Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.
thätigkeiten beschimpfenden Charakters können das Gepräge des Ver-
suchsdeliktes haben und demgemäss geahndet werden; so die Weg-
sperre, die Wassertauche, unzüchtige Handlungen gegen Frauen 21. Rein
kommt der Charakter der Realinjurie nur in vereinzelten typischen
Fällen zum Ausdruck. Dahin gehört, dass man einem Freien wider
Willen Haar oder Bart schert 22, dass man ihn entwaffnet 23, über
das Dach des Hauses, in dem der Hausherr oder ein anderer sitzt,
in illius contumeliam einen Stein wirft 24. Die Hochbusse von 900
Solidi setzt ein Gelegenheitsgesetz Aistulfs, wenn jemand Schmutz-
wasser und Unflat über einen Hochzeitszug ausgiesst. Die Busse ist
zur Hälfte dem Könige, zur Hälfte dem Vormunde der Braut zu zahlen 25.

Falsche Anklage, die man im Volksgerichte erhob, war nach den
meisten Volksrechten, wie es scheint, nicht schlechtweg, sondern nur
unter gewissen Voraussetzungen, nämlich als Gefährdung der Un-
bescholtenheit, strafbar. Sachlich steht sie der oben erörterten Schelte
sehr viel näher als nach unserer heutigen Auffassung. Ja, gewisse
Arten falscher Anklage fallen selbst im Wortsinne unter den Rahmen
der Schelte; so die Urteilschelte und die prozessualische Eidesschelte.

Allerdings wird in den Quellen dem sachfälligen Kläger gelegent-
lich eine Busse auferlegt. Allein die allgemeine Strafbarkeit der
falschen Anklage darf daraus nicht gefolgert werden. Die Busse steht
zum Teil auf Fälle, in welchen eine falsche Anklage im eigentlichen
Sinne nicht vorliegt; so auf unrechten Anefang 26, bei welchem ein per-
sönlicher Vorwurf gegen den Besitzer nicht erhoben, sondern nur be-
hauptet wird, dass die Sache gestohlen oder geraubt sei. Andererseits
ist die Busse, die man im Verfahren um handhafte That verwirkt,
wenn man die Schuld des Gebundenen nicht zu beschwören vermag,
die Busse der unrechtmässigen Bindung und nicht die der falschen
Anklage 27.


21 Siehe oben S. 563. 559 f.
22 Lex Alam. 57, 29. 30.
23 Knut II 60.
24 Lex Sal. 97. Vielleicht gehört auch Lex Sal. 30, 9, Extrav. A 3 mit dem
unaufgeklärten pittum excutere zu den Ehrenkränkungen.
25 Aistulf 15.
26 Siehe oben S. 509.
27 Lex Rib. 41, 1. Lex Sal. 32. Siehe oben S. 484. Auf besonderer könig-
licher Satzung beruht es, dass nach Cap. Hlud. II Pap. in legem data v. J. 855,
c. 1, II 89 den Königsbann büsst, wer einen Zeugen des Gegners zurückweist, in-
dem er ihn fälschlich eines Verbrechens beschuldigt. Grundlose Klage um ein
durch Königsbann gefriedetes Grundstück kann als inquietatio und sohin als Über-
tretung des Bannes mit der Bannbusse geahndet werden. Vgl. Rich. Loening
a. O. S. 578.
43*

§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.
thätigkeiten beschimpfenden Charakters können das Gepräge des Ver-
suchsdeliktes haben und demgemäſs geahndet werden; so die Weg-
sperre, die Wassertauche, unzüchtige Handlungen gegen Frauen 21. Rein
kommt der Charakter der Realinjurie nur in vereinzelten typischen
Fällen zum Ausdruck. Dahin gehört, daſs man einem Freien wider
Willen Haar oder Bart schert 22, daſs man ihn entwaffnet 23, über
das Dach des Hauses, in dem der Hausherr oder ein anderer sitzt,
in illius contumeliam einen Stein wirft 24. Die Hochbuſse von 900
Solidi setzt ein Gelegenheitsgesetz Aistulfs, wenn jemand Schmutz-
wasser und Unflat über einen Hochzeitszug ausgieſst. Die Buſse ist
zur Hälfte dem Könige, zur Hälfte dem Vormunde der Braut zu zahlen 25.

Falsche Anklage, die man im Volksgerichte erhob, war nach den
meisten Volksrechten, wie es scheint, nicht schlechtweg, sondern nur
unter gewissen Voraussetzungen, nämlich als Gefährdung der Un-
bescholtenheit, strafbar. Sachlich steht sie der oben erörterten Schelte
sehr viel näher als nach unserer heutigen Auffassung. Ja, gewisse
Arten falscher Anklage fallen selbst im Wortsinne unter den Rahmen
der Schelte; so die Urteilschelte und die prozessualische Eidesschelte.

Allerdings wird in den Quellen dem sachfälligen Kläger gelegent-
lich eine Buſse auferlegt. Allein die allgemeine Strafbarkeit der
falschen Anklage darf daraus nicht gefolgert werden. Die Buſse steht
zum Teil auf Fälle, in welchen eine falsche Anklage im eigentlichen
Sinne nicht vorliegt; so auf unrechten Anefang 26, bei welchem ein per-
sönlicher Vorwurf gegen den Besitzer nicht erhoben, sondern nur be-
hauptet wird, daſs die Sache gestohlen oder geraubt sei. Andererseits
ist die Buſse, die man im Verfahren um handhafte That verwirkt,
wenn man die Schuld des Gebundenen nicht zu beschwören vermag,
die Buſse der unrechtmäſsigen Bindung und nicht die der falschen
Anklage 27.


21 Siehe oben S. 563. 559 f.
22 Lex Alam. 57, 29. 30.
23 Knut II 60.
24 Lex Sal. 97. Vielleicht gehört auch Lex Sal. 30, 9, Extrav. A 3 mit dem
unaufgeklärten pittum excutere zu den Ehrenkränkungen.
25 Aistulf 15.
26 Siehe oben S. 509.
27 Lex Rib. 41, 1. Lex Sal. 32. Siehe oben S. 484. Auf besonderer könig-
licher Satzung beruht es, daſs nach Cap. Hlud. II Pap. in legem data v. J. 855,
c. 1, II 89 den Königsbann büſst, wer einen Zeugen des Gegners zurückweist, in-
dem er ihn fälschlich eines Verbrechens beschuldigt. Grundlose Klage um ein
durch Königsbann gefriedetes Grundstück kann als inquietatio und sohin als Über-
tretung des Bannes mit der Bannbuſse geahndet werden. Vgl. Rich. Loening
a. O. S. 578.
43*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0693" n="675"/><fw place="top" type="header">§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.</fw><lb/>
thätigkeiten beschimpfenden Charakters können das Gepräge des Ver-<lb/>
suchsdeliktes haben und demgemä&#x017F;s geahndet werden; so die Weg-<lb/>
sperre, die Wassertauche, unzüchtige Handlungen gegen Frauen <note place="foot" n="21">Siehe oben S. 563. 559 f.</note>. Rein<lb/>
kommt der Charakter der Realinjurie nur in vereinzelten typischen<lb/>
Fällen zum Ausdruck. Dahin gehört, da&#x017F;s man einem Freien wider<lb/>
Willen Haar oder Bart schert <note place="foot" n="22">Lex Alam. 57, 29. 30.</note>, da&#x017F;s man ihn entwaffnet <note place="foot" n="23">Knut II 60.</note>, über<lb/>
das Dach des Hauses, in dem der Hausherr oder ein anderer sitzt,<lb/>
in illius contumeliam einen Stein wirft <note place="foot" n="24">Lex Sal. 97. Vielleicht gehört auch Lex Sal. 30, 9, Extrav. A 3 mit dem<lb/>
unaufgeklärten pittum excutere zu den Ehrenkränkungen.</note>. Die Hochbu&#x017F;se von 900<lb/>
Solidi setzt ein Gelegenheitsgesetz Aistulfs, wenn jemand Schmutz-<lb/>
wasser und Unflat über einen Hochzeitszug ausgie&#x017F;st. Die Bu&#x017F;se ist<lb/>
zur Hälfte dem Könige, zur Hälfte dem Vormunde der Braut zu zahlen <note place="foot" n="25">Aistulf 15.</note>.</p><lb/>
            <p>Falsche Anklage, die man im Volksgerichte erhob, war nach den<lb/>
meisten Volksrechten, wie es scheint, nicht schlechtweg, sondern nur<lb/>
unter gewissen Voraussetzungen, nämlich als Gefährdung der Un-<lb/>
bescholtenheit, strafbar. Sachlich steht sie der oben erörterten Schelte<lb/>
sehr viel näher als nach unserer heutigen Auffassung. Ja, gewisse<lb/>
Arten falscher Anklage fallen selbst im Wortsinne unter den Rahmen<lb/>
der Schelte; so die Urteilschelte und die prozessualische Eidesschelte.</p><lb/>
            <p>Allerdings wird in den Quellen dem sachfälligen Kläger gelegent-<lb/>
lich eine Bu&#x017F;se auferlegt. Allein die allgemeine Strafbarkeit der<lb/>
falschen Anklage darf daraus nicht gefolgert werden. Die Bu&#x017F;se steht<lb/>
zum Teil auf Fälle, in welchen eine falsche Anklage im eigentlichen<lb/>
Sinne nicht vorliegt; so auf unrechten Anefang <note place="foot" n="26">Siehe oben S. 509.</note>, bei welchem ein per-<lb/>
sönlicher Vorwurf gegen den Besitzer nicht erhoben, sondern nur be-<lb/>
hauptet wird, da&#x017F;s die Sache gestohlen oder geraubt sei. Andererseits<lb/>
ist die Bu&#x017F;se, die man im Verfahren um handhafte That verwirkt,<lb/>
wenn man die Schuld des Gebundenen nicht zu beschwören vermag,<lb/>
die Bu&#x017F;se der unrechtmä&#x017F;sigen Bindung und nicht die der falschen<lb/>
Anklage <note place="foot" n="27">Lex Rib. 41, 1. Lex Sal. 32. Siehe oben S. 484. Auf besonderer könig-<lb/>
licher Satzung beruht es, da&#x017F;s nach Cap. Hlud. II Pap. in legem data v. J. 855,<lb/>
c. 1, II 89 den Königsbann bü&#x017F;st, wer einen Zeugen des Gegners zurückweist, in-<lb/>
dem er ihn fälschlich eines Verbrechens beschuldigt. Grundlose Klage um ein<lb/>
durch Königsbann gefriedetes Grundstück kann als inquietatio und sohin als Über-<lb/>
tretung des Bannes mit der Bannbu&#x017F;se geahndet werden. Vgl. Rich. <hi rendition="#g">Loening</hi><lb/>
a. O. S. 578.</note>.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">43*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[675/0693] § 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage. thätigkeiten beschimpfenden Charakters können das Gepräge des Ver- suchsdeliktes haben und demgemäſs geahndet werden; so die Weg- sperre, die Wassertauche, unzüchtige Handlungen gegen Frauen 21. Rein kommt der Charakter der Realinjurie nur in vereinzelten typischen Fällen zum Ausdruck. Dahin gehört, daſs man einem Freien wider Willen Haar oder Bart schert 22, daſs man ihn entwaffnet 23, über das Dach des Hauses, in dem der Hausherr oder ein anderer sitzt, in illius contumeliam einen Stein wirft 24. Die Hochbuſse von 900 Solidi setzt ein Gelegenheitsgesetz Aistulfs, wenn jemand Schmutz- wasser und Unflat über einen Hochzeitszug ausgieſst. Die Buſse ist zur Hälfte dem Könige, zur Hälfte dem Vormunde der Braut zu zahlen 25. Falsche Anklage, die man im Volksgerichte erhob, war nach den meisten Volksrechten, wie es scheint, nicht schlechtweg, sondern nur unter gewissen Voraussetzungen, nämlich als Gefährdung der Un- bescholtenheit, strafbar. Sachlich steht sie der oben erörterten Schelte sehr viel näher als nach unserer heutigen Auffassung. Ja, gewisse Arten falscher Anklage fallen selbst im Wortsinne unter den Rahmen der Schelte; so die Urteilschelte und die prozessualische Eidesschelte. Allerdings wird in den Quellen dem sachfälligen Kläger gelegent- lich eine Buſse auferlegt. Allein die allgemeine Strafbarkeit der falschen Anklage darf daraus nicht gefolgert werden. Die Buſse steht zum Teil auf Fälle, in welchen eine falsche Anklage im eigentlichen Sinne nicht vorliegt; so auf unrechten Anefang 26, bei welchem ein per- sönlicher Vorwurf gegen den Besitzer nicht erhoben, sondern nur be- hauptet wird, daſs die Sache gestohlen oder geraubt sei. Andererseits ist die Buſse, die man im Verfahren um handhafte That verwirkt, wenn man die Schuld des Gebundenen nicht zu beschwören vermag, die Buſse der unrechtmäſsigen Bindung und nicht die der falschen Anklage 27. 21 Siehe oben S. 563. 559 f. 22 Lex Alam. 57, 29. 30. 23 Knut II 60. 24 Lex Sal. 97. Vielleicht gehört auch Lex Sal. 30, 9, Extrav. A 3 mit dem unaufgeklärten pittum excutere zu den Ehrenkränkungen. 25 Aistulf 15. 26 Siehe oben S. 509. 27 Lex Rib. 41, 1. Lex Sal. 32. Siehe oben S. 484. Auf besonderer könig- licher Satzung beruht es, daſs nach Cap. Hlud. II Pap. in legem data v. J. 855, c. 1, II 89 den Königsbann büſst, wer einen Zeugen des Gegners zurückweist, in- dem er ihn fälschlich eines Verbrechens beschuldigt. Grundlose Klage um ein durch Königsbann gefriedetes Grundstück kann als inquietatio und sohin als Über- tretung des Bannes mit der Bannbuſse geahndet werden. Vgl. Rich. Loening a. O. S. 578. 43*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/693
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/693>, abgerufen am 22.11.2024.