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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
klagten selbst ist es nicht gestattet, das Recht seines Auctors zu er-
weisen. Vielmehr bedarf er nach fränkischem Rechte eines besonderen
königlichen Privilegs, um den Streit ohne den Auctor oder, genauer ge-
sagt, als prozessualischer Stellvertreter des Auctors auszufechten22. In
Italien, wo nach langobardischem Rechte das stare loco auctoris in
fränkischer Zeit und darüber hinaus an sich nicht gestattet war,
lässt sich laut Urkunden des 10. Jahrhunderts der Erwerber eines
Grundstücks von dem Veräusserer bereits in der Erwerbsurkunde durch
Ernennung zum Bevollmächtigten das Recht der defensio vice auctoris
gewähren23.

Das Erfordernis, den Auctor zu stellen, und die Rolle, die ihm
bei Durchführung der Gewährschaft zugewiesen ist, erklären sich aus
dem ursprünglich strafrechtlichen Charakter der Liegenschaftsklage.
Da diese den Vorwurf des Deliktes erhob, musste der Urheber des
Deliktes, der Auctor, als Prozesspartei den Rechtsstreit übernehmen.

Wie die Fahrnis im Anefangsverfahren dem Gewährsmann ein-
gehändigt wurde, so übertrug nach manchen Rechten auch im Liegen-
schaftsprozess der Besitzer dem Auctor zum Zwecke der Gewährschaft
die Gewere des Gutes24. Das bairische Recht kennt eine Form der
Gewährleistung, welche nach Analogie des im Rechtsgang um Fahrnis
geltenden Firmationsverfahrens, nämlich in der Weise erfolgt, dass der
Gewährsmann zunächst dem Beklagten gegenüber die Vestitur des
Gutes wiederholt (firmare) und sich dann gegen den vom Kläger er-
hobenen Vorwurf rechtswidriger Veräusserung verteidigt25. Unterlag
er, so musste er -- die Vestitur hatte als Vergabung einer fremden

22 In Marculf I 36 giebt der König dem Petenten das Recht: ut in vice
auctorum suorum causas ipsius licentiam habeat adsumendi vel omallandi. Vgl.
die Urk. bei Thevenin Nr. 101, H. 373 v. J. 868: iudices interrogaverunt .. si
potuisset adsumere vocem datoris. -- Glosse zu Roth. 231, LL IV 357: si actio in
rem fuerit et possidens auctorem habuerit, non exercetur ea actio contra tenentem,
sed pocius contra auctorem ... quia Langobardus semper dat auctorem et num-
quam stat loco auctoris, at Romanus semper stat loco auctoris et numquam aucto-
rem dat.
23 H. Brunner, Z. f. HR XXII 127, Anm. 1. Pertile, Storia IV 251,
Anm. 47. Kannengiesser a. O. S. 46 ff., der aber mit Unrecht Liu. 116 heran-
zieht, eine Stelle, deren Schlusssatz für den Fall des Gewährschaftsbruches auf
das in der Veräusserungsurkunde enthaltene Strafgedinge verweist.
24 Ssp. Ldr. III 83, § 3. Planck, GV I 541.
25 Lex Baiuw. App. IV, LL III 337. Der Kläger fragt den Gewährsmann:
cur meum donare debuisti, quod mei antecessores tenuerunt? Dieser antwortet:
non ita; sed mei antecessores tenuerunt et mihi in alodem reliquerunt et vestita
est illius manu, cui tradidi; et firmare volo cum lege. Der Kläger macht dem
Gewähren nicht malo ordine invasio, sondern iniusta donatio zum Vorwurf.

§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
klagten selbst ist es nicht gestattet, das Recht seines Auctors zu er-
weisen. Vielmehr bedarf er nach fränkischem Rechte eines besonderen
königlichen Privilegs, um den Streit ohne den Auctor oder, genauer ge-
sagt, als prozessualischer Stellvertreter des Auctors auszufechten22. In
Italien, wo nach langobardischem Rechte das stare loco auctoris in
fränkischer Zeit und darüber hinaus an sich nicht gestattet war,
läſst sich laut Urkunden des 10. Jahrhunderts der Erwerber eines
Grundstücks von dem Veräuſserer bereits in der Erwerbsurkunde durch
Ernennung zum Bevollmächtigten das Recht der defensio vice auctoris
gewähren23.

Das Erfordernis, den Auctor zu stellen, und die Rolle, die ihm
bei Durchführung der Gewährschaft zugewiesen ist, erklären sich aus
dem ursprünglich strafrechtlichen Charakter der Liegenschaftsklage.
Da diese den Vorwurf des Deliktes erhob, muſste der Urheber des
Deliktes, der Auctor, als Prozeſspartei den Rechtsstreit übernehmen.

Wie die Fahrnis im Anefangsverfahren dem Gewährsmann ein-
gehändigt wurde, so übertrug nach manchen Rechten auch im Liegen-
schaftsprozeſs der Besitzer dem Auctor zum Zwecke der Gewährschaft
die Gewere des Gutes24. Das bairische Recht kennt eine Form der
Gewährleistung, welche nach Analogie des im Rechtsgang um Fahrnis
geltenden Firmationsverfahrens, nämlich in der Weise erfolgt, daſs der
Gewährsmann zunächst dem Beklagten gegenüber die Vestitur des
Gutes wiederholt (firmare) und sich dann gegen den vom Kläger er-
hobenen Vorwurf rechtswidriger Veräuſserung verteidigt25. Unterlag
er, so muſste er — die Vestitur hatte als Vergabung einer fremden

22 In Marculf I 36 giebt der König dem Petenten das Recht: ut in vice
auctorum suorum causas ipsius licentiam habeat adsumendi vel omallandi. Vgl.
die Urk. bei Thévenin Nr. 101, H. 373 v. J. 868: iudices interrogaverunt .. si
potuisset adsumere vocem datoris. — Glosse zu Roth. 231, LL IV 357: si actio in
rem fuerit et possidens auctorem habuerit, non exercetur ea actio contra tenentem,
sed pocius contra auctorem … quia Langobardus semper dat auctorem et num-
quam stat loco auctoris, at Romanus semper stat loco auctoris et numquam aucto-
rem dat.
23 H. Brunner, Z. f. HR XXII 127, Anm. 1. Pertile, Storia IV 251,
Anm. 47. Kannengieſser a. O. S. 46 ff., der aber mit Unrecht Liu. 116 heran-
zieht, eine Stelle, deren Schluſssatz für den Fall des Gewährschaftsbruches auf
das in der Veräuſserungsurkunde enthaltene Strafgedinge verweist.
24 Ssp. Ldr. III 83, § 3. Planck, GV I 541.
25 Lex Baiuw. App. IV, LL III 337. Der Kläger fragt den Gewährsmann:
cur meum donare debuisti, quod mei antecessores tenuerunt? Dieser antwortet:
non ita; sed mei antecessores tenuerunt et mihi in alodem reliquerunt et vestita
est illius manu, cui tradidi; et firmare volo cum lege. Der Kläger macht dem
Gewähren nicht malo ordine invasio, sondern iniusta donatio zum Vorwurf.
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[516/0534] § 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften. klagten selbst ist es nicht gestattet, das Recht seines Auctors zu er- weisen. Vielmehr bedarf er nach fränkischem Rechte eines besonderen königlichen Privilegs, um den Streit ohne den Auctor oder, genauer ge- sagt, als prozessualischer Stellvertreter des Auctors auszufechten 22. In Italien, wo nach langobardischem Rechte das stare loco auctoris in fränkischer Zeit und darüber hinaus an sich nicht gestattet war, läſst sich laut Urkunden des 10. Jahrhunderts der Erwerber eines Grundstücks von dem Veräuſserer bereits in der Erwerbsurkunde durch Ernennung zum Bevollmächtigten das Recht der defensio vice auctoris gewähren 23. Das Erfordernis, den Auctor zu stellen, und die Rolle, die ihm bei Durchführung der Gewährschaft zugewiesen ist, erklären sich aus dem ursprünglich strafrechtlichen Charakter der Liegenschaftsklage. Da diese den Vorwurf des Deliktes erhob, muſste der Urheber des Deliktes, der Auctor, als Prozeſspartei den Rechtsstreit übernehmen. Wie die Fahrnis im Anefangsverfahren dem Gewährsmann ein- gehändigt wurde, so übertrug nach manchen Rechten auch im Liegen- schaftsprozeſs der Besitzer dem Auctor zum Zwecke der Gewährschaft die Gewere des Gutes 24. Das bairische Recht kennt eine Form der Gewährleistung, welche nach Analogie des im Rechtsgang um Fahrnis geltenden Firmationsverfahrens, nämlich in der Weise erfolgt, daſs der Gewährsmann zunächst dem Beklagten gegenüber die Vestitur des Gutes wiederholt (firmare) und sich dann gegen den vom Kläger er- hobenen Vorwurf rechtswidriger Veräuſserung verteidigt 25. Unterlag er, so muſste er — die Vestitur hatte als Vergabung einer fremden 22 In Marculf I 36 giebt der König dem Petenten das Recht: ut in vice auctorum suorum causas ipsius licentiam habeat adsumendi vel omallandi. Vgl. die Urk. bei Thévenin Nr. 101, H. 373 v. J. 868: iudices interrogaverunt .. si potuisset adsumere vocem datoris. — Glosse zu Roth. 231, LL IV 357: si actio in rem fuerit et possidens auctorem habuerit, non exercetur ea actio contra tenentem, sed pocius contra auctorem … quia Langobardus semper dat auctorem et num- quam stat loco auctoris, at Romanus semper stat loco auctoris et numquam aucto- rem dat. 23 H. Brunner, Z. f. HR XXII 127, Anm. 1. Pertile, Storia IV 251, Anm. 47. Kannengieſser a. O. S. 46 ff., der aber mit Unrecht Liu. 116 heran- zieht, eine Stelle, deren Schluſssatz für den Fall des Gewährschaftsbruches auf das in der Veräuſserungsurkunde enthaltene Strafgedinge verweist. 24 Ssp. Ldr. III 83, § 3. Planck, GV I 541. 25 Lex Baiuw. App. IV, LL III 337. Der Kläger fragt den Gewährsmann: cur meum donare debuisti, quod mei antecessores tenuerunt? Dieser antwortet: non ita; sed mei antecessores tenuerunt et mihi in alodem reliquerunt et vestita est illius manu, cui tradidi; et firmare volo cum lege. Der Kläger macht dem Gewähren nicht malo ordine invasio, sondern iniusta donatio zum Vorwurf.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/534>, abgerufen am 22.11.2024.