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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 136. Die Bussen.
thätern. Zu Gunsten letzterer wurde der Asylschutz und das Ver-
mittlungsrecht der Kirche anerkannt 17. Dagegen schloss Karl der
Grosse bei verurteilten Verbrechern das Erfordernis der excusatio aus
und wurden die Konsequenzen der Acht wenigstens soweit geltend
gemacht, dass es verboten war, dem Flüchtling in der Kirche Nahrung
zu gewähren 18. Nach der Lex Saxonum fand der zum Tode ver-
urteilte Verbrecher nirgends Frieden. Flüchtete er in eine Kirche, so
sollte er ausgeliefert werden 19.

Das angelsächsische Recht zeigt eine ähnliche Abschwächung des
Asylschutzes. Nach den älteren Quellen wurde der Verbrecher durch
das Asyl der Leibes- und Lebensstrafe entzogen 20. Man mochte ihn
das Wergeld zahlen lassen, oder verknechten, oder ins Gefängnis
setzen 21. Dagegen schützte nach jüngerem Rechte das Asyl nur während
einer bestimmten Frist (z. B. drei, sieben oder neun Nächte), während
welcher dem Flüchtling keine Nahrung gereicht werden durfte 22. Nach
Ablauf der Frist sollte das Leben des flüchtigen Diebes nicht mehr
geschont werden 23. Wer ihn länger beherbergte, verwirkte die dem
Diebe drohende Strafe 24.

§ 136. Die Bussen.

Wilda, Strafrecht S. 314 ff. v. Woringen, Beiträge zur Geschichte des deutschen
Strafrechts, erster Beitrag: Erläuterungen über das Compositionenwesen 1836.
Gaupp, Germanistische Abhandlungen 1853, I: Über das Wergelds- und Bussen-
system der alten Lex Frisionum. Gengler, Beiträge zur Rechtsgeschichte Bayerns
I (1889) S. 36. Fustel de Coulanges, Recherches sur quelques problemes
d'histoire 1885, S. 460 ff. Derselbe, Nouvelles recherches 1891, S. 361 (De
l'inegalite du wergeld, ein Aufsatz v. J. 1876 aus Revue historique II). H. Brunner,
Duodecimalsystem und Decimalsystem in den Busszahlen der fränkischen Volks-
rechte, Berliner SB 1889, S. 1039 ff. -- Osenbrüggen, Strafrecht der Lango-
barden S. 15 ff. Pertile, Storia del diritto italiano V 194 ff. 211. Konrad

17 So sind Cap. de part. Sax. c. 2, I 68, Cap. legg. add. v. J. 803, c. 3, I 113
zu erklären. Divisio v. J. 806, c. 7, Cap. I 128: quia volumus, ut quilibet homo
peccans et intercessione indigens inter regnum domini sui vel ad loca sancta vel
ad honoratos homines confugiat et inde iustam intercessionem mereatur. Collectio
Pataviensis 2, Zeumer, Formulae S. 457.
18 Cap. Haristal. v. J. 779, c. 8, I 48: ut homicidas aut caeteros reos, qui
legibus mori debent, si ad ecclesiam confugerint, non excusentur, neque eis ibidem
victus detur. Vgl. Waitz, VG IV 504, Anm. 3.
19 Lex Sax. c. 28.
20 Ine 5.
21 Schmid, Ges. d. Ags. Anhang IV 16.
22 Alfred 2. 5.
23 Aethelstan IV 6.
24 Aethelstan V 4, § 3.

§ 136. Die Buſsen.
thätern. Zu Gunsten letzterer wurde der Asylschutz und das Ver-
mittlungsrecht der Kirche anerkannt 17. Dagegen schloſs Karl der
Groſse bei verurteilten Verbrechern das Erfordernis der excusatio aus
und wurden die Konsequenzen der Acht wenigstens soweit geltend
gemacht, daſs es verboten war, dem Flüchtling in der Kirche Nahrung
zu gewähren 18. Nach der Lex Saxonum fand der zum Tode ver-
urteilte Verbrecher nirgends Frieden. Flüchtete er in eine Kirche, so
sollte er ausgeliefert werden 19.

Das angelsächsische Recht zeigt eine ähnliche Abschwächung des
Asylschutzes. Nach den älteren Quellen wurde der Verbrecher durch
das Asyl der Leibes- und Lebensstrafe entzogen 20. Man mochte ihn
das Wergeld zahlen lassen, oder verknechten, oder ins Gefängnis
setzen 21. Dagegen schützte nach jüngerem Rechte das Asyl nur während
einer bestimmten Frist (z. B. drei, sieben oder neun Nächte), während
welcher dem Flüchtling keine Nahrung gereicht werden durfte 22. Nach
Ablauf der Frist sollte das Leben des flüchtigen Diebes nicht mehr
geschont werden 23. Wer ihn länger beherbergte, verwirkte die dem
Diebe drohende Strafe 24.

§ 136. Die Buſsen.

Wilda, Strafrecht S. 314 ff. v. Woringen, Beiträge zur Geschichte des deutschen
Strafrechts, erster Beitrag: Erläuterungen über das Compositionenwesen 1836.
Gaupp, Germanistische Abhandlungen 1853, I: Über das Wergelds- und Buſsen-
system der alten Lex Frisionum. Gengler, Beiträge zur Rechtsgeschichte Bayerns
I (1889) S. 36. Fustel de Coulanges, Recherches sur quelques problèmes
d’histoire 1885, S. 460 ff. Derselbe, Nouvelles recherches 1891, S. 361 (De
l’inégalité du wergeld, ein Aufsatz v. J. 1876 aus Revue historique II). H. Brunner,
Duodecimalsystem und Decimalsystem in den Buſszahlen der fränkischen Volks-
rechte, Berliner SB 1889, S. 1039 ff. — Osenbrüggen, Strafrecht der Lango-
barden S. 15 ff. Pertile, Storia del diritto italiano V 194 ff. 211. Konrad

17 So sind Cap. de part. Sax. c. 2, I 68, Cap. legg. add. v. J. 803, c. 3, I 113
zu erklären. Divisio v. J. 806, c. 7, Cap. I 128: quia volumus, ut quilibet homo
peccans et intercessione indigens inter regnum domini sui vel ad loca sancta vel
ad honoratos homines confugiat et inde iustam intercessionem mereatur. Collectio
Pataviensis 2, Zeumer, Formulae S. 457.
18 Cap. Haristal. v. J. 779, c. 8, I 48: ut homicidas aut caeteros reos, qui
legibus mori debent, si ad ecclesiam confugerint, non excusentur, neque eis ibidem
victus detur. Vgl. Waitz, VG IV 504, Anm. 3.
19 Lex Sax. c. 28.
20 Ine 5.
21 Schmid, Ges. d. Ags. Anhang IV 16.
22 Alfred 2. 5.
23 Aethelstan IV 6.
24 Aethelstan V 4, § 3.
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[612/0630] § 136. Die Buſsen. thätern. Zu Gunsten letzterer wurde der Asylschutz und das Ver- mittlungsrecht der Kirche anerkannt 17. Dagegen schloſs Karl der Groſse bei verurteilten Verbrechern das Erfordernis der excusatio aus und wurden die Konsequenzen der Acht wenigstens soweit geltend gemacht, daſs es verboten war, dem Flüchtling in der Kirche Nahrung zu gewähren 18. Nach der Lex Saxonum fand der zum Tode ver- urteilte Verbrecher nirgends Frieden. Flüchtete er in eine Kirche, so sollte er ausgeliefert werden 19. Das angelsächsische Recht zeigt eine ähnliche Abschwächung des Asylschutzes. Nach den älteren Quellen wurde der Verbrecher durch das Asyl der Leibes- und Lebensstrafe entzogen 20. Man mochte ihn das Wergeld zahlen lassen, oder verknechten, oder ins Gefängnis setzen 21. Dagegen schützte nach jüngerem Rechte das Asyl nur während einer bestimmten Frist (z. B. drei, sieben oder neun Nächte), während welcher dem Flüchtling keine Nahrung gereicht werden durfte 22. Nach Ablauf der Frist sollte das Leben des flüchtigen Diebes nicht mehr geschont werden 23. Wer ihn länger beherbergte, verwirkte die dem Diebe drohende Strafe 24. § 136. Die Buſsen. Wilda, Strafrecht S. 314 ff. v. Woringen, Beiträge zur Geschichte des deutschen Strafrechts, erster Beitrag: Erläuterungen über das Compositionenwesen 1836. Gaupp, Germanistische Abhandlungen 1853, I: Über das Wergelds- und Buſsen- system der alten Lex Frisionum. Gengler, Beiträge zur Rechtsgeschichte Bayerns I (1889) S. 36. Fustel de Coulanges, Recherches sur quelques problèmes d’histoire 1885, S. 460 ff. Derselbe, Nouvelles recherches 1891, S. 361 (De l’inégalité du wergeld, ein Aufsatz v. J. 1876 aus Revue historique II). H. Brunner, Duodecimalsystem und Decimalsystem in den Buſszahlen der fränkischen Volks- rechte, Berliner SB 1889, S. 1039 ff. — Osenbrüggen, Strafrecht der Lango- barden S. 15 ff. Pertile, Storia del diritto italiano V 194 ff. 211. Konrad 17 So sind Cap. de part. Sax. c. 2, I 68, Cap. legg. add. v. J. 803, c. 3, I 113 zu erklären. Divisio v. J. 806, c. 7, Cap. I 128: quia volumus, ut quilibet homo peccans et intercessione indigens inter regnum domini sui vel ad loca sancta vel ad honoratos homines confugiat et inde iustam intercessionem mereatur. Collectio Pataviensis 2, Zeumer, Formulae S. 457. 18 Cap. Haristal. v. J. 779, c. 8, I 48: ut homicidas aut caeteros reos, qui legibus mori debent, si ad ecclesiam confugerint, non excusentur, neque eis ibidem victus detur. Vgl. Waitz, VG IV 504, Anm. 3. 19 Lex Sax. c. 28. 20 Ine 5. 21 Schmid, Ges. d. Ags. Anhang IV 16. 22 Alfred 2. 5. 23 Aethelstan IV 6. 24 Aethelstan V 4, § 3.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/630>, abgerufen am 25.11.2024.