Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 143. Notzucht und Frauenraub.
Volksrechte die Kirche beanstandet, scheint es sich zu beziehen, wenn
die sonst so strenge Capitulatio de partibus Saxoniae verbotene und
unerlaubte Ehen mit dem ständisch abgestuften Königsbanne von 60,
30 und 15 Solidi ahndet58 und wenn ein Zusatz zum friesischen
Volksrechte in erster Linie die Trennung der Verbundenen und nur
im Falle des Ungehorsams das Wergeld festsetzt59. Gleichen Stand-
punkt nehmen karolingische Kapitularien ein, welche zur Ahndung
des Incestes die Organe der Kirche heranziehen60.

§ 143. Notzucht und Frauenraub.

Wilda, Strafrecht S. 829. 839. 845. Grimm, RA S. 633. Derselbe, Über die
Notnunft an Frauen in Z. f. DR V 1. Dazu die Bemerkungen von Gözenbach,
Z. f. DR IX 330. Osenbrüggen, Strafrecht der Langobarden S. 109.

Die an einer Freien verübte Notzucht1 wird nur in den Quellen
einzelner Stammesrechte als besondere Missethat hervorgehoben. In
anderen fliesst sie mit dem Frauenraube zusammen und wird als
rapere bezeichnet, wie denn auch im altfranzösischen und anglo-nor-
mannischen Rechte die Notzucht als rap, raz, raptus erscheint2. Wahr-
scheinlich fand die Bewältigung eines freien ledigen Weibes, ebenso
wie der Frauenraub, wenn die beleidigte Sippe nicht zur Fehde schritt,
ihre Sühne regelmässig in Busse und Ehe, wogegen bei handhafter
That das Totungsrecht gegeben war und die Notzüchtigung von Ehe-
frauen unter den Begriff des Ehebruches fiel. Als Notzuchtsbussen
erscheinen in der Lex Salica 621/23, bei den Alamannen 404, bei
den Angelsachsen 605 Schillinge. Qualifizierte Notzucht war bei den

58 Cap. de part. Sax. c. 20.
59 Lex Fris. Add. 3, 77.
60 Siehe oben Seite 322.
1 Ags. nydhaemed, fries. nedmond, manus violenta. Der ahd. Ausdruck
notnumft erscheint als Überschrift zu Titel 8 der Lex Frisionum in der Be-
deutung Raub. Das Wort Notzucht ist jüngeren Ursprungs; doch haben schon
ahd. Glossen bei Graff, Sprachsch. V 620: notzogjan, ginotzogjan für devirginare.
2 Etablissements de S. Louis I, c. 27: raz est fame efforcier. Britton I 55:
rap est une felonie de homme de violence fete au cors de femme. Dazu Wilda,
Strafrecht S. 831. Anm. 3.
3 Lex Sal. 25, 1. Ebenso hoch ist die Busse des Frauenraubes. Als Banden-
verbrechen wird Notzucht nach Lex Sal. 105 von den Thätern mit 200 Solidi
gebüsst. Siehe oben S. 572.
4 Lex Alam. 56.
5 Alfred 11, 2. Nur dreissig, wenn ihr früher ein anderer Mann beigewohnt
hatte. Vgl. oben S. 661, Anm. 22.

§ 143. Notzucht und Frauenraub.
Volksrechte die Kirche beanstandet, scheint es sich zu beziehen, wenn
die sonst so strenge Capitulatio de partibus Saxoniae verbotene und
unerlaubte Ehen mit dem ständisch abgestuften Königsbanne von 60,
30 und 15 Solidi ahndet58 und wenn ein Zusatz zum friesischen
Volksrechte in erster Linie die Trennung der Verbundenen und nur
im Falle des Ungehorsams das Wergeld festsetzt59. Gleichen Stand-
punkt nehmen karolingische Kapitularien ein, welche zur Ahndung
des Incestes die Organe der Kirche heranziehen60.

§ 143. Notzucht und Frauenraub.

Wilda, Strafrecht S. 829. 839. 845. Grimm, RA S. 633. Derselbe, Über die
Notnunft an Frauen in Z. f. DR V 1. Dazu die Bemerkungen von Gözenbach,
Z. f. DR IX 330. Osenbrüggen, Strafrecht der Langobarden S. 109.

Die an einer Freien verübte Notzucht1 wird nur in den Quellen
einzelner Stammesrechte als besondere Missethat hervorgehoben. In
anderen flieſst sie mit dem Frauenraube zusammen und wird als
rapere bezeichnet, wie denn auch im altfranzösischen und anglo-nor-
mannischen Rechte die Notzucht als rap, raz, raptus erscheint2. Wahr-
scheinlich fand die Bewältigung eines freien ledigen Weibes, ebenso
wie der Frauenraub, wenn die beleidigte Sippe nicht zur Fehde schritt,
ihre Sühne regelmäſsig in Buſse und Ehe, wogegen bei handhafter
That das Totungsrecht gegeben war und die Notzüchtigung von Ehe-
frauen unter den Begriff des Ehebruches fiel. Als Notzuchtsbuſsen
erscheinen in der Lex Salica 62½3, bei den Alamannen 404, bei
den Angelsachsen 605 Schillinge. Qualifizierte Notzucht war bei den

58 Cap. de part. Sax. c. 20.
59 Lex Fris. Add. 3, 77.
60 Siehe oben Seite 322.
1 Ags. nýdhǽmed, fries. nêdmond, manus violenta. Der ahd. Ausdruck
notnumft erscheint als Überschrift zu Titel 8 der Lex Frisionum in der Be-
deutung Raub. Das Wort Notzucht ist jüngeren Ursprungs; doch haben schon
ahd. Glossen bei Graff, Sprachsch. V 620: nôtzogjan, ginôtzogjan für devirginare.
2 Etablissements de S. Louis I, c. 27: raz est fame efforcier. Britton I 55:
rap est une felonie de homme de violence fete au cors de femme. Dazu Wilda,
Strafrecht S. 831. Anm. 3.
3 Lex Sal. 25, 1. Ebenso hoch ist die Buſse des Frauenraubes. Als Banden-
verbrechen wird Notzucht nach Lex Sal. 105 von den Thätern mit 200 Solidi
gebüſst. Siehe oben S. 572.
4 Lex Alam. 56.
5 Alfred 11, 2. Nur dreiſsig, wenn ihr früher ein anderer Mann beigewohnt
hatte. Vgl. oben S. 661, Anm. 22.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0684" n="666"/><fw place="top" type="header">§ 143. Notzucht und Frauenraub.</fw><lb/>
Volksrechte die Kirche beanstandet, scheint es sich zu beziehen, wenn<lb/>
die sonst so strenge Capitulatio de partibus Saxoniae verbotene und<lb/>
unerlaubte Ehen mit dem ständisch abgestuften Königsbanne von 60,<lb/>
30 und 15 Solidi ahndet<note place="foot" n="58">Cap. de part. Sax. c. 20.</note> und wenn ein Zusatz zum friesischen<lb/>
Volksrechte in erster Linie die Trennung der Verbundenen und nur<lb/>
im Falle des Ungehorsams das Wergeld festsetzt<note place="foot" n="59">Lex Fris. Add. 3, 77.</note>. Gleichen Stand-<lb/>
punkt nehmen karolingische Kapitularien ein, welche zur Ahndung<lb/>
des Incestes die Organe der Kirche heranziehen<note place="foot" n="60">Siehe oben Seite 322.</note>.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 143. <hi rendition="#g">Notzucht und Frauenraub</hi>.</head><lb/>
            <p>
              <bibl><hi rendition="#g">Wilda</hi>, Strafrecht S. 829. 839. 845. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S. 633. <hi rendition="#g">Derselbe</hi>, Über die<lb/>
Notnunft an Frauen in Z. f. DR V 1. Dazu die Bemerkungen von <hi rendition="#g">Gözenbach</hi>,<lb/><hi rendition="#c">Z. f. DR IX 330. <hi rendition="#g">Osenbrüggen</hi>, Strafrecht der Langobarden S. 109.</hi></bibl>
            </p><lb/>
            <p>Die an einer Freien verübte Notzucht<note place="foot" n="1">Ags. nýdh&#x01FD;med, fries. nêdmond, manus violenta. Der ahd. Ausdruck<lb/>
notnumft erscheint als Überschrift zu Titel 8 der Lex Frisionum in der Be-<lb/>
deutung Raub. Das Wort Notzucht ist jüngeren Ursprungs; doch haben schon<lb/>
ahd. Glossen bei <hi rendition="#g">Graff</hi>, Sprachsch. V 620: nôtzogjan, ginôtzogjan für devirginare.</note> wird nur in den Quellen<lb/>
einzelner Stammesrechte als besondere Missethat hervorgehoben. In<lb/>
anderen flie&#x017F;st sie mit dem Frauenraube zusammen und wird als<lb/>
rapere bezeichnet, wie denn auch im altfranzösischen und anglo-nor-<lb/>
mannischen Rechte die Notzucht als rap, raz, raptus erscheint<note place="foot" n="2">Etablissements de S. Louis I, c. 27: raz est fame efforcier. Britton I 55:<lb/>
rap est une felonie de homme de violence fete au cors de femme. Dazu <hi rendition="#g">Wilda</hi>,<lb/>
Strafrecht S. 831. Anm. 3.</note>. Wahr-<lb/>
scheinlich fand die Bewältigung eines freien ledigen Weibes, ebenso<lb/>
wie der Frauenraub, wenn die beleidigte Sippe nicht zur Fehde schritt,<lb/>
ihre Sühne regelmä&#x017F;sig in Bu&#x017F;se und Ehe, wogegen bei handhafter<lb/>
That das Totungsrecht gegeben war und die Notzüchtigung von Ehe-<lb/>
frauen unter den Begriff des Ehebruches fiel. Als Notzuchtsbu&#x017F;sen<lb/>
erscheinen in der Lex Salica 62½<note place="foot" n="3">Lex Sal. 25, 1. Ebenso hoch ist die Bu&#x017F;se des Frauenraubes. Als Banden-<lb/>
verbrechen wird Notzucht nach Lex Sal. 105 von den Thätern mit 200 Solidi<lb/>
gebü&#x017F;st. Siehe oben S. 572.</note>, bei den Alamannen 40<note place="foot" n="4">Lex Alam. 56.</note>, bei<lb/>
den Angelsachsen 60<note place="foot" n="5">Alfred 11, 2. Nur drei&#x017F;sig, wenn ihr früher ein anderer Mann beigewohnt<lb/>
hatte. Vgl. oben S. 661, Anm. 22.</note> Schillinge. Qualifizierte Notzucht war bei den<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[666/0684] § 143. Notzucht und Frauenraub. Volksrechte die Kirche beanstandet, scheint es sich zu beziehen, wenn die sonst so strenge Capitulatio de partibus Saxoniae verbotene und unerlaubte Ehen mit dem ständisch abgestuften Königsbanne von 60, 30 und 15 Solidi ahndet 58 und wenn ein Zusatz zum friesischen Volksrechte in erster Linie die Trennung der Verbundenen und nur im Falle des Ungehorsams das Wergeld festsetzt 59. Gleichen Stand- punkt nehmen karolingische Kapitularien ein, welche zur Ahndung des Incestes die Organe der Kirche heranziehen 60. § 143. Notzucht und Frauenraub. Wilda, Strafrecht S. 829. 839. 845. Grimm, RA S. 633. Derselbe, Über die Notnunft an Frauen in Z. f. DR V 1. Dazu die Bemerkungen von Gözenbach, Z. f. DR IX 330. Osenbrüggen, Strafrecht der Langobarden S. 109. Die an einer Freien verübte Notzucht 1 wird nur in den Quellen einzelner Stammesrechte als besondere Missethat hervorgehoben. In anderen flieſst sie mit dem Frauenraube zusammen und wird als rapere bezeichnet, wie denn auch im altfranzösischen und anglo-nor- mannischen Rechte die Notzucht als rap, raz, raptus erscheint 2. Wahr- scheinlich fand die Bewältigung eines freien ledigen Weibes, ebenso wie der Frauenraub, wenn die beleidigte Sippe nicht zur Fehde schritt, ihre Sühne regelmäſsig in Buſse und Ehe, wogegen bei handhafter That das Totungsrecht gegeben war und die Notzüchtigung von Ehe- frauen unter den Begriff des Ehebruches fiel. Als Notzuchtsbuſsen erscheinen in der Lex Salica 62½ 3, bei den Alamannen 40 4, bei den Angelsachsen 60 5 Schillinge. Qualifizierte Notzucht war bei den 58 Cap. de part. Sax. c. 20. 59 Lex Fris. Add. 3, 77. 60 Siehe oben Seite 322. 1 Ags. nýdhǽmed, fries. nêdmond, manus violenta. Der ahd. Ausdruck notnumft erscheint als Überschrift zu Titel 8 der Lex Frisionum in der Be- deutung Raub. Das Wort Notzucht ist jüngeren Ursprungs; doch haben schon ahd. Glossen bei Graff, Sprachsch. V 620: nôtzogjan, ginôtzogjan für devirginare. 2 Etablissements de S. Louis I, c. 27: raz est fame efforcier. Britton I 55: rap est une felonie de homme de violence fete au cors de femme. Dazu Wilda, Strafrecht S. 831. Anm. 3. 3 Lex Sal. 25, 1. Ebenso hoch ist die Buſse des Frauenraubes. Als Banden- verbrechen wird Notzucht nach Lex Sal. 105 von den Thätern mit 200 Solidi gebüſst. Siehe oben S. 572. 4 Lex Alam. 56. 5 Alfred 11, 2. Nur dreiſsig, wenn ihr früher ein anderer Mann beigewohnt hatte. Vgl. oben S. 661, Anm. 22.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/684
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/684>, abgerufen am 21.11.2024.