Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 122. Die Fehde.
davon entfernt, die Geldsühne des Todschlags zu erschweren, suchten
sie im Einklang mit den kirchlichen Anschauungen den Sühnevertrag
zu erzwingen 14, um damit die Fehde zu beseitigen. Nicht die Fehde
als solche, sondern die Verweigerung der Sühne sollte geahndet
werden. Falls ein Teil oder beide Teile dem Abschluss des Sühne-
vertrages widerstrebten, wurde es zunächst dem königlichen Beamten
zur Pflicht gemacht, ihn zu erzwingen. Wer sich hartnäckig sträubte,
Sühne zu geben oder zu empfangen, sollte vor den König gebracht
werden, der dann den Widerspenstigen exilierte (internierte). Die
Dauer des Exils stand im Ermessen des Königs. Sicherlich wurde
dem Internierten die Rückkehr in die Heimat nur gestattet, wenn er
Urfehde schwur. Gegen den Todschläger, der sich weigerte, das Wer-
geld zu zahlen, verhängte eine Vorschrift Karls des Grossen vorläufige
Einziehung des Vermögens 15. Ludwig I. setzte auf vermessentlichen
Todschlag von vornherein neben Zahlung des Wergeldes die Exi-
lierung des Missethäters auf so lange, als es der König für gut hielt 16.

Nachhaltigen Erfolg hätten die auf Erzwingung der Sühne ge-
richteten Massregeln der Karolinger nur herbeiführen können, wenn die
Verwaltung überall und auf die Dauer stramm und schneidig genug ge-
wesen wäre, um der Fehde zu steuern. Aber auf eine weitreichende
Wirksamkeit war die Neuerung schon deshalb nicht angelegt, weil die
Verweigerung der Sühne an den König gebracht werden musste und nur
von ihm die Internierung des Ungehorsamen verhängt werden konnte.
In den ostrheinischen Gebieten mag das Gebot des Sühnezwangs im
Ganzen wenig genützt haben, zumal wohl die meisten Grafen die An-
schauungen des Volkes teilend an der Fehde zum Zwecke der Rache
keinen sittlichen Anstoss nahmen. Aber auch in Westfrancien standen
die Vorschriften über Unterdrückung der Fehde seit Ausgang der
Regierung Ludwigs I. nicht mehr in lebendiger Übung. Die west-
fränkischen Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahr-
hunderts halten sich in Beschränkung der Fehde auf einem weit be-

14 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 22, I 51. Cap. miss. v. J. 802, c. 32, l 97.
Cap. Theod. secundum v. J. 805, c. 5, I 123. Cap. legg. add. 818/9, c. 13, I 284.
Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 7, II 15. Cap. Worm. pro lege hab. v. J. 829,
c. 8, II 20, ein Kapitel, welches der in der relatio episcoporum v. J. 829, c. 29,
Cap. II 38 erhobenen Beschwerde entspricht, ut hi, qui nullo ministerio publico ful-
ciuntur, propter sua odia ... indebitum sibi usurpant in vindicandis proximis et
interficiendis hominibus vindictae ministerium ...
15 Cap. miss. v. J. 802, c. 32, I 97.
16 Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282: wirgildum ... conponat; .. in exilium
mittatur, ad quantum tempus nobis placuerit; res tamen suas non amittat.

§ 122. Die Fehde.
davon entfernt, die Geldsühne des Todschlags zu erschweren, suchten
sie im Einklang mit den kirchlichen Anschauungen den Sühnevertrag
zu erzwingen 14, um damit die Fehde zu beseitigen. Nicht die Fehde
als solche, sondern die Verweigerung der Sühne sollte geahndet
werden. Falls ein Teil oder beide Teile dem Abschluſs des Sühne-
vertrages widerstrebten, wurde es zunächst dem königlichen Beamten
zur Pflicht gemacht, ihn zu erzwingen. Wer sich hartnäckig sträubte,
Sühne zu geben oder zu empfangen, sollte vor den König gebracht
werden, der dann den Widerspenstigen exilierte (internierte). Die
Dauer des Exils stand im Ermessen des Königs. Sicherlich wurde
dem Internierten die Rückkehr in die Heimat nur gestattet, wenn er
Urfehde schwur. Gegen den Todschläger, der sich weigerte, das Wer-
geld zu zahlen, verhängte eine Vorschrift Karls des Groſsen vorläufige
Einziehung des Vermögens 15. Ludwig I. setzte auf vermessentlichen
Todschlag von vornherein neben Zahlung des Wergeldes die Exi-
lierung des Missethäters auf so lange, als es der König für gut hielt 16.

Nachhaltigen Erfolg hätten die auf Erzwingung der Sühne ge-
richteten Maſsregeln der Karolinger nur herbeiführen können, wenn die
Verwaltung überall und auf die Dauer stramm und schneidig genug ge-
wesen wäre, um der Fehde zu steuern. Aber auf eine weitreichende
Wirksamkeit war die Neuerung schon deshalb nicht angelegt, weil die
Verweigerung der Sühne an den König gebracht werden muſste und nur
von ihm die Internierung des Ungehorsamen verhängt werden konnte.
In den ostrheinischen Gebieten mag das Gebot des Sühnezwangs im
Ganzen wenig genützt haben, zumal wohl die meisten Grafen die An-
schauungen des Volkes teilend an der Fehde zum Zwecke der Rache
keinen sittlichen Anstoſs nahmen. Aber auch in Westfrancien standen
die Vorschriften über Unterdrückung der Fehde seit Ausgang der
Regierung Ludwigs I. nicht mehr in lebendiger Übung. Die west-
fränkischen Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahr-
hunderts halten sich in Beschränkung der Fehde auf einem weit be-

14 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 22, I 51. Cap. miss. v. J. 802, c. 32, l 97.
Cap. Theod. secundum v. J. 805, c. 5, I 123. Cap. legg. add. 818/9, c. 13, I 284.
Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 7, II 15. Cap. Worm. pro lege hab. v. J. 829,
c. 8, II 20, ein Kapitel, welches der in der relatio episcoporum v. J. 829, c. 29,
Cap. II 38 erhobenen Beschwerde entspricht, ut hi, qui nullo ministerio publico ful-
ciuntur, propter sua odia … indebitum sibi usurpant in vindicandis proximis et
interficiendis hominibus vindictae ministerium …
15 Cap. miss. v. J. 802, c. 32, I 97.
16 Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282: wirgildum … conponat; .. in exilium
mittatur, ad quantum tempus nobis placuerit; res tamen suas non amittat.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0548" n="530"/><fw place="top" type="header">§ 122. Die Fehde.</fw><lb/>
davon entfernt, die Geldsühne des Todschlags zu erschweren, suchten<lb/>
sie im Einklang mit den kirchlichen Anschauungen den Sühnevertrag<lb/>
zu erzwingen <note place="foot" n="14">Cap. Haristall. v. J. 779, c. 22, I 51. Cap. miss. v. J. 802, c. 32, l 97.<lb/>
Cap. Theod. secundum v. J. 805, c. 5, I 123. Cap. legg. add. 818/9, c. 13, I 284.<lb/>
Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 7, II 15. Cap. Worm. pro lege hab. v. J. 829,<lb/>
c. 8, II 20, ein Kapitel, welches der in der relatio episcoporum v. J. 829, c. 29,<lb/>
Cap. II 38 erhobenen Beschwerde entspricht, ut hi, qui nullo ministerio publico ful-<lb/>
ciuntur, propter sua odia &#x2026; indebitum sibi usurpant in vindicandis proximis et<lb/>
interficiendis hominibus vindictae ministerium &#x2026;</note>, um damit die Fehde zu beseitigen. Nicht die Fehde<lb/>
als solche, sondern die Verweigerung der Sühne sollte geahndet<lb/>
werden. Falls ein Teil oder beide Teile dem Abschlu&#x017F;s des Sühne-<lb/>
vertrages widerstrebten, wurde es zunächst dem königlichen Beamten<lb/>
zur Pflicht gemacht, ihn zu erzwingen. Wer sich hartnäckig sträubte,<lb/>
Sühne zu geben oder zu empfangen, sollte vor den König gebracht<lb/>
werden, der dann den Widerspenstigen exilierte (internierte). Die<lb/>
Dauer des Exils stand im Ermessen des Königs. Sicherlich wurde<lb/>
dem Internierten die Rückkehr in die Heimat nur gestattet, wenn er<lb/>
Urfehde schwur. Gegen den Todschläger, der sich weigerte, das Wer-<lb/>
geld zu zahlen, verhängte eine Vorschrift Karls des Gro&#x017F;sen vorläufige<lb/>
Einziehung des Vermögens <note place="foot" n="15">Cap. miss. v. J. 802, c. 32, I 97.</note>. Ludwig I. setzte auf vermessentlichen<lb/>
Todschlag von vornherein neben Zahlung des Wergeldes die Exi-<lb/>
lierung des Missethäters auf so lange, als es der König für gut hielt <note place="foot" n="16">Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282: wirgildum &#x2026; conponat; .. in exilium<lb/>
mittatur, ad quantum tempus nobis placuerit; res tamen suas non amittat.</note>.</p><lb/>
            <p>Nachhaltigen Erfolg hätten die auf Erzwingung der Sühne ge-<lb/>
richteten Ma&#x017F;sregeln der Karolinger nur herbeiführen können, wenn die<lb/>
Verwaltung überall und auf die Dauer stramm und schneidig genug ge-<lb/>
wesen wäre, um der Fehde zu steuern. Aber auf eine weitreichende<lb/>
Wirksamkeit war die Neuerung schon deshalb nicht angelegt, weil die<lb/>
Verweigerung der Sühne an den König gebracht werden mu&#x017F;ste und nur<lb/>
von ihm die Internierung des Ungehorsamen verhängt werden konnte.<lb/>
In den ostrheinischen Gebieten mag das Gebot des Sühnezwangs im<lb/>
Ganzen wenig genützt haben, zumal wohl die meisten Grafen die An-<lb/>
schauungen des Volkes teilend an der Fehde zum Zwecke der Rache<lb/>
keinen sittlichen Ansto&#x017F;s nahmen. Aber auch in Westfrancien standen<lb/>
die Vorschriften über Unterdrückung der Fehde seit Ausgang der<lb/>
Regierung Ludwigs I. nicht mehr in lebendiger Übung. Die west-<lb/>
fränkischen Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahr-<lb/>
hunderts halten sich in Beschränkung der Fehde auf einem weit be-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[530/0548] § 122. Die Fehde. davon entfernt, die Geldsühne des Todschlags zu erschweren, suchten sie im Einklang mit den kirchlichen Anschauungen den Sühnevertrag zu erzwingen 14, um damit die Fehde zu beseitigen. Nicht die Fehde als solche, sondern die Verweigerung der Sühne sollte geahndet werden. Falls ein Teil oder beide Teile dem Abschluſs des Sühne- vertrages widerstrebten, wurde es zunächst dem königlichen Beamten zur Pflicht gemacht, ihn zu erzwingen. Wer sich hartnäckig sträubte, Sühne zu geben oder zu empfangen, sollte vor den König gebracht werden, der dann den Widerspenstigen exilierte (internierte). Die Dauer des Exils stand im Ermessen des Königs. Sicherlich wurde dem Internierten die Rückkehr in die Heimat nur gestattet, wenn er Urfehde schwur. Gegen den Todschläger, der sich weigerte, das Wer- geld zu zahlen, verhängte eine Vorschrift Karls des Groſsen vorläufige Einziehung des Vermögens 15. Ludwig I. setzte auf vermessentlichen Todschlag von vornherein neben Zahlung des Wergeldes die Exi- lierung des Missethäters auf so lange, als es der König für gut hielt 16. Nachhaltigen Erfolg hätten die auf Erzwingung der Sühne ge- richteten Maſsregeln der Karolinger nur herbeiführen können, wenn die Verwaltung überall und auf die Dauer stramm und schneidig genug ge- wesen wäre, um der Fehde zu steuern. Aber auf eine weitreichende Wirksamkeit war die Neuerung schon deshalb nicht angelegt, weil die Verweigerung der Sühne an den König gebracht werden muſste und nur von ihm die Internierung des Ungehorsamen verhängt werden konnte. In den ostrheinischen Gebieten mag das Gebot des Sühnezwangs im Ganzen wenig genützt haben, zumal wohl die meisten Grafen die An- schauungen des Volkes teilend an der Fehde zum Zwecke der Rache keinen sittlichen Anstoſs nahmen. Aber auch in Westfrancien standen die Vorschriften über Unterdrückung der Fehde seit Ausgang der Regierung Ludwigs I. nicht mehr in lebendiger Übung. Die west- fränkischen Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahr- hunderts halten sich in Beschränkung der Fehde auf einem weit be- 14 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 22, I 51. Cap. miss. v. J. 802, c. 32, l 97. Cap. Theod. secundum v. J. 805, c. 5, I 123. Cap. legg. add. 818/9, c. 13, I 284. Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 7, II 15. Cap. Worm. pro lege hab. v. J. 829, c. 8, II 20, ein Kapitel, welches der in der relatio episcoporum v. J. 829, c. 29, Cap. II 38 erhobenen Beschwerde entspricht, ut hi, qui nullo ministerio publico ful- ciuntur, propter sua odia … indebitum sibi usurpant in vindicandis proximis et interficiendis hominibus vindictae ministerium … 15 Cap. miss. v. J. 802, c. 32, I 97. 16 Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282: wirgildum … conponat; .. in exilium mittatur, ad quantum tempus nobis placuerit; res tamen suas non amittat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/548
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/548>, abgerufen am 22.11.2024.