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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 126. Missethaten der Knechte, Haftung für Haustiere u. s. w.
Entwicklung gegeben, die aus der Missethat des Knechtes mehr und
mehr dessen eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit herausarbeitete
und die Haftung des Herrn schliesslich auf eine blosse Sachhaftung be-
schränkte.

Zunächst trat für den Herrn, der die Unthat des Knechtes als
eigenes Ungefähr büsste, nur die Erleichterung ein, dass er der Fehde
nicht ausgesetzt war und kein Friedensgeld zu entrichten brauchte.
Dagegen hatte er dem Verletzten die volle compositio zu zahlen, wie
sie in gleichem Falle ein freier Mann als unmittelbarer Thäter ver-
wirkt hätte, wovon freilich der Wert des ausgelieferten Knechtes ab-
gezogen wurde. Diesen Standpunkt nimmt in Todschlagsachen u. a.
das altlangobardische Recht 3, hinsichtlich verwirkten Wergeldes das
bairische 4 und bei Missethaten der Knechte schlechtweg das anglo-
warnische Recht ein 5. Andere Rechte legen dem Herrn bei Tötungen
nur eine Quote jener Compositio auf, die dem Verletzten gebühren
würde, wenn ein Freier die Missethat begangen hätte; so zwei Drittel
des Wergeldes das mittel- und westfriesische Recht 6, die Hälfte das
alamannische Recht 7 und die Lex Salica, nach der man die Zahlung
der anderen Hälfte durch Auslieferung des Unfreien ersetzte 8. Doch
wurde es bei den Salfranken dem Herrn gestattet, sich mittelst Ge-
fährdeeides und mittelst Auslieferung oder Preisgabe des Knechtes von
jeder Haftung zu befreien 9. Manche Rechte verlangen nicht gerade-
zu die Auslieferung des Unfreien, sondern begnügen sich mit einem
einseitigen Entäusserungsakte (dimittere), durch den der Herr den

3 Roth. 142. Vgl. Grim. 3. Liu. 21. Georg Meyer S. 91, Anm. 2. Bei
Diebstahl des Knechtes schuldet der Herr neunfachen Ersatz, ausserdem 40 Solidi,
wenn er den bei handhafter That dem Tode verfallenen Knecht auslösen will. --
Nach Westgötalagen zahlt der Herr um Todschlag des Knechtes Erbsühne und
Magsühne, weil ein Unfreier nicht eines freien Mannes Todschläger heissen kann.
Wilda, Strafrecht S. 656. v. Amira, Obligationenrecht I 394.
4 Lex Baiuw. VIII 2: Der Herr zahlt das Wergeld der Freien, mit welcher
der Knecht Ehebruch beging, nach Abzug von 20 Solidi, die auf den auszuliefern-
den Knecht abgerechnet werden. Das kann in Todschlagsachen nicht anders ge-
wesen sein. Vgl. Meichelbeck Nr. 683 oben S. 277, Anm. 11.
5 Lex Angl. et Werin. c. 59: omne damnum, quod servus fecerit, dominus
emendet.
6 Lex Fris. 1, 13. Damit stimmt überein, dass nach jüngeren friesischen
Rechtsquellen (Richthofen, Rqu. S. 61, 28) für Ungefährwerk des Herrn gilt,
was Pferdes Huf, Rindes Horn, Hundes Zahn, Hahnes Sporn, Schweines Hauer
und eines Mannes Knecht verbricht.
7 Pactus Alam. 3, 17.
8 Lex Sal. 35, 5.
9 Ed. Chilp. c. 5. Lex Sal. 35, 5, Cod. 5 ff.

§ 126. Missethaten der Knechte, Haftung für Haustiere u. s. w.
Entwicklung gegeben, die aus der Missethat des Knechtes mehr und
mehr dessen eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit herausarbeitete
und die Haftung des Herrn schlieſslich auf eine bloſse Sachhaftung be-
schränkte.

Zunächst trat für den Herrn, der die Unthat des Knechtes als
eigenes Ungefähr büſste, nur die Erleichterung ein, daſs er der Fehde
nicht ausgesetzt war und kein Friedensgeld zu entrichten brauchte.
Dagegen hatte er dem Verletzten die volle compositio zu zahlen, wie
sie in gleichem Falle ein freier Mann als unmittelbarer Thäter ver-
wirkt hätte, wovon freilich der Wert des ausgelieferten Knechtes ab-
gezogen wurde. Diesen Standpunkt nimmt in Todschlagsachen u. a.
das altlangobardische Recht 3, hinsichtlich verwirkten Wergeldes das
bairische 4 und bei Missethaten der Knechte schlechtweg das anglo-
warnische Recht ein 5. Andere Rechte legen dem Herrn bei Tötungen
nur eine Quote jener Compositio auf, die dem Verletzten gebühren
würde, wenn ein Freier die Missethat begangen hätte; so zwei Drittel
des Wergeldes das mittel- und westfriesische Recht 6, die Hälfte das
alamannische Recht 7 und die Lex Salica, nach der man die Zahlung
der anderen Hälfte durch Auslieferung des Unfreien ersetzte 8. Doch
wurde es bei den Salfranken dem Herrn gestattet, sich mittelst Ge-
fährdeeides und mittelst Auslieferung oder Preisgabe des Knechtes von
jeder Haftung zu befreien 9. Manche Rechte verlangen nicht gerade-
zu die Auslieferung des Unfreien, sondern begnügen sich mit einem
einseitigen Entäuſserungsakte (dimittere), durch den der Herr den

3 Roth. 142. Vgl. Grim. 3. Liu. 21. Georg Meyer S. 91, Anm. 2. Bei
Diebstahl des Knechtes schuldet der Herr neunfachen Ersatz, auſserdem 40 Solidi,
wenn er den bei handhafter That dem Tode verfallenen Knecht auslösen will. —
Nach Westgötalagen zahlt der Herr um Todschlag des Knechtes Erbsühne und
Magsühne, weil ein Unfreier nicht eines freien Mannes Todschläger heiſsen kann.
Wilda, Strafrecht S. 656. v. Amira, Obligationenrecht I 394.
4 Lex Baiuw. VIII 2: Der Herr zahlt das Wergeld der Freien, mit welcher
der Knecht Ehebruch beging, nach Abzug von 20 Solidi, die auf den auszuliefern-
den Knecht abgerechnet werden. Das kann in Todschlagsachen nicht anders ge-
wesen sein. Vgl. Meichelbeck Nr. 683 oben S. 277, Anm. 11.
5 Lex Angl. et Werin. c. 59: omne damnum, quod servus fecerit, dominus
emendet.
6 Lex Fris. 1, 13. Damit stimmt überein, daſs nach jüngeren friesischen
Rechtsquellen (Richthofen, Rqu. S. 61, 28) für Ungefährwerk des Herrn gilt,
was Pferdes Huf, Rindes Horn, Hundes Zahn, Hahnes Sporn, Schweines Hauer
und eines Mannes Knecht verbricht.
7 Pactus Alam. 3, 17.
8 Lex Sal. 35, 5.
9 Ed. Chilp. c. 5. Lex Sal. 35, 5, Cod. 5 ff.
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[552/0570] § 126. Missethaten der Knechte, Haftung für Haustiere u. s. w. Entwicklung gegeben, die aus der Missethat des Knechtes mehr und mehr dessen eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit herausarbeitete und die Haftung des Herrn schlieſslich auf eine bloſse Sachhaftung be- schränkte. Zunächst trat für den Herrn, der die Unthat des Knechtes als eigenes Ungefähr büſste, nur die Erleichterung ein, daſs er der Fehde nicht ausgesetzt war und kein Friedensgeld zu entrichten brauchte. Dagegen hatte er dem Verletzten die volle compositio zu zahlen, wie sie in gleichem Falle ein freier Mann als unmittelbarer Thäter ver- wirkt hätte, wovon freilich der Wert des ausgelieferten Knechtes ab- gezogen wurde. Diesen Standpunkt nimmt in Todschlagsachen u. a. das altlangobardische Recht 3, hinsichtlich verwirkten Wergeldes das bairische 4 und bei Missethaten der Knechte schlechtweg das anglo- warnische Recht ein 5. Andere Rechte legen dem Herrn bei Tötungen nur eine Quote jener Compositio auf, die dem Verletzten gebühren würde, wenn ein Freier die Missethat begangen hätte; so zwei Drittel des Wergeldes das mittel- und westfriesische Recht 6, die Hälfte das alamannische Recht 7 und die Lex Salica, nach der man die Zahlung der anderen Hälfte durch Auslieferung des Unfreien ersetzte 8. Doch wurde es bei den Salfranken dem Herrn gestattet, sich mittelst Ge- fährdeeides und mittelst Auslieferung oder Preisgabe des Knechtes von jeder Haftung zu befreien 9. Manche Rechte verlangen nicht gerade- zu die Auslieferung des Unfreien, sondern begnügen sich mit einem einseitigen Entäuſserungsakte (dimittere), durch den der Herr den 3 Roth. 142. Vgl. Grim. 3. Liu. 21. Georg Meyer S. 91, Anm. 2. Bei Diebstahl des Knechtes schuldet der Herr neunfachen Ersatz, auſserdem 40 Solidi, wenn er den bei handhafter That dem Tode verfallenen Knecht auslösen will. — Nach Westgötalagen zahlt der Herr um Todschlag des Knechtes Erbsühne und Magsühne, weil ein Unfreier nicht eines freien Mannes Todschläger heiſsen kann. Wilda, Strafrecht S. 656. v. Amira, Obligationenrecht I 394. 4 Lex Baiuw. VIII 2: Der Herr zahlt das Wergeld der Freien, mit welcher der Knecht Ehebruch beging, nach Abzug von 20 Solidi, die auf den auszuliefern- den Knecht abgerechnet werden. Das kann in Todschlagsachen nicht anders ge- wesen sein. Vgl. Meichelbeck Nr. 683 oben S. 277, Anm. 11. 5 Lex Angl. et Werin. c. 59: omne damnum, quod servus fecerit, dominus emendet. 6 Lex Fris. 1, 13. Damit stimmt überein, daſs nach jüngeren friesischen Rechtsquellen (Richthofen, Rqu. S. 61, 28) für Ungefährwerk des Herrn gilt, was Pferdes Huf, Rindes Horn, Hundes Zahn, Hahnes Sporn, Schweines Hauer und eines Mannes Knecht verbricht. 7 Pactus Alam. 3, 17. 8 Lex Sal. 35, 5. 9 Ed. Chilp. c. 5. Lex Sal. 35, 5, Cod. 5 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/570>, abgerufen am 22.11.2024.