Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 67. Königstreue und Huldigung.

Bei diesen Huldigungen schwuren die geistlichen und weltlichen
Beamten, alle freien Leute, die das zwölfte Lebensjahr vollendet
hatten, die Hintersassen des Fiskus, der Kirchen und der weltlichen
Grossen, ja auch die Unfreien, welche Benefizien oder Ämter besassen
oder als Vassallen dienten und zum Reiterdienste fähig waren. Zur
Ergänzung der allgemeinen Huldigung wurde der Treueid gelegent-
lich der eben herangewachsenen Jugend abgenommen, die den Eid bis
dahin noch nicht hatte leisten können 14.

Die Nachfolger Karls des Grossen verloren in der Häufung der
Vereidigungen nicht nur das politische, sondern auch das sittliche Mass.
Im Jahre 833 musste Ludwig I. bei seiner Absetzung den Vorwurf
erdulden, dass er durch die Forderung widersprechender Treueide
Anlass zu Meineiden gegeben habe 15. Die verschiedenen Reichs-
teilungen und Teilungsprojekte, die zahlreichen Gebietsveränderungen
der Teilreiche dienten als Vorwand, den Eid immer aufs neue zu ver-
langen. Natürlich konnte der Erfolg kein anderer sein, als dass das
Staatsgefühl geschwächt und die Treue, je öfter beschworen, um so
weniger gehalten wurde.

Eine Formel des Treueides hat uns die merowingische Zeit nicht
überliefert. Doch ist sicher bezeugt, dass die Merowinger sich von
den Unterthanen Treue und Mannschaft ,fidelitatem et leudesamio'
versprechen liessen 16. Aus karolingischer Zeit sind uns die Eides-
formeln von 789, 802 17, 854, 858 und 872 überliefert. Die von 789
lautet: ich verspreche dem König Karl und seinen Söhnen, dass ich
treu bin und sein werde Zeit meines Lebens ohne Trug und Hinter-
halt 18. Nach dem etwas ausführlicheren Formular von 802 verspricht
der Schwörende so treu zu sein, als von Rechts wegen der Mann dem
Herrn sein soll 19. Karl dem Kahlen wurde 854 geschworen: fidelis

14 Cap. Theod. II. v. J. 805, c. 9, I 124.
15 Episcoporum relatio Compendiensis c. 5, Cap. II 54.
16 Marculf I 40. Dem fränkischen Ausdrucke leudesamio würde ein im Alt-
hochdeutschen nicht nachweisbares liutsamei entsprechen, ein Abstraktum abgeleitet
von einem gleichfalls nicht bezeugten Adjektivum liutsam (vgl. Grimm, Grammatik
II 573), wie gehorsamei, leidsamei, arbeitsamei von gehorsam, leidsam, arbeitsam.
Eine freundliche Mitteilung des verewigten W. Scherer.
17 Vgl. Mühlbacher, Nr. 457 a. E.
18 Legationis edictum v. J. 789, c. 18, Cap. I 62: sic promitto ego ille parti-
bus domini mei Caroli regis et filiorum eius, quia fidelis sum et ero diebus vitae
meae sine fraude et malo ingenio.
19 Cap. miss. spec. v. J. 802, I 101 i. f.: quod ab isto die inantea fidelis
sum ... sicut per drictum debet esse homo domino suo .. Ein zweites
Formular, Cap. I 102, fügt hinzu: ad suum regnum et ad suum rectum, in Bezug
auf seine Herrschaft und sein Recht.
§ 67. Königstreue und Huldigung.

Bei diesen Huldigungen schwuren die geistlichen und weltlichen
Beamten, alle freien Leute, die das zwölfte Lebensjahr vollendet
hatten, die Hintersassen des Fiskus, der Kirchen und der weltlichen
Groſsen, ja auch die Unfreien, welche Benefizien oder Ämter besaſsen
oder als Vassallen dienten und zum Reiterdienste fähig waren. Zur
Ergänzung der allgemeinen Huldigung wurde der Treueid gelegent-
lich der eben herangewachsenen Jugend abgenommen, die den Eid bis
dahin noch nicht hatte leisten können 14.

Die Nachfolger Karls des Groſsen verloren in der Häufung der
Vereidigungen nicht nur das politische, sondern auch das sittliche Maſs.
Im Jahre 833 muſste Ludwig I. bei seiner Absetzung den Vorwurf
erdulden, daſs er durch die Forderung widersprechender Treueide
Anlaſs zu Meineiden gegeben habe 15. Die verschiedenen Reichs-
teilungen und Teilungsprojekte, die zahlreichen Gebietsveränderungen
der Teilreiche dienten als Vorwand, den Eid immer aufs neue zu ver-
langen. Natürlich konnte der Erfolg kein anderer sein, als daſs das
Staatsgefühl geschwächt und die Treue, je öfter beschworen, um so
weniger gehalten wurde.

Eine Formel des Treueides hat uns die merowingische Zeit nicht
überliefert. Doch ist sicher bezeugt, daſs die Merowinger sich von
den Unterthanen Treue und Mannschaft ‚fidelitatem et leudesamio’
versprechen lieſsen 16. Aus karolingischer Zeit sind uns die Eides-
formeln von 789, 802 17, 854, 858 und 872 überliefert. Die von 789
lautet: ich verspreche dem König Karl und seinen Söhnen, daſs ich
treu bin und sein werde Zeit meines Lebens ohne Trug und Hinter-
halt 18. Nach dem etwas ausführlicheren Formular von 802 verspricht
der Schwörende so treu zu sein, als von Rechts wegen der Mann dem
Herrn sein soll 19. Karl dem Kahlen wurde 854 geschworen: fidelis

14 Cap. Theod. II. v. J. 805, c. 9, I 124.
15 Episcoporum relatio Compendiensis c. 5, Cap. II 54.
16 Marculf I 40. Dem fränkischen Ausdrucke leudesamio würde ein im Alt-
hochdeutschen nicht nachweisbares liutsamî entsprechen, ein Abstraktum abgeleitet
von einem gleichfalls nicht bezeugten Adjektivum liutsam (vgl. Grimm, Grammatik
II 573), wie gehôrsamî, leidsamî, arbeitsamî von gehôrsam, leidsam, arbeitsam.
Eine freundliche Mitteilung des verewigten W. Scherer.
17 Vgl. Mühlbacher, Nr. 457 a. E.
18 Legationis edictum v. J. 789, c. 18, Cap. I 62: sic promitto ego ille parti-
bus domini mei Caroli regis et filiorum eius, quia fidelis sum et ero diebus vitae
meae sine fraude et malo ingenio.
19 Cap. miss. spec. v. J. 802, I 101 i. f.: quod ab isto die inantea fidelis
sum … sicut per drictum debet esse homo domino suo .. Ein zweites
Formular, Cap. I 102, fügt hinzu: ad suum regnum et ad suum rectum, in Bezug
auf seine Herrschaft und sein Recht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0078" n="60"/>
            <fw place="top" type="header">§ 67. Königstreue und Huldigung.</fw><lb/>
            <p>Bei diesen Huldigungen schwuren die geistlichen und weltlichen<lb/>
Beamten, alle freien Leute, die das zwölfte Lebensjahr vollendet<lb/>
hatten, die Hintersassen des Fiskus, der Kirchen und der weltlichen<lb/>
Gro&#x017F;sen, ja auch die Unfreien, welche Benefizien oder Ämter besa&#x017F;sen<lb/>
oder als Vassallen dienten und zum Reiterdienste fähig waren. Zur<lb/>
Ergänzung der allgemeinen Huldigung wurde der Treueid gelegent-<lb/>
lich der eben herangewachsenen Jugend abgenommen, die den Eid bis<lb/>
dahin noch nicht hatte leisten können <note place="foot" n="14">Cap. Theod. II. v. J. 805, c. 9, I 124.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Nachfolger Karls des Gro&#x017F;sen verloren in der Häufung der<lb/>
Vereidigungen nicht nur das politische, sondern auch das sittliche Ma&#x017F;s.<lb/>
Im Jahre 833 mu&#x017F;ste Ludwig I. bei seiner Absetzung den Vorwurf<lb/>
erdulden, da&#x017F;s er durch die Forderung widersprechender Treueide<lb/>
Anla&#x017F;s zu Meineiden gegeben habe <note place="foot" n="15">Episcoporum relatio Compendiensis c. 5, Cap. II 54.</note>. Die verschiedenen Reichs-<lb/>
teilungen und Teilungsprojekte, die zahlreichen Gebietsveränderungen<lb/>
der Teilreiche dienten als Vorwand, den Eid immer aufs neue zu ver-<lb/>
langen. Natürlich konnte der Erfolg kein anderer sein, als da&#x017F;s das<lb/>
Staatsgefühl geschwächt und die Treue, je öfter beschworen, um so<lb/>
weniger gehalten wurde.</p><lb/>
            <p>Eine Formel des Treueides hat uns die merowingische Zeit nicht<lb/>
überliefert. Doch ist sicher bezeugt, da&#x017F;s die Merowinger sich von<lb/>
den Unterthanen Treue und Mannschaft &#x201A;fidelitatem et leudesamio&#x2019;<lb/>
versprechen lie&#x017F;sen <note place="foot" n="16">Marculf I 40. Dem fränkischen Ausdrucke leudesamio würde ein im Alt-<lb/>
hochdeutschen nicht nachweisbares liutsamî entsprechen, ein Abstraktum abgeleitet<lb/>
von einem gleichfalls nicht bezeugten Adjektivum liutsam (vgl. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, Grammatik<lb/>
II 573), wie gehôrsamî, leidsamî, arbeitsamî von gehôrsam, leidsam, arbeitsam.<lb/>
Eine freundliche Mitteilung des verewigten W. Scherer.</note>. Aus karolingischer Zeit sind uns die Eides-<lb/>
formeln von 789, 802 <note place="foot" n="17">Vgl. <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi>, Nr. 457 a. E.</note>, 854, 858 und 872 überliefert. Die von 789<lb/>
lautet: ich verspreche dem König Karl und seinen Söhnen, da&#x017F;s ich<lb/>
treu bin und sein werde Zeit meines Lebens ohne Trug und Hinter-<lb/>
halt <note place="foot" n="18">Legationis edictum v. J. 789, c. 18, Cap. I 62: sic promitto ego ille parti-<lb/>
bus domini mei Caroli regis et filiorum eius, quia fidelis sum et ero diebus vitae<lb/>
meae sine fraude et malo ingenio.</note>. Nach dem etwas ausführlicheren Formular von 802 verspricht<lb/>
der Schwörende so treu zu sein, als von Rechts wegen der Mann dem<lb/>
Herrn sein soll <note place="foot" n="19">Cap. miss. spec. v. J. 802, I 101 i. f.: quod ab isto die inantea fidelis<lb/>
sum &#x2026; <hi rendition="#g">sicut per drictum debet esse homo domino suo</hi> .. Ein zweites<lb/>
Formular, Cap. I 102, fügt hinzu: ad suum regnum et ad suum rectum, in Bezug<lb/>
auf seine Herrschaft und sein Recht.</note>. Karl dem Kahlen wurde 854 geschworen: fidelis<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0078] § 67. Königstreue und Huldigung. Bei diesen Huldigungen schwuren die geistlichen und weltlichen Beamten, alle freien Leute, die das zwölfte Lebensjahr vollendet hatten, die Hintersassen des Fiskus, der Kirchen und der weltlichen Groſsen, ja auch die Unfreien, welche Benefizien oder Ämter besaſsen oder als Vassallen dienten und zum Reiterdienste fähig waren. Zur Ergänzung der allgemeinen Huldigung wurde der Treueid gelegent- lich der eben herangewachsenen Jugend abgenommen, die den Eid bis dahin noch nicht hatte leisten können 14. Die Nachfolger Karls des Groſsen verloren in der Häufung der Vereidigungen nicht nur das politische, sondern auch das sittliche Maſs. Im Jahre 833 muſste Ludwig I. bei seiner Absetzung den Vorwurf erdulden, daſs er durch die Forderung widersprechender Treueide Anlaſs zu Meineiden gegeben habe 15. Die verschiedenen Reichs- teilungen und Teilungsprojekte, die zahlreichen Gebietsveränderungen der Teilreiche dienten als Vorwand, den Eid immer aufs neue zu ver- langen. Natürlich konnte der Erfolg kein anderer sein, als daſs das Staatsgefühl geschwächt und die Treue, je öfter beschworen, um so weniger gehalten wurde. Eine Formel des Treueides hat uns die merowingische Zeit nicht überliefert. Doch ist sicher bezeugt, daſs die Merowinger sich von den Unterthanen Treue und Mannschaft ‚fidelitatem et leudesamio’ versprechen lieſsen 16. Aus karolingischer Zeit sind uns die Eides- formeln von 789, 802 17, 854, 858 und 872 überliefert. Die von 789 lautet: ich verspreche dem König Karl und seinen Söhnen, daſs ich treu bin und sein werde Zeit meines Lebens ohne Trug und Hinter- halt 18. Nach dem etwas ausführlicheren Formular von 802 verspricht der Schwörende so treu zu sein, als von Rechts wegen der Mann dem Herrn sein soll 19. Karl dem Kahlen wurde 854 geschworen: fidelis 14 Cap. Theod. II. v. J. 805, c. 9, I 124. 15 Episcoporum relatio Compendiensis c. 5, Cap. II 54. 16 Marculf I 40. Dem fränkischen Ausdrucke leudesamio würde ein im Alt- hochdeutschen nicht nachweisbares liutsamî entsprechen, ein Abstraktum abgeleitet von einem gleichfalls nicht bezeugten Adjektivum liutsam (vgl. Grimm, Grammatik II 573), wie gehôrsamî, leidsamî, arbeitsamî von gehôrsam, leidsam, arbeitsam. Eine freundliche Mitteilung des verewigten W. Scherer. 17 Vgl. Mühlbacher, Nr. 457 a. E. 18 Legationis edictum v. J. 789, c. 18, Cap. I 62: sic promitto ego ille parti- bus domini mei Caroli regis et filiorum eius, quia fidelis sum et ero diebus vitae meae sine fraude et malo ingenio. 19 Cap. miss. spec. v. J. 802, I 101 i. f.: quod ab isto die inantea fidelis sum … sicut per drictum debet esse homo domino suo .. Ein zweites Formular, Cap. I 102, fügt hinzu: ad suum regnum et ad suum rectum, in Bezug auf seine Herrschaft und sein Recht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/78
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/78>, abgerufen am 27.11.2024.