Die Unterthanen muſsten auch nachträglich noch ein- zelne Pflichten auf den früher geleisteten Treueid übernehmen. Ein Kapitular von 853 verpflichtet die Unterthanen bei ihrem Treueide, Diebe und Räuber anzuzeigen und bei ihrer Verfolgung zu helfen 36. Im Rügeverfahren und bei Aufnahme eines Inquisitionsbeweises, na- mentlich in Fiskalsachen, werden die aufgebotenen Zeugen nicht selten bei ihrem Treueide verpflichtet, die Wahrheit auszusagen 37. Ein staatsmännischer Gedanke war die ungemessene Ausdehnung der Treupflicht sicherlich nicht, weil sie dem Unterthanenverbande durch die Hereinziehung religiöser und sittlicher Pflichten jede ju- ristische Grundlage entzog. Die Verletzung einer derartig verflachten 34 35 Cap. missorum generale v. J. 802, c. 2—9, I 92 f. 36 Karoli II. Conv. Silvacensis c. 4, Pertz, LL I 424. 37 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 151 ff. Derselbe, Ent- stehung der Schwurgerichte S. 116. Siehe unten § 117. 121. 34 mutlich in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts aufgezeichnet wurde, schwört der Mann: volo esse domino meo N. fidelis et credibilis et amare, quae amet, ab- soniare (áscúnian, meiden), quae absoniet … Vgl. die von Waitz VG VI 49, Anm. 5 aus den Annales Altahenses zu 1041 angeführte Formel eines Lehnseides: ut tam fidelis illi maneret, quam miles seniori esse deberet, omnibus amicis eius fore se amicum, inimicis inimicum. Der Eid, den Wilhelm der Eroberer verlangte (Schmid S. 354), ist den westfränkischen Eiden von 858 und 872 verwandt.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/81>, abgerufen am 27.11.2024.