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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
Liegenschaft dem Besitzer kein Eigentum übertragen -- das Grundstück
dem Kläger herausgeben und seinem Nachmanne Ersatz leisten26.

Vermag der Beklagte eine Urkunde vorzuweisen, so ist er nach
fränkischem Rechte in seiner Antwort von dem Zwange des Antwort-
formalismus befreit. Er mag erwidern: non malo ordine, sed per testa-
mentum hoc teneo27. Eine Busse wegen rechtswidriger invasio kommt
dann nicht mehr in Frage. Wird die Urkunde angefochten, so darf
der Inhaber selbst den Beweis ihrer Wahrheit führen. Doch steht dem
Kläger frei, geltend zu machen, dass der in der Urkunde angegebene
Auctor den Besitz des Grundstücks in rechtswidriger Weise er-
worben habe. Kommt es somit auf das Recht des Auctors an, so
muss der Beklagte ihn stellen.

Vermag der Besitzer dreissigjährigen unangefochtenen Besitz ein-
zuwenden, so schliesst er damit nach fränkischem, wie nach west-
gotischem und burgundischem Rechte jeden Anspruch des Klägers
aus28. Das langobardische Recht giebt dem Beklagten diesfalls die Be-
fugnis, sich mit seinem Eide zu verteidigen, ohne dass dem Kläger ein
Urkundenbeweis oder Berufung auf den Zweikampf nachgelassen
wird29. Fünfjähriger ruhiger Besitz enthebt nach langobardischem
Rechte der Pflicht, den Auctor zu stellen. Der Besitzer mag sich
selbst durch Eid oder Zweikampf wehren30.

Besondere Grundsätze gelten nach fränkischem Rechte für den
Fall, dass der Beklagte erklärt, das streitige Grundstück als Erbgut zu

26 Nach Lex Baiuw. l. c. erhebt der Kläger gegen den firmierenden Gewährs-
mann den Klagvorwurf: iniuste territorium meum alteri firmasti, id est farsvirotos,
ipsum mihi debes reddere et cum 12 solidis conponere. -- Meichelbeck Nr. 530,
H. 260: Alprih hatte der Kirche von Freising ein Gut geschenkt, et hanc ipsam
traditionem ad ipsa casa Dei firmare et stabilire non potuit, sed iterum de manu
supra dicti advocati (des Vogtes der beschenkten Kirche) illam traditionem suscepit
et Chonrato dimisit in proprium (es war also der Auctor, nicht der beklagte Be-
sitzer, der das Gut dem Kläger restituierte). Alprih vergabt dann der Kirche zum
Ersatz ein anderes Grundstück.
27 Lex Rib. 59, 8.
28 Decr. Childeb. II. c. 3. Cap. a sacerd. propos. v. J. 802, c. 17, I 107.
Form. Turon. 39. Leges Eurici, fragm. 277. Lex Wisig. X 2, 3. 4. 5. Lex
Burg. 79, 3. -- Vgl. Chloth. II. praeceptio c. 13, II 19, wo aber ein iustum pos-
sessionis initium verlangt wird. -- Über die Form, in welcher die Klage zurück-
gewiesen wird, siehe oben S. 347. Der Besitzer kann sich die Besitzzeit seines
Vormannes zurechnen. Monumenta Patriae, Chartae II 15, Nr. 8 von circa 890:
in suo responso dixit, quod per se et suos donatores per triginta annis et am-
plius legibus vestiti fuimus ...
29 Grimoald 4. Liu. 54. Vgl. Liu. 115.
30 Roth. 228.

§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
Liegenschaft dem Besitzer kein Eigentum übertragen — das Grundstück
dem Kläger herausgeben und seinem Nachmanne Ersatz leisten26.

Vermag der Beklagte eine Urkunde vorzuweisen, so ist er nach
fränkischem Rechte in seiner Antwort von dem Zwange des Antwort-
formalismus befreit. Er mag erwidern: non malo ordine, sed per testa-
mentum hoc teneo27. Eine Buſse wegen rechtswidriger invasio kommt
dann nicht mehr in Frage. Wird die Urkunde angefochten, so darf
der Inhaber selbst den Beweis ihrer Wahrheit führen. Doch steht dem
Kläger frei, geltend zu machen, daſs der in der Urkunde angegebene
Auctor den Besitz des Grundstücks in rechtswidriger Weise er-
worben habe. Kommt es somit auf das Recht des Auctors an, so
muſs der Beklagte ihn stellen.

Vermag der Besitzer dreiſsigjährigen unangefochtenen Besitz ein-
zuwenden, so schlieſst er damit nach fränkischem, wie nach west-
gotischem und burgundischem Rechte jeden Anspruch des Klägers
aus28. Das langobardische Recht giebt dem Beklagten diesfalls die Be-
fugnis, sich mit seinem Eide zu verteidigen, ohne daſs dem Kläger ein
Urkundenbeweis oder Berufung auf den Zweikampf nachgelassen
wird29. Fünfjähriger ruhiger Besitz enthebt nach langobardischem
Rechte der Pflicht, den Auctor zu stellen. Der Besitzer mag sich
selbst durch Eid oder Zweikampf wehren30.

Besondere Grundsätze gelten nach fränkischem Rechte für den
Fall, daſs der Beklagte erklärt, das streitige Grundstück als Erbgut zu

26 Nach Lex Baiuw. l. c. erhebt der Kläger gegen den firmierenden Gewährs-
mann den Klagvorwurf: iniuste territorium meum alteri firmasti, id est farsvirotos,
ipsum mihi debes reddere et cum 12 solidis conponere. — Meichelbeck Nr. 530,
H. 260: Alprih hatte der Kirche von Freising ein Gut geschenkt, et hanc ipsam
traditionem ad ipsa casa Dei firmare et stabilire non potuit, sed iterum de manu
supra dicti advocati (des Vogtes der beschenkten Kirche) illam traditionem suscepit
et Chonrato dimisit in proprium (es war also der Auctor, nicht der beklagte Be-
sitzer, der das Gut dem Kläger restituierte). Alprih vergabt dann der Kirche zum
Ersatz ein anderes Grundstück.
27 Lex Rib. 59, 8.
28 Decr. Childeb. II. c. 3. Cap. a sacerd. propos. v. J. 802, c. 17, I 107.
Form. Turon. 39. Leges Eurici, fragm. 277. Lex Wisig. X 2, 3. 4. 5. Lex
Burg. 79, 3. — Vgl. Chloth. II. praeceptio c. 13, II 19, wo aber ein iustum pos-
sessionis initium verlangt wird. — Über die Form, in welcher die Klage zurück-
gewiesen wird, siehe oben S. 347. Der Besitzer kann sich die Besitzzeit seines
Vormannes zurechnen. Monumenta Patriae, Chartae II 15, Nr. 8 von circa 890:
in suo responso dixit, quod per se et suos donatores per triginta annis et am-
plius legibus vestiti fuimus …
29 Grimoald 4. Liu. 54. Vgl. Liu. 115.
30 Roth. 228.
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[517/0535] § 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften. Liegenschaft dem Besitzer kein Eigentum übertragen — das Grundstück dem Kläger herausgeben und seinem Nachmanne Ersatz leisten 26. Vermag der Beklagte eine Urkunde vorzuweisen, so ist er nach fränkischem Rechte in seiner Antwort von dem Zwange des Antwort- formalismus befreit. Er mag erwidern: non malo ordine, sed per testa- mentum hoc teneo 27. Eine Buſse wegen rechtswidriger invasio kommt dann nicht mehr in Frage. Wird die Urkunde angefochten, so darf der Inhaber selbst den Beweis ihrer Wahrheit führen. Doch steht dem Kläger frei, geltend zu machen, daſs der in der Urkunde angegebene Auctor den Besitz des Grundstücks in rechtswidriger Weise er- worben habe. Kommt es somit auf das Recht des Auctors an, so muſs der Beklagte ihn stellen. Vermag der Besitzer dreiſsigjährigen unangefochtenen Besitz ein- zuwenden, so schlieſst er damit nach fränkischem, wie nach west- gotischem und burgundischem Rechte jeden Anspruch des Klägers aus 28. Das langobardische Recht giebt dem Beklagten diesfalls die Be- fugnis, sich mit seinem Eide zu verteidigen, ohne daſs dem Kläger ein Urkundenbeweis oder Berufung auf den Zweikampf nachgelassen wird 29. Fünfjähriger ruhiger Besitz enthebt nach langobardischem Rechte der Pflicht, den Auctor zu stellen. Der Besitzer mag sich selbst durch Eid oder Zweikampf wehren 30. Besondere Grundsätze gelten nach fränkischem Rechte für den Fall, daſs der Beklagte erklärt, das streitige Grundstück als Erbgut zu 26 Nach Lex Baiuw. l. c. erhebt der Kläger gegen den firmierenden Gewährs- mann den Klagvorwurf: iniuste territorium meum alteri firmasti, id est farsvirotos, ipsum mihi debes reddere et cum 12 solidis conponere. — Meichelbeck Nr. 530, H. 260: Alprih hatte der Kirche von Freising ein Gut geschenkt, et hanc ipsam traditionem ad ipsa casa Dei firmare et stabilire non potuit, sed iterum de manu supra dicti advocati (des Vogtes der beschenkten Kirche) illam traditionem suscepit et Chonrato dimisit in proprium (es war also der Auctor, nicht der beklagte Be- sitzer, der das Gut dem Kläger restituierte). Alprih vergabt dann der Kirche zum Ersatz ein anderes Grundstück. 27 Lex Rib. 59, 8. 28 Decr. Childeb. II. c. 3. Cap. a sacerd. propos. v. J. 802, c. 17, I 107. Form. Turon. 39. Leges Eurici, fragm. 277. Lex Wisig. X 2, 3. 4. 5. Lex Burg. 79, 3. — Vgl. Chloth. II. praeceptio c. 13, II 19, wo aber ein iustum pos- sessionis initium verlangt wird. — Über die Form, in welcher die Klage zurück- gewiesen wird, siehe oben S. 347. Der Besitzer kann sich die Besitzzeit seines Vormannes zurechnen. Monumenta Patriae, Chartae II 15, Nr. 8 von circa 890: in suo responso dixit, quod per se et suos donatores per triginta annis et am- plius legibus vestiti fuimus … 29 Grimoald 4. Liu. 54. Vgl. Liu. 115. 30 Roth. 228.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/535>, abgerufen am 25.11.2024.