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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 146. Landes- und Hochverrat.
alamannische Volksrecht setzt ein herzogliches Wergeld voraus 25. Da-
gegen wissen die Franken und Langobarden nichts von einem Wer-
gelde des Königs und der Mitglieder seines Hauses.

Zu den Majestätsreaten zählt das fränkische Recht, auch hierin
römischem Vorbilde folgend 26, die dem König oder seinen Angehörigen
zugefügte Beleidigung 27. Bestimmte Handlungen, die als Beleidigung
oder Missachtung des Königs aufgefasst werden konnten, sind in den
fränkischen Volksrechten bei Verwirkung des Lebens oder des Wer-
geldes verboten, so nach der Lex Ribuaria die Anfechtung der Königs-
urkunde 28, so nach der Lex Salica der Widerspruch gegen die Königs-
urkunde, die einem homo migrans die Ansiedlung in der Dorfmark
gestattet 29.

Als Hochverrat wurden Aufruhr und Empörung gegen die Herr-
schaft des Königs an Rädelsführer und Teilnehmern mit dem Tode und
mit Einziehung des Vermögens bestraft 30. Die Empörung des Sohnes
gegen den herzoglichen Vater bedrohen die beiden oberdeutschen
Volksrechte mit Exil und Verlust des Erbrechts 31. Aufstand gegen
den Herzog muss nach bairischem Rechte von dem Führer mit 600 Solidi,
von den Teilnehmern mit geringeren Bussen gesühnt werden 32.

Dass die wissentliche Begünstigung von Geächteten und gewissen
Verbrechern als schwere Infidelität geahndet werden konnte, ist oben
S. 575 ff. erörtert worden.

Als Infidelität betrachtet es endlich Karl der Grosse ganz allgemein,
wenn jemand der Infidelität eines anderen zustimmt oder sie absicht-
lich verhehlt. Bemerkenswert ist, dass der König diese Konsequenz
der Treupflicht zu denjenigen zählt, die nach der seines Erachtens

25 Abgesehen von dem, was oben I 316, Anm. 15 bemerkt wurde, hatte das
Wergeld insofern praktische Bedeutung, als aus dem eingezogenen Vermögen des
flüchtigen Todschlägers den Verwandten, die nicht zur Thronfolge gelangten, das
Wergeld oder die ihnen gebührende Quote ausgeschüttet wurde. Vgl. Liu. 17.
26 Vgl. Lex Wisig. II 1, 8.
27 Roth, BW S. 131. In Greg. Tur. Hist. Franc. VI 37 wird eine angebliche
Beleidigung der Königin Brunhildis als ein Fall des crimen maiestatis zur Unter-
suchung gezogen.
28 Lex Rib. 60, 6.
29 Lex Sal. 14, 4.
30 Marculf I 32. Roth, BW S. 134. 389. Lex Wisig. II 1, 7: quispiam
infra fines patriae Gothorum quamcunque conturbationem aut scandalum in con-
trarietatem regni nostri vel gentis facere voluerit ...
31 Lex Alam. 35. Lex Baiuw. II 9.
32 Lex Baiuw. II 3. Siehe oben S. 573.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 44

§ 146. Landes- und Hochverrat.
alamannische Volksrecht setzt ein herzogliches Wergeld voraus 25. Da-
gegen wissen die Franken und Langobarden nichts von einem Wer-
gelde des Königs und der Mitglieder seines Hauses.

Zu den Majestätsreaten zählt das fränkische Recht, auch hierin
römischem Vorbilde folgend 26, die dem König oder seinen Angehörigen
zugefügte Beleidigung 27. Bestimmte Handlungen, die als Beleidigung
oder Miſsachtung des Königs aufgefaſst werden konnten, sind in den
fränkischen Volksrechten bei Verwirkung des Lebens oder des Wer-
geldes verboten, so nach der Lex Ribuaria die Anfechtung der Königs-
urkunde 28, so nach der Lex Salica der Widerspruch gegen die Königs-
urkunde, die einem homo migrans die Ansiedlung in der Dorfmark
gestattet 29.

Als Hochverrat wurden Aufruhr und Empörung gegen die Herr-
schaft des Königs an Rädelsführer und Teilnehmern mit dem Tode und
mit Einziehung des Vermögens bestraft 30. Die Empörung des Sohnes
gegen den herzoglichen Vater bedrohen die beiden oberdeutschen
Volksrechte mit Exil und Verlust des Erbrechts 31. Aufstand gegen
den Herzog muſs nach bairischem Rechte von dem Führer mit 600 Solidi,
von den Teilnehmern mit geringeren Buſsen gesühnt werden 32.

Daſs die wissentliche Begünstigung von Geächteten und gewissen
Verbrechern als schwere Infidelität geahndet werden konnte, ist oben
S. 575 ff. erörtert worden.

Als Infidelität betrachtet es endlich Karl der Groſse ganz allgemein,
wenn jemand der Infidelität eines anderen zustimmt oder sie absicht-
lich verhehlt. Bemerkenswert ist, daſs der König diese Konsequenz
der Treupflicht zu denjenigen zählt, die nach der seines Erachtens

25 Abgesehen von dem, was oben I 316, Anm. 15 bemerkt wurde, hatte das
Wergeld insofern praktische Bedeutung, als aus dem eingezogenen Vermögen des
flüchtigen Todschlägers den Verwandten, die nicht zur Thronfolge gelangten, das
Wergeld oder die ihnen gebührende Quote ausgeschüttet wurde. Vgl. Liu. 17.
26 Vgl. Lex Wisig. II 1, 8.
27 Roth, BW S. 131. In Greg. Tur. Hist. Franc. VI 37 wird eine angebliche
Beleidigung der Königin Brunhildis als ein Fall des crimen maiestatis zur Unter-
suchung gezogen.
28 Lex Rib. 60, 6.
29 Lex Sal. 14, 4.
30 Marculf I 32. Roth, BW S. 134. 389. Lex Wisig. II 1, 7: quispiam
infra fines patriae Gothorum quamcunque conturbationem aut scandalum in con-
trarietatem regni nostri vel gentis facere voluerit …
31 Lex Alam. 35. Lex Baiuw. II 9.
32 Lex Baiuw. II 3. Siehe oben S. 573.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 44
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[689/0707] § 146. Landes- und Hochverrat. alamannische Volksrecht setzt ein herzogliches Wergeld voraus 25. Da- gegen wissen die Franken und Langobarden nichts von einem Wer- gelde des Königs und der Mitglieder seines Hauses. Zu den Majestätsreaten zählt das fränkische Recht, auch hierin römischem Vorbilde folgend 26, die dem König oder seinen Angehörigen zugefügte Beleidigung 27. Bestimmte Handlungen, die als Beleidigung oder Miſsachtung des Königs aufgefaſst werden konnten, sind in den fränkischen Volksrechten bei Verwirkung des Lebens oder des Wer- geldes verboten, so nach der Lex Ribuaria die Anfechtung der Königs- urkunde 28, so nach der Lex Salica der Widerspruch gegen die Königs- urkunde, die einem homo migrans die Ansiedlung in der Dorfmark gestattet 29. Als Hochverrat wurden Aufruhr und Empörung gegen die Herr- schaft des Königs an Rädelsführer und Teilnehmern mit dem Tode und mit Einziehung des Vermögens bestraft 30. Die Empörung des Sohnes gegen den herzoglichen Vater bedrohen die beiden oberdeutschen Volksrechte mit Exil und Verlust des Erbrechts 31. Aufstand gegen den Herzog muſs nach bairischem Rechte von dem Führer mit 600 Solidi, von den Teilnehmern mit geringeren Buſsen gesühnt werden 32. Daſs die wissentliche Begünstigung von Geächteten und gewissen Verbrechern als schwere Infidelität geahndet werden konnte, ist oben S. 575 ff. erörtert worden. Als Infidelität betrachtet es endlich Karl der Groſse ganz allgemein, wenn jemand der Infidelität eines anderen zustimmt oder sie absicht- lich verhehlt. Bemerkenswert ist, daſs der König diese Konsequenz der Treupflicht zu denjenigen zählt, die nach der seines Erachtens 25 Abgesehen von dem, was oben I 316, Anm. 15 bemerkt wurde, hatte das Wergeld insofern praktische Bedeutung, als aus dem eingezogenen Vermögen des flüchtigen Todschlägers den Verwandten, die nicht zur Thronfolge gelangten, das Wergeld oder die ihnen gebührende Quote ausgeschüttet wurde. Vgl. Liu. 17. 26 Vgl. Lex Wisig. II 1, 8. 27 Roth, BW S. 131. In Greg. Tur. Hist. Franc. VI 37 wird eine angebliche Beleidigung der Königin Brunhildis als ein Fall des crimen maiestatis zur Unter- suchung gezogen. 28 Lex Rib. 60, 6. 29 Lex Sal. 14, 4. 30 Marculf I 32. Roth, BW S. 134. 389. Lex Wisig. II 1, 7: quispiam infra fines patriae Gothorum quamcunque conturbationem aut scandalum in con- trarietatem regni nostri vel gentis facere voluerit … 31 Lex Alam. 35. Lex Baiuw. II 9. 32 Lex Baiuw. II 3. Siehe oben S. 573. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 44

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/707>, abgerufen am 22.11.2024.