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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
eine strengere Gruppe erscheint die Acht als Ausgangspunkt der
strafrechtlichen Behandlung. Nach westgotischem Recht verfällt der
Thäter dem Tode, nach langobardischem steht sein Leben im Ermessen
des Königs, nach ribuarischem wird er exiliert47. Das norwegische
Recht stellt die Tötung eines nahen Verwandten rechtlich dem Morde
gleich48. Als unsühnbare That erscheint die Tötung des Bruders ur-
sprünglich auch bei den Angelsachsen49. Das Vermögen des Tod-
schlägers fällt nach fränkisch-alamannischem Rechte an den Fiskus50,
nach westgotischem und langobardischem an die nächsten Verwandten
des Erschlagenen51. Völlig verblasst ist die personenrechtliche Seite
der einstigen Friedlosigkeit im alamannischen Volksrechte und in den
karolingischen Kapitularien52, die den Todschläger einer von der
Kirche angeordneten Kirchenbusse unterwerfen53. Das friesiche Recht
behandelt die Tötung von Verwandten grundsätzlich gleich der Tötung
anderer Personen. Der Todschläger zahlt das Wergeld des getöteten
Bruders an jene, die diesem näher oder ebenso nahe verwandt sind,
als er selbst, eventuell an den König54.

Über Tötung des Ehegatten geben von den Quellen der frän-
kischen Zeit nur die langobardischen näheren Aufschluss. Der Mann
hat auf Grund seiner eheherrlichen Strafgewalt ein Tötungsrecht gegen-
über der Frau. Wenn er sie aber ohne Rechtsgrund tötet, so büsst
er die That, wie ein Dritter sie büssen müsste. Tötet die Frau

47 Lex Wisig. VI 5, 17. 18. Roth. 103. Lex Rib. 69, 2.
48 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 15. 31.
49 Beowulf v. 2436 ff.
50 Lex Rib. 69, 2. Lex Alam. 40. Cap. 803--813, c. 3, I 143. Cap. Worm.
pro lege hab. v. J. 829, c. 2, II 18.
51 Lex Wisig. VI 5, 17. 18. Roth. 163. Liu. 17.
52 Nur für einen bestimmten Fall, wenn nämlich ein Unfreier Verwandte
tötet, um den Beweis seiner Unfreiheit unmöglich zu machen, ordnet Karl in dem
Cap. legg. add. v. J. 803, c. 5, I 113 die Todesstrafe an.
53 Lex Alam. 40. Cap. miss. gener. v. J. 802, c. 37, I 98. Cap. Worm. cit.
c. 2, II 18. Ähnliche Grundsätze finden wir in Schweden. Nach Westgötalagen
soll der Todschläger sich vom Papste persönlich einen Ablass holen. Wilda,
Strafrecht S. 715. Nach Westmannalagen I hat der Bischof Anteil an einem
besonderen Friedensgelde. Wilda, a. O. S. 717, Anm. 1.
54 Lex Fris. 19, 2. Die Ansicht Wildas, Strafrecht S. 714, dass der Ver-
wandtenmord erst in christlicher Zeit unter dem Einflusse der Kirche zu einer aus-
gezeichneten Tötung geworden sei, lässt sich den Quellen gegenüber nicht aufrecht
halten. Gulathingslög 32, Frostuthingslög IV 31, Beowulf a. O., Roth. 163 und Lex
Rib. 69, 2 sprechen dagegen. Die Entwickelung zeigt vielmehr umgekehrt eine
Abschwächung der ursprünglichen Strenge. Was die Kirche erstrebte, ergeben das
alamannische und das Kapitularienrecht.

§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
eine strengere Gruppe erscheint die Acht als Ausgangspunkt der
strafrechtlichen Behandlung. Nach westgotischem Recht verfällt der
Thäter dem Tode, nach langobardischem steht sein Leben im Ermessen
des Königs, nach ribuarischem wird er exiliert47. Das norwegische
Recht stellt die Tötung eines nahen Verwandten rechtlich dem Morde
gleich48. Als unsühnbare That erscheint die Tötung des Bruders ur-
sprünglich auch bei den Angelsachsen49. Das Vermögen des Tod-
schlägers fällt nach fränkisch-alamannischem Rechte an den Fiskus50,
nach westgotischem und langobardischem an die nächsten Verwandten
des Erschlagenen51. Völlig verblaſst ist die personenrechtliche Seite
der einstigen Friedlosigkeit im alamannischen Volksrechte und in den
karolingischen Kapitularien52, die den Todschläger einer von der
Kirche angeordneten Kirchenbuſse unterwerfen53. Das friesiche Recht
behandelt die Tötung von Verwandten grundsätzlich gleich der Tötung
anderer Personen. Der Todschläger zahlt das Wergeld des getöteten
Bruders an jene, die diesem näher oder ebenso nahe verwandt sind,
als er selbst, eventuell an den König54.

Über Tötung des Ehegatten geben von den Quellen der frän-
kischen Zeit nur die langobardischen näheren Aufschluſs. Der Mann
hat auf Grund seiner eheherrlichen Strafgewalt ein Tötungsrecht gegen-
über der Frau. Wenn er sie aber ohne Rechtsgrund tötet, so büſst
er die That, wie ein Dritter sie büſsen müſste. Tötet die Frau

47 Lex Wisig. VI 5, 17. 18. Roth. 103. Lex Rib. 69, 2.
48 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 15. 31.
49 Beowulf v. 2436 ff.
50 Lex Rib. 69, 2. Lex Alam. 40. Cap. 803—813, c. 3, I 143. Cap. Worm.
pro lege hab. v. J. 829, c. 2, II 18.
51 Lex Wisig. VI 5, 17. 18. Roth. 163. Liu. 17.
52 Nur für einen bestimmten Fall, wenn nämlich ein Unfreier Verwandte
tötet, um den Beweis seiner Unfreiheit unmöglich zu machen, ordnet Karl in dem
Cap. legg. add. v. J. 803, c. 5, I 113 die Todesstrafe an.
53 Lex Alam. 40. Cap. miss. gener. v. J. 802, c. 37, I 98. Cap. Worm. cit.
c. 2, II 18. Ähnliche Grundsätze finden wir in Schweden. Nach Westgötalagen
soll der Todschläger sich vom Papste persönlich einen Ablaſs holen. Wilda,
Strafrecht S. 715. Nach Westmannalagen I hat der Bischof Anteil an einem
besonderen Friedensgelde. Wilda, a. O. S. 717, Anm. 1.
54 Lex Fris. 19, 2. Die Ansicht Wildas, Strafrecht S. 714, daſs der Ver-
wandtenmord erst in christlicher Zeit unter dem Einfluſse der Kirche zu einer aus-
gezeichneten Tötung geworden sei, läſst sich den Quellen gegenüber nicht aufrecht
halten. Gulaþíngslög 32, Frostuþíngslög IV 31, Beowulf a. O., Roth. 163 und Lex
Rib. 69, 2 sprechen dagegen. Die Entwickelung zeigt vielmehr umgekehrt eine
Abschwächung der ursprünglichen Strenge. Was die Kirche erstrebte, ergeben das
alamannische und das Kapitularienrecht.
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[633/0651] § 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung. eine strengere Gruppe erscheint die Acht als Ausgangspunkt der strafrechtlichen Behandlung. Nach westgotischem Recht verfällt der Thäter dem Tode, nach langobardischem steht sein Leben im Ermessen des Königs, nach ribuarischem wird er exiliert 47. Das norwegische Recht stellt die Tötung eines nahen Verwandten rechtlich dem Morde gleich 48. Als unsühnbare That erscheint die Tötung des Bruders ur- sprünglich auch bei den Angelsachsen 49. Das Vermögen des Tod- schlägers fällt nach fränkisch-alamannischem Rechte an den Fiskus 50, nach westgotischem und langobardischem an die nächsten Verwandten des Erschlagenen 51. Völlig verblaſst ist die personenrechtliche Seite der einstigen Friedlosigkeit im alamannischen Volksrechte und in den karolingischen Kapitularien 52, die den Todschläger einer von der Kirche angeordneten Kirchenbuſse unterwerfen 53. Das friesiche Recht behandelt die Tötung von Verwandten grundsätzlich gleich der Tötung anderer Personen. Der Todschläger zahlt das Wergeld des getöteten Bruders an jene, die diesem näher oder ebenso nahe verwandt sind, als er selbst, eventuell an den König 54. Über Tötung des Ehegatten geben von den Quellen der frän- kischen Zeit nur die langobardischen näheren Aufschluſs. Der Mann hat auf Grund seiner eheherrlichen Strafgewalt ein Tötungsrecht gegen- über der Frau. Wenn er sie aber ohne Rechtsgrund tötet, so büſst er die That, wie ein Dritter sie büſsen müſste. Tötet die Frau 47 Lex Wisig. VI 5, 17. 18. Roth. 103. Lex Rib. 69, 2. 48 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 15. 31. 49 Beowulf v. 2436 ff. 50 Lex Rib. 69, 2. Lex Alam. 40. Cap. 803—813, c. 3, I 143. Cap. Worm. pro lege hab. v. J. 829, c. 2, II 18. 51 Lex Wisig. VI 5, 17. 18. Roth. 163. Liu. 17. 52 Nur für einen bestimmten Fall, wenn nämlich ein Unfreier Verwandte tötet, um den Beweis seiner Unfreiheit unmöglich zu machen, ordnet Karl in dem Cap. legg. add. v. J. 803, c. 5, I 113 die Todesstrafe an. 53 Lex Alam. 40. Cap. miss. gener. v. J. 802, c. 37, I 98. Cap. Worm. cit. c. 2, II 18. Ähnliche Grundsätze finden wir in Schweden. Nach Westgötalagen soll der Todschläger sich vom Papste persönlich einen Ablaſs holen. Wilda, Strafrecht S. 715. Nach Westmannalagen I hat der Bischof Anteil an einem besonderen Friedensgelde. Wilda, a. O. S. 717, Anm. 1. 54 Lex Fris. 19, 2. Die Ansicht Wildas, Strafrecht S. 714, daſs der Ver- wandtenmord erst in christlicher Zeit unter dem Einfluſse der Kirche zu einer aus- gezeichneten Tötung geworden sei, läſst sich den Quellen gegenüber nicht aufrecht halten. Gulaþíngslög 32, Frostuþíngslög IV 31, Beowulf a. O., Roth. 163 und Lex Rib. 69, 2 sprechen dagegen. Die Entwickelung zeigt vielmehr umgekehrt eine Abschwächung der ursprünglichen Strenge. Was die Kirche erstrebte, ergeben das alamannische und das Kapitularienrecht.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/651>, abgerufen am 22.11.2024.