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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 118. Spurfolge und Anefang.

Nach fränkischem, oberdeutschem, westgotischem und burgundi-
schem Rechte war der Besitzer verpflichtet, den Gewähren binnen be-
stimmter Frist vor Gericht zu stellen 43. Demgemäss musste er im
Anschluss an den Anefang die Vorführung des Gewähren rechtsförm-
lich geloben (agramire) oder verbürgen 44. Dagegen hatte bei Lango-
barden 45 und Sachsen 46 der Besitzer den Gewähren nicht vor Ge-
richt zu stellen, sondern den Kläger zum Gewähren zu führen. Eine
Verbindung beider Methoden kannte das ältere angelsächsische Recht,
nach welchem die drei ersten Gewährsmänner gestellt wurden, während
vom vierten Gewährszug ab der Kläger zum Gewähren geführt wurde,
eine Ausnahme, die unter König Aethelred aufgehoben wurde 47. Das
sächsich-langobardische Verfahren scheint älter zu sein, als das gotisch-
fränkische. Auch bei den Angelsachsen dürfte es einst für jeden
Gewährszug gegolten haben 48.

Der angerufene Gewährsmann kann sich seinerseits wieder auf
einen Vormann berufen, der zweite Vormann auf einen dritten u. s. w.
Doch ist nach verschiedenen Rechten der Gewährszug beschränkt,
meist so, dass er nicht über den dritten Mann hinausgehen darf. So
nach dänischen Rechten, die unter dem dritten Mann den zweiten
Gewähren verstehen 49, so nach den schwedischen Götarechten, nach
welchen der Zug bei dem dritten Gewährsmann stillsteht 50, so wahr-
scheinlich von alters her bei den Langobarden, bei welchen der dritte

S. 404 f. Siehe oben Anm. 2. Edward I 1, § 2. 5. Aethelstan II 9. Formel
und Expositio zu Roth. 232 und Otto I, c. 7. Ebenso finden wir sie im sächsischen
Rechte. Planck, Gerichtsverfahren I 832. Über die Spur als Ersatz des Vor-
eides siehe oben S. 344.
43 Lex Sal. 47. Lex Rib. 33. Lex Baiuw. IX 7. Für das alamannische
Recht dürfen wir es aus Swsp. Lassberg 317 erschliessen. Lex Wisig. VII 2. 8.
Lex Burg. 83, 1.
44 So nach burgundischem Rechte, Lex Burg. 83, 1, und bei den Angel-
sachsen, Aethelred II 8.
45 Roth. 231. Otto I, c. 7 nebst Formel. Del Vecchio, Rivendicazione
S. 58 ff. Siehe oben I 373, Anm 24.
46 Planck, Gerichtsverfahren I 833.
47 Aethelred II 9.
48 Dafür spricht, dass nach einer kentischen Satzung, Hlothar u. Eadric 7,
der Besitzer den Gewähren in des Königs Saal zu stellen hat, was den Eindruck
macht, als ob die Pflicht, den Gewähren zu bringen, eine Neuerung gewesen sei.
Auch nach dem ältesten russischen Rechte musste der Kläger dem Besitzer zum
Gewähren folgen.
49 Eriks Saellandske Lov III 22. 24 (Thorsen c. 100. 102). Der Besitzer wird
als erster Mann gerechnet. Siehe Homeyers Anmerkung in seiner Übersetzung
von Kolderup-Rosenvinge's Grundriss S. 97 f.
50 v. Amira, Nordgerm. Obligationenrecht I 560. So auch bei den Russen
nach Prawda russkaja 15, Ewers S. 269.
§ 118. Spurfolge und Anefang.

Nach fränkischem, oberdeutschem, westgotischem und burgundi-
schem Rechte war der Besitzer verpflichtet, den Gewähren binnen be-
stimmter Frist vor Gericht zu stellen 43. Demgemäſs muſste er im
Anschluſs an den Anefang die Vorführung des Gewähren rechtsförm-
lich geloben (agramire) oder verbürgen 44. Dagegen hatte bei Lango-
barden 45 und Sachsen 46 der Besitzer den Gewähren nicht vor Ge-
richt zu stellen, sondern den Kläger zum Gewähren zu führen. Eine
Verbindung beider Methoden kannte das ältere angelsächsische Recht,
nach welchem die drei ersten Gewährsmänner gestellt wurden, während
vom vierten Gewährszug ab der Kläger zum Gewähren geführt wurde,
eine Ausnahme, die unter König Aethelred aufgehoben wurde 47. Das
sächsich-langobardische Verfahren scheint älter zu sein, als das gotisch-
fränkische. Auch bei den Angelsachsen dürfte es einst für jeden
Gewährszug gegolten haben 48.

Der angerufene Gewährsmann kann sich seinerseits wieder auf
einen Vormann berufen, der zweite Vormann auf einen dritten u. s. w.
Doch ist nach verschiedenen Rechten der Gewährszug beschränkt,
meist so, daſs er nicht über den dritten Mann hinausgehen darf. So
nach dänischen Rechten, die unter dem dritten Mann den zweiten
Gewähren verstehen 49, so nach den schwedischen Götarechten, nach
welchen der Zug bei dem dritten Gewährsmann stillsteht 50, so wahr-
scheinlich von alters her bei den Langobarden, bei welchen der dritte

S. 404 f. Siehe oben Anm. 2. Edward I 1, § 2. 5. Aethelstan II 9. Formel
und Expositio zu Roth. 232 und Otto I, c. 7. Ebenso finden wir sie im sächsischen
Rechte. Planck, Gerichtsverfahren I 832. Über die Spur als Ersatz des Vor-
eides siehe oben S. 344.
43 Lex Sal. 47. Lex Rib. 33. Lex Baiuw. IX 7. Für das alamannische
Recht dürfen wir es aus Swsp. Laſsberg 317 erschlieſsen. Lex Wisig. VII 2. 8.
Lex Burg. 83, 1.
44 So nach burgundischem Rechte, Lex Burg. 83, 1, und bei den Angel-
sachsen, Aethelred II 8.
45 Roth. 231. Otto I, c. 7 nebst Formel. Del Vecchio, Rivendicazione
S. 58 ff. Siehe oben I 373, Anm 24.
46 Planck, Gerichtsverfahren I 833.
47 Aethelred II 9.
48 Dafür spricht, daſs nach einer kentischen Satzung, Hlothar u. Eadric 7,
der Besitzer den Gewähren in des Königs Saal zu stellen hat, was den Eindruck
macht, als ob die Pflicht, den Gewähren zu bringen, eine Neuerung gewesen sei.
Auch nach dem ältesten russischen Rechte muſste der Kläger dem Besitzer zum
Gewähren folgen.
49 Eriks Sællandske Lov III 22. 24 (Thorsen c. 100. 102). Der Besitzer wird
als erster Mann gerechnet. Siehe Homeyers Anmerkung in seiner Übersetzung
von Kolderup-Rosenvinge’s Grundriſs S. 97 f.
50 v. Amira, Nordgerm. Obligationenrecht I 560. So auch bei den Russen
nach Prawda russkaja 15, Ewers S. 269.
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[502/0520] § 118. Spurfolge und Anefang. Nach fränkischem, oberdeutschem, westgotischem und burgundi- schem Rechte war der Besitzer verpflichtet, den Gewähren binnen be- stimmter Frist vor Gericht zu stellen 43. Demgemäſs muſste er im Anschluſs an den Anefang die Vorführung des Gewähren rechtsförm- lich geloben (agramire) oder verbürgen 44. Dagegen hatte bei Lango- barden 45 und Sachsen 46 der Besitzer den Gewähren nicht vor Ge- richt zu stellen, sondern den Kläger zum Gewähren zu führen. Eine Verbindung beider Methoden kannte das ältere angelsächsische Recht, nach welchem die drei ersten Gewährsmänner gestellt wurden, während vom vierten Gewährszug ab der Kläger zum Gewähren geführt wurde, eine Ausnahme, die unter König Aethelred aufgehoben wurde 47. Das sächsich-langobardische Verfahren scheint älter zu sein, als das gotisch- fränkische. Auch bei den Angelsachsen dürfte es einst für jeden Gewährszug gegolten haben 48. Der angerufene Gewährsmann kann sich seinerseits wieder auf einen Vormann berufen, der zweite Vormann auf einen dritten u. s. w. Doch ist nach verschiedenen Rechten der Gewährszug beschränkt, meist so, daſs er nicht über den dritten Mann hinausgehen darf. So nach dänischen Rechten, die unter dem dritten Mann den zweiten Gewähren verstehen 49, so nach den schwedischen Götarechten, nach welchen der Zug bei dem dritten Gewährsmann stillsteht 50, so wahr- scheinlich von alters her bei den Langobarden, bei welchen der dritte 42 43 Lex Sal. 47. Lex Rib. 33. Lex Baiuw. IX 7. Für das alamannische Recht dürfen wir es aus Swsp. Laſsberg 317 erschlieſsen. Lex Wisig. VII 2. 8. Lex Burg. 83, 1. 44 So nach burgundischem Rechte, Lex Burg. 83, 1, und bei den Angel- sachsen, Aethelred II 8. 45 Roth. 231. Otto I, c. 7 nebst Formel. Del Vecchio, Rivendicazione S. 58 ff. Siehe oben I 373, Anm 24. 46 Planck, Gerichtsverfahren I 833. 47 Aethelred II 9. 48 Dafür spricht, daſs nach einer kentischen Satzung, Hlothar u. Eadric 7, der Besitzer den Gewähren in des Königs Saal zu stellen hat, was den Eindruck macht, als ob die Pflicht, den Gewähren zu bringen, eine Neuerung gewesen sei. Auch nach dem ältesten russischen Rechte muſste der Kläger dem Besitzer zum Gewähren folgen. 49 Eriks Sællandske Lov III 22. 24 (Thorsen c. 100. 102). Der Besitzer wird als erster Mann gerechnet. Siehe Homeyers Anmerkung in seiner Übersetzung von Kolderup-Rosenvinge’s Grundriſs S. 97 f. 50 v. Amira, Nordgerm. Obligationenrecht I 560. So auch bei den Russen nach Prawda russkaja 15, Ewers S. 269. 42 S. 404 f. Siehe oben Anm. 2. Edward I 1, § 2. 5. Aethelstan II 9. Formel und Expositio zu Roth. 232 und Otto I, c. 7. Ebenso finden wir sie im sächsischen Rechte. Planck, Gerichtsverfahren I 832. Über die Spur als Ersatz des Vor- eides siehe oben S. 344.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/520>, abgerufen am 25.11.2024.