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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.

Der Ausdruck Raub wird mitunter auf unbewegliche Sachen
ausgedehnt. Man spricht auch von Landraub 84. Doch steht dieser
nach den Quellen der fränkischen Zeit unter selbständiger, und zwar
in der Regel unter geringerer Busse. Die geraubte bewegliche Sache
braucht keine fremde zu sein. Auch der Eigentümer, der seine Sache
einem anderen ohne Beachtung der für den Anefang geltenden Grund-
sätze hinwegnimmt, verfällt nach salischem Rechte wegen charoena
in die Raubbusse 85. Ebenso nach verschiedenen Rechten der Ge-
pfändete wegen Pfandkehrung 86.

Nach den meisten Rechten wird der Raub, sofern er nicht quali-
fizierter Raub ist, milder bestraft als der Diebstahl. Das salische
Recht setzt auf Raub eine Busse von 30 Solidi 87, wenn das Geraubte
den Wert eines Schillings hat, von 15 Solidi, wenn es weniger wert
ist 88. Das alamannische Recht verlangt bei Raub nur den zweifachen
oder dreifachen, nicht wie bei Diebstahl den neunfachen Ersatz 89. Bei
den Mittel- und Westfriesen wurde der Raub gleich dem Diebstahl
mit dem Zwiegelde vergolten; allein das Friedensgeld betrug ursprüng-
lich nur 12, nicht wie bei Diebstahl 53 1/3 Solidi 90. Umgekehrt war
bei den Angelsachsen zwar die Wette des Räubers dieselbe wie die
des Diebes; aber der Ersatz brauchte nur einfach geleistet zu
werden 91. Das ostfriesische Recht verlangte neben einfachem Ersatz
eine Busse von 24 Solidi, die an den Verletzten, und das Wergeld-
simplum, das als Friedensgeld an den König zu zahlen war 92. Nach
burgundischem Rechte wurde der einfache Raub gleich dem kleinen
Diebstahl mit dem Neungelde gebüsst 93. Das langobardische Recht
scheint dem Räuber ebenso wie dem Diebe neunfachen Ersatz auf-
erlegt zu haben, ohne aber auf handhaften Raub die Grundsätze des
handhaften Diebstahls anzuwenden 94.


84 Siehe oben S. 512. 513 Anm. 8.
85 Lex Sal. 37, 2; 61, 3, Cod. 2 ff.
86 Liu. 40. Lex Sal. 9, 5, wo Cod. 1 eine Busse von 30 Solidi nennt, die
übrigen Texte eine Busse von 15 Solidi (die kleine Raubbusse) haben.
87 Lex Sal. 17, 12; 35, 2; 37, 2; 55, 6; 61, 1. 3.
88 Lex Sal. 35, 3.
89 Lex Alam. 5, 2; 34.
90 Lex Fris. 8. Add. 9. stellt den Raub hinsichtlich des Friedensgeldes dem
Diebstahl gleich.
91 Ine 10. Vgl. Ine 7.
92 Lex Fris. 9, 14 ff. Wurde ein Adeliger beraubt, so betrug die Busse 48,
wenn ein Lite, 12 Solidi.
93 Lex Burg. 9.
94 Arg. Liu. 35. 40. 151.
§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.

Der Ausdruck Raub wird mitunter auf unbewegliche Sachen
ausgedehnt. Man spricht auch von Landraub 84. Doch steht dieser
nach den Quellen der fränkischen Zeit unter selbständiger, und zwar
in der Regel unter geringerer Buſse. Die geraubte bewegliche Sache
braucht keine fremde zu sein. Auch der Eigentümer, der seine Sache
einem anderen ohne Beachtung der für den Anefang geltenden Grund-
sätze hinwegnimmt, verfällt nach salischem Rechte wegen charoëna
in die Raubbuſse 85. Ebenso nach verschiedenen Rechten der Ge-
pfändete wegen Pfandkehrung 86.

Nach den meisten Rechten wird der Raub, sofern er nicht quali-
fizierter Raub ist, milder bestraft als der Diebstahl. Das salische
Recht setzt auf Raub eine Buſse von 30 Solidi 87, wenn das Geraubte
den Wert eines Schillings hat, von 15 Solidi, wenn es weniger wert
ist 88. Das alamannische Recht verlangt bei Raub nur den zweifachen
oder dreifachen, nicht wie bei Diebstahl den neunfachen Ersatz 89. Bei
den Mittel- und Westfriesen wurde der Raub gleich dem Diebstahl
mit dem Zwiegelde vergolten; allein das Friedensgeld betrug ursprüng-
lich nur 12, nicht wie bei Diebstahl 53⅓ Solidi 90. Umgekehrt war
bei den Angelsachsen zwar die Wette des Räubers dieselbe wie die
des Diebes; aber der Ersatz brauchte nur einfach geleistet zu
werden 91. Das ostfriesische Recht verlangte neben einfachem Ersatz
eine Buſse von 24 Solidi, die an den Verletzten, und das Wergeld-
simplum, das als Friedensgeld an den König zu zahlen war 92. Nach
burgundischem Rechte wurde der einfache Raub gleich dem kleinen
Diebstahl mit dem Neungelde gebüſst 93. Das langobardische Recht
scheint dem Räuber ebenso wie dem Diebe neunfachen Ersatz auf-
erlegt zu haben, ohne aber auf handhaften Raub die Grundsätze des
handhaften Diebstahls anzuwenden 94.


84 Siehe oben S. 512. 513 Anm. 8.
85 Lex Sal. 37, 2; 61, 3, Cod. 2 ff.
86 Liu. 40. Lex Sal. 9, 5, wo Cod. 1 eine Buſse von 30 Solidi nennt, die
übrigen Texte eine Buſse von 15 Solidi (die kleine Raubbuſse) haben.
87 Lex Sal. 17, 12; 35, 2; 37, 2; 55, 6; 61, 1. 3.
88 Lex Sal. 35, 3.
89 Lex Alam. 5, 2; 34.
90 Lex Fris. 8. Add. 9. stellt den Raub hinsichtlich des Friedensgeldes dem
Diebstahl gleich.
91 Ine 10. Vgl. Ine 7.
92 Lex Fris. 9, 14 ff. Wurde ein Adeliger beraubt, so betrug die Buſse 48,
wenn ein Lite, 12 Solidi.
93 Lex Burg. 9.
94 Arg. Liu. 35. 40. 151.
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[648/0666] § 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung. Der Ausdruck Raub wird mitunter auf unbewegliche Sachen ausgedehnt. Man spricht auch von Landraub 84. Doch steht dieser nach den Quellen der fränkischen Zeit unter selbständiger, und zwar in der Regel unter geringerer Buſse. Die geraubte bewegliche Sache braucht keine fremde zu sein. Auch der Eigentümer, der seine Sache einem anderen ohne Beachtung der für den Anefang geltenden Grund- sätze hinwegnimmt, verfällt nach salischem Rechte wegen charoëna in die Raubbuſse 85. Ebenso nach verschiedenen Rechten der Ge- pfändete wegen Pfandkehrung 86. Nach den meisten Rechten wird der Raub, sofern er nicht quali- fizierter Raub ist, milder bestraft als der Diebstahl. Das salische Recht setzt auf Raub eine Buſse von 30 Solidi 87, wenn das Geraubte den Wert eines Schillings hat, von 15 Solidi, wenn es weniger wert ist 88. Das alamannische Recht verlangt bei Raub nur den zweifachen oder dreifachen, nicht wie bei Diebstahl den neunfachen Ersatz 89. Bei den Mittel- und Westfriesen wurde der Raub gleich dem Diebstahl mit dem Zwiegelde vergolten; allein das Friedensgeld betrug ursprüng- lich nur 12, nicht wie bei Diebstahl 53⅓ Solidi 90. Umgekehrt war bei den Angelsachsen zwar die Wette des Räubers dieselbe wie die des Diebes; aber der Ersatz brauchte nur einfach geleistet zu werden 91. Das ostfriesische Recht verlangte neben einfachem Ersatz eine Buſse von 24 Solidi, die an den Verletzten, und das Wergeld- simplum, das als Friedensgeld an den König zu zahlen war 92. Nach burgundischem Rechte wurde der einfache Raub gleich dem kleinen Diebstahl mit dem Neungelde gebüſst 93. Das langobardische Recht scheint dem Räuber ebenso wie dem Diebe neunfachen Ersatz auf- erlegt zu haben, ohne aber auf handhaften Raub die Grundsätze des handhaften Diebstahls anzuwenden 94. 84 Siehe oben S. 512. 513 Anm. 8. 85 Lex Sal. 37, 2; 61, 3, Cod. 2 ff. 86 Liu. 40. Lex Sal. 9, 5, wo Cod. 1 eine Buſse von 30 Solidi nennt, die übrigen Texte eine Buſse von 15 Solidi (die kleine Raubbuſse) haben. 87 Lex Sal. 17, 12; 35, 2; 37, 2; 55, 6; 61, 1. 3. 88 Lex Sal. 35, 3. 89 Lex Alam. 5, 2; 34. 90 Lex Fris. 8. Add. 9. stellt den Raub hinsichtlich des Friedensgeldes dem Diebstahl gleich. 91 Ine 10. Vgl. Ine 7. 92 Lex Fris. 9, 14 ff. Wurde ein Adeliger beraubt, so betrug die Buſse 48, wenn ein Lite, 12 Solidi. 93 Lex Burg. 9. 94 Arg. Liu. 35. 40. 151.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/666>, abgerufen am 22.11.2024.