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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 137. Die Wirdira (dilatura).
dabei um einen Fall sogenannten Blutraubes zu handeln, d. h. um Aus-
plünderung eines Menschen, den man getötet hatte10. Die Lex Salica
und die Lex Ribuaria nennen die dilatura neben dem capitale, die
der Chamaven und der Anglowarnen neben dem mehrfachen Ersatze
der gestohlenen Sache. Aus blossem Versuche erwächst keine dilatura,
weil kein capitale zu ersetzen ist11. Dilatura wird nicht verlangt,
wenn das capitale von sehr geringem Werte ist12. Die Lex Salica
bringt sie fast stets im Gefolge der Klausel: si ei adprobatum fuerit.
Ausdrücklich heben die Quellen in einzelnen Fällen hervor, dass sie
nur derjenige zu zahlen habe, der die That geleugnet habe und über-
führt worden sei. So, wenn jemand fremdes Vieh aus Anlass eines
Feldschadens oder absichtslos beschädigt13, wenn jemand auf fremdem
Felde Schaden anrichtet14, wenn jemand einem toten Pferde wider
Willen des Eigentümers das Fell abzieht15, wenn jemand einen nicht
bestatteten menschlichen Leichnam beraubt16. Es handelt sich da um
Fälle, in welchen aus dem Leugnen der dolus des Thäters oder ein
dolus von erhöhter Strafbarkeit erschlossen wird, während bei Be-
kenntnis der That nur Schadenersatz oder doch eine geringere Busse
zu zahlen ist.

Eine Strafe war die dilatura nicht. Das ergiebt sich aus der
Pflicht der Erben eines gehängten Diebes, capitale und dilatura zu
zahlen17. Die Strafe als solche geht nicht auf die Erben über. Die
dilatura hat vielmehr den Charakter eines Ersatzgeldes, wie denn auch
ein merowingisches Königsgesetz sie als dispendium auffasst18. Vermutlich

10 Die Heroldina fährt nämlich fort: de furtibus vero aliis 7 sol. Demnach
dürfte auch das Vorhergehende sich auf ein exspoliare in furtum beziehen. Vgl.
Lex Sal. 14, 8. Lex Rib. 54, 1. Pactus Alam. II 44. Roth. 14. Siehe unten
§ 145. -- Eine andere Erklärung ist oben I 219 versucht worden.
11 Vanderkindere S. 22.
12 Vanderkindere S. 15.
13 Lex Sal. 9, 1: si vero confessus non fuerit et ei fuerit adprobatum; 9, 3:
si vero negaverit et ei fuerit adprobatum ...
14 Lex Rib. 82, 1: si autem negaverit et convictus fuerit ...
15 Lex Sal. 65. Lex Rib. 86, wo dem Pferde quodcumlibet animal gleich-
gestellt wird.
16 Lex Rib. 54, 1.
17 Lex Rib. 79.
18 Pactus pro tenore pacis c. 16: quem (latronem) si truste per se invenerent,
medietatem composicionem sibi vindicit; capitale vel dilatura, si fuerit, de facultatem
latronis ei, qui furtum pertullit, sarciatur. Nam si per se latrone ceperit (der Be-
stohlene), integra sibi composicione simul et solucione vel quicquid dispendii fuerit,
revocabit. Dass dilatura im ersten Satze dasselbe, wie dispendium im zweiten, be-
deute, bemerkt bereits Boretius, Capitul. I 17, Anm. 16.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 40

§ 137. Die Wirdira (dilatura).
dabei um einen Fall sogenannten Blutraubes zu handeln, d. h. um Aus-
plünderung eines Menschen, den man getötet hatte10. Die Lex Salica
und die Lex Ribuaria nennen die dilatura neben dem capitale, die
der Chamaven und der Anglowarnen neben dem mehrfachen Ersatze
der gestohlenen Sache. Aus bloſsem Versuche erwächst keine dilatura,
weil kein capitale zu ersetzen ist11. Dilatura wird nicht verlangt,
wenn das capitale von sehr geringem Werte ist12. Die Lex Salica
bringt sie fast stets im Gefolge der Klausel: si ei adprobatum fuerit.
Ausdrücklich heben die Quellen in einzelnen Fällen hervor, daſs sie
nur derjenige zu zahlen habe, der die That geleugnet habe und über-
führt worden sei. So, wenn jemand fremdes Vieh aus Anlaſs eines
Feldschadens oder absichtslos beschädigt13, wenn jemand auf fremdem
Felde Schaden anrichtet14, wenn jemand einem toten Pferde wider
Willen des Eigentümers das Fell abzieht15, wenn jemand einen nicht
bestatteten menschlichen Leichnam beraubt16. Es handelt sich da um
Fälle, in welchen aus dem Leugnen der dolus des Thäters oder ein
dolus von erhöhter Strafbarkeit erschlossen wird, während bei Be-
kenntnis der That nur Schadenersatz oder doch eine geringere Buſse
zu zahlen ist.

Eine Strafe war die dilatura nicht. Das ergiebt sich aus der
Pflicht der Erben eines gehängten Diebes, capitale und dilatura zu
zahlen17. Die Strafe als solche geht nicht auf die Erben über. Die
dilatura hat vielmehr den Charakter eines Ersatzgeldes, wie denn auch
ein merowingisches Königsgesetz sie als dispendium auffaſst18. Vermutlich

10 Die Heroldina fährt nämlich fort: de furtibus vero aliis 7 sol. Demnach
dürfte auch das Vorhergehende sich auf ein exspoliare in furtum beziehen. Vgl.
Lex Sal. 14, 8. Lex Rib. 54, 1. Pactus Alam. II 44. Roth. 14. Siehe unten
§ 145. — Eine andere Erklärung ist oben I 219 versucht worden.
11 Vanderkindere S. 22.
12 Vanderkindere S. 15.
13 Lex Sal. 9, 1: si vero confessus non fuerit et ei fuerit adprobatum; 9, 3:
si vero negaverit et ei fuerit adprobatum …
14 Lex Rib. 82, 1: si autem negaverit et convictus fuerit …
15 Lex Sal. 65. Lex Rib. 86, wo dem Pferde quodcumlibet animal gleich-
gestellt wird.
16 Lex Rib. 54, 1.
17 Lex Rib. 79.
18 Pactus pro tenore pacis c. 16: quem (latronem) si truste per se invenerent,
medietatem composicionem sibi vindicit; capitale vel dilatura, si fuerit, de facultatem
latronis ei, qui furtum pertullit, sarciatur. Nam si per se latrone ceperit (der Be-
stohlene), integra sibi composicione simul et solucione vel quicquid dispendii fuerit,
revocabit. Daſs dilatura im ersten Satze dasselbe, wie dispendium im zweiten, be-
deute, bemerkt bereits Boretius, Capitul. I 17, Anm. 16.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 40
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[625/0643] § 137. Die Wirdira (dilatura). dabei um einen Fall sogenannten Blutraubes zu handeln, d. h. um Aus- plünderung eines Menschen, den man getötet hatte 10. Die Lex Salica und die Lex Ribuaria nennen die dilatura neben dem capitale, die der Chamaven und der Anglowarnen neben dem mehrfachen Ersatze der gestohlenen Sache. Aus bloſsem Versuche erwächst keine dilatura, weil kein capitale zu ersetzen ist 11. Dilatura wird nicht verlangt, wenn das capitale von sehr geringem Werte ist 12. Die Lex Salica bringt sie fast stets im Gefolge der Klausel: si ei adprobatum fuerit. Ausdrücklich heben die Quellen in einzelnen Fällen hervor, daſs sie nur derjenige zu zahlen habe, der die That geleugnet habe und über- führt worden sei. So, wenn jemand fremdes Vieh aus Anlaſs eines Feldschadens oder absichtslos beschädigt 13, wenn jemand auf fremdem Felde Schaden anrichtet 14, wenn jemand einem toten Pferde wider Willen des Eigentümers das Fell abzieht 15, wenn jemand einen nicht bestatteten menschlichen Leichnam beraubt 16. Es handelt sich da um Fälle, in welchen aus dem Leugnen der dolus des Thäters oder ein dolus von erhöhter Strafbarkeit erschlossen wird, während bei Be- kenntnis der That nur Schadenersatz oder doch eine geringere Buſse zu zahlen ist. Eine Strafe war die dilatura nicht. Das ergiebt sich aus der Pflicht der Erben eines gehängten Diebes, capitale und dilatura zu zahlen 17. Die Strafe als solche geht nicht auf die Erben über. Die dilatura hat vielmehr den Charakter eines Ersatzgeldes, wie denn auch ein merowingisches Königsgesetz sie als dispendium auffaſst 18. Vermutlich 10 Die Heroldina fährt nämlich fort: de furtibus vero aliis 7 sol. Demnach dürfte auch das Vorhergehende sich auf ein exspoliare in furtum beziehen. Vgl. Lex Sal. 14, 8. Lex Rib. 54, 1. Pactus Alam. II 44. Roth. 14. Siehe unten § 145. — Eine andere Erklärung ist oben I 219 versucht worden. 11 Vanderkindere S. 22. 12 Vanderkindere S. 15. 13 Lex Sal. 9, 1: si vero confessus non fuerit et ei fuerit adprobatum; 9, 3: si vero negaverit et ei fuerit adprobatum … 14 Lex Rib. 82, 1: si autem negaverit et convictus fuerit … 15 Lex Sal. 65. Lex Rib. 86, wo dem Pferde quodcumlibet animal gleich- gestellt wird. 16 Lex Rib. 54, 1. 17 Lex Rib. 79. 18 Pactus pro tenore pacis c. 16: quem (latronem) si truste per se invenerent, medietatem composicionem sibi vindicit; capitale vel dilatura, si fuerit, de facultatem latronis ei, qui furtum pertullit, sarciatur. Nam si per se latrone ceperit (der Be- stohlene), integra sibi composicione simul et solucione vel quicquid dispendii fuerit, revocabit. Daſs dilatura im ersten Satze dasselbe, wie dispendium im zweiten, be- deute, bemerkt bereits Boretius, Capitul. I 17, Anm. 16. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 40

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/643>, abgerufen am 22.11.2024.