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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 118. Spurfolge und Anefang.

Vermag der Besitzer, nachdem er aus Anlass des Anefangs
seinen Gewährsmann angegeben hatte, diesen nicht aufzufinden, so be-
handeln ihn die fränkischen Rechte als sachfällig 79. Wenn er dagegen
sofort nach dem Anefang erklärt, dass er seinen Vormann oder dessen
Wohnsitz nicht kenne, so darf er dies selbsiebent beschwören und be-
freit sich durch Herausgabe der Sache von weiterem Schaden 80. West-
gotisches und bairisches Recht gestatten dem Besitzer, der seinen
Gewähren nicht findet, seine Unschuld durch Eid oder Zeugen zu be-
weisen. Dann braucht er die Sache nur gegen Ersatz des halben
Kaufpreises herauszugeben, muss aber bestrebt sein, den Gewähren
nachträglich aufzutreiben 81.

Weitgehende Begünstigungen des rechtsgeschäftlichen Erwerbes
kennen in bestimmten Fällen das altkentische und das westgotische
Recht. Nach jenem braucht ein Kenter das Vieh, das er in London
vor Zeugen gekauft hat, dem Anefangskläger nur gegen den Kaufpreis
herauszugeben 82. Das westgotische Recht schützt den gutgläubigen
Erwerb der Ware, die man von einem überseeischen Händler gekauft
hat, auch wenn sie eine gestohlene ist 83.

Der Besitzer der angeschlagenen Sache, bezw. sein Vormann, kann
gegen die Anefangsklage die Einrede erheben, dass er die Sache er-
erbt habe. Nach einer Novelle zur Lex Salica soll er dann durch
Zeugen beweisen, dass er die Sache im Nachlasse seines Erblassers
gefunden und wie sie dieser erworben habe. Die Durchführung

79 Vgl. Loysel, Institutes coutumieres, Nr. 699: qui tire a garant et garant
n'a, sa cause a perdue.
80 Lex Rib. 33, 4. Das langobardische Recht verlangt diesfalls noch den Eid
des Besitzers, dass er den Gewähren, falls er ihn finden würde, nicht verhehlen
wolle. Über das angelsächsische Recht siehe Laughlin in den Essays in Anglo-
saxon Law S. 216 f. Dieses schneidet dem Besitzer, der den Kauf nicht vor glaub-
würdigen Urkundspersonen abgeschlossen, den Gewährszug ab.
81 Lex Baiuw. IX 7, eine Stelle, die auf Eurichs Gesetze zurückgeht. Lex
Wisig. VII 2, 8. v. Bethmann-Hollweg IV 234. Die Einlösung um den halben
Kaufpreis hat auch Art. 18 des älteren Stadtrechts von Schleswig. London S. 333.
82 Hlothar u. Eadric 16. So zeigt eine dem siebenten Jahrhundert ange-
hörige Rechtsquelle, die von jüdischem Rechte sicherlich nicht beinflusst ist, bereits
den Rechtssatz, der uns nachmals in Deutschland als Judenprivilegium begegnet
und häufig auf jüdisches Recht zurückgeführt wird. Siehe Schröder, RG. S. 664
und die daselbst Anm. 12 genannte Litteratur. Eine verwandte, wie es scheint,
transitorische Bestimmung enthält Lex Burg. 107, 8, wonach der Burgunder einen
fremden Knecht, den er von einem Franken vor Zeugen gekauft, nur gegen den
Kaufpreis an seinen Herrn herausgeben musste. Es handelt sich um burgundische
Knechte, welche die Franken im Kriege erbeutet hatten.
83 Lex Wisig. XI 3, 1. Dahn in der Zeitschrift für Handelsrecht XVI 404.
§ 118. Spurfolge und Anefang.

Vermag der Besitzer, nachdem er aus Anlaſs des Anefangs
seinen Gewährsmann angegeben hatte, diesen nicht aufzufinden, so be-
handeln ihn die fränkischen Rechte als sachfällig 79. Wenn er dagegen
sofort nach dem Anefang erklärt, daſs er seinen Vormann oder dessen
Wohnsitz nicht kenne, so darf er dies selbsiebent beschwören und be-
freit sich durch Herausgabe der Sache von weiterem Schaden 80. West-
gotisches und bairisches Recht gestatten dem Besitzer, der seinen
Gewähren nicht findet, seine Unschuld durch Eid oder Zeugen zu be-
weisen. Dann braucht er die Sache nur gegen Ersatz des halben
Kaufpreises herauszugeben, muſs aber bestrebt sein, den Gewähren
nachträglich aufzutreiben 81.

Weitgehende Begünstigungen des rechtsgeschäftlichen Erwerbes
kennen in bestimmten Fällen das altkentische und das westgotische
Recht. Nach jenem braucht ein Kenter das Vieh, das er in London
vor Zeugen gekauft hat, dem Anefangskläger nur gegen den Kaufpreis
herauszugeben 82. Das westgotische Recht schützt den gutgläubigen
Erwerb der Ware, die man von einem überseeischen Händler gekauft
hat, auch wenn sie eine gestohlene ist 83.

Der Besitzer der angeschlagenen Sache, bezw. sein Vormann, kann
gegen die Anefangsklage die Einrede erheben, daſs er die Sache er-
erbt habe. Nach einer Novelle zur Lex Salica soll er dann durch
Zeugen beweisen, daſs er die Sache im Nachlasse seines Erblassers
gefunden und wie sie dieser erworben habe. Die Durchführung

79 Vgl. Loysel, Institutes coutumières, Nr. 699: qui tire à garant et garant
n’a, sa cause a perdue.
80 Lex Rib. 33, 4. Das langobardische Recht verlangt diesfalls noch den Eid
des Besitzers, daſs er den Gewähren, falls er ihn finden würde, nicht verhehlen
wolle. Über das angelsächsische Recht siehe Laughlin in den Essays in Anglo-
saxon Law S. 216 f. Dieses schneidet dem Besitzer, der den Kauf nicht vor glaub-
würdigen Urkundspersonen abgeschlossen, den Gewährszug ab.
81 Lex Baiuw. IX 7, eine Stelle, die auf Eurichs Gesetze zurückgeht. Lex
Wisig. VII 2, 8. v. Bethmann-Hollweg IV 234. Die Einlösung um den halben
Kaufpreis hat auch Art. 18 des älteren Stadtrechts von Schleswig. London S. 333.
82 Hlothar u. Eadric 16. So zeigt eine dem siebenten Jahrhundert ange-
hörige Rechtsquelle, die von jüdischem Rechte sicherlich nicht beinfluſst ist, bereits
den Rechtssatz, der uns nachmals in Deutschland als Judenprivilegium begegnet
und häufig auf jüdisches Recht zurückgeführt wird. Siehe Schröder, RG. S. 664
und die daselbst Anm. 12 genannte Litteratur. Eine verwandte, wie es scheint,
transitorische Bestimmung enthält Lex Burg. 107, 8, wonach der Burgunder einen
fremden Knecht, den er von einem Franken vor Zeugen gekauft, nur gegen den
Kaufpreis an seinen Herrn herausgeben muſste. Es handelt sich um burgundische
Knechte, welche die Franken im Kriege erbeutet hatten.
83 Lex Wisig. XI 3, 1. Dahn in der Zeitschrift für Handelsrecht XVI 404.
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[507/0525] § 118. Spurfolge und Anefang. Vermag der Besitzer, nachdem er aus Anlaſs des Anefangs seinen Gewährsmann angegeben hatte, diesen nicht aufzufinden, so be- handeln ihn die fränkischen Rechte als sachfällig 79. Wenn er dagegen sofort nach dem Anefang erklärt, daſs er seinen Vormann oder dessen Wohnsitz nicht kenne, so darf er dies selbsiebent beschwören und be- freit sich durch Herausgabe der Sache von weiterem Schaden 80. West- gotisches und bairisches Recht gestatten dem Besitzer, der seinen Gewähren nicht findet, seine Unschuld durch Eid oder Zeugen zu be- weisen. Dann braucht er die Sache nur gegen Ersatz des halben Kaufpreises herauszugeben, muſs aber bestrebt sein, den Gewähren nachträglich aufzutreiben 81. Weitgehende Begünstigungen des rechtsgeschäftlichen Erwerbes kennen in bestimmten Fällen das altkentische und das westgotische Recht. Nach jenem braucht ein Kenter das Vieh, das er in London vor Zeugen gekauft hat, dem Anefangskläger nur gegen den Kaufpreis herauszugeben 82. Das westgotische Recht schützt den gutgläubigen Erwerb der Ware, die man von einem überseeischen Händler gekauft hat, auch wenn sie eine gestohlene ist 83. Der Besitzer der angeschlagenen Sache, bezw. sein Vormann, kann gegen die Anefangsklage die Einrede erheben, daſs er die Sache er- erbt habe. Nach einer Novelle zur Lex Salica soll er dann durch Zeugen beweisen, daſs er die Sache im Nachlasse seines Erblassers gefunden und wie sie dieser erworben habe. Die Durchführung 79 Vgl. Loysel, Institutes coutumières, Nr. 699: qui tire à garant et garant n’a, sa cause a perdue. 80 Lex Rib. 33, 4. Das langobardische Recht verlangt diesfalls noch den Eid des Besitzers, daſs er den Gewähren, falls er ihn finden würde, nicht verhehlen wolle. Über das angelsächsische Recht siehe Laughlin in den Essays in Anglo- saxon Law S. 216 f. Dieses schneidet dem Besitzer, der den Kauf nicht vor glaub- würdigen Urkundspersonen abgeschlossen, den Gewährszug ab. 81 Lex Baiuw. IX 7, eine Stelle, die auf Eurichs Gesetze zurückgeht. Lex Wisig. VII 2, 8. v. Bethmann-Hollweg IV 234. Die Einlösung um den halben Kaufpreis hat auch Art. 18 des älteren Stadtrechts von Schleswig. London S. 333. 82 Hlothar u. Eadric 16. So zeigt eine dem siebenten Jahrhundert ange- hörige Rechtsquelle, die von jüdischem Rechte sicherlich nicht beinfluſst ist, bereits den Rechtssatz, der uns nachmals in Deutschland als Judenprivilegium begegnet und häufig auf jüdisches Recht zurückgeführt wird. Siehe Schröder, RG. S. 664 und die daselbst Anm. 12 genannte Litteratur. Eine verwandte, wie es scheint, transitorische Bestimmung enthält Lex Burg. 107, 8, wonach der Burgunder einen fremden Knecht, den er von einem Franken vor Zeugen gekauft, nur gegen den Kaufpreis an seinen Herrn herausgeben muſste. Es handelt sich um burgundische Knechte, welche die Franken im Kriege erbeutet hatten. 83 Lex Wisig. XI 3, 1. Dahn in der Zeitschrift für Handelsrecht XVI 404.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/525>, abgerufen am 25.11.2024.