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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 118. Spurfolge und Anefang.
Die Busse der Lebensgefährdung droht das salische Volksrecht dem
firinbero 10, das heisst demjenigen, der eine gestohlene Sache in ein
fremdes Haus ohne Wissen des Hausherrn hineinträgt 11. Der Haus-
herr, der die rechtmässige Haussuchung verwehrt, wird als Dieb an-
gesehen 12. Ebenso, ohne dass es eines weiteren Beweises bedarf, der-
jenige, bei dem die Sache in schlossfestem Raume gefunden wird 13.
Nach den oberdeutschen Stammesrechten darf der Verfolger mit Ge-
walt in das Haus eindringen, verwirkt aber eine Busse, wenn die
Haussuchung kein Ergebnis hat 14.

Findet der Bestohlene nach ununterbrochener Spurfolge die ver-
misste Sache im Besitze eines andern binnen einer bestimmten Frist,
die bei den Franken drei Nächte beträgt, so ist er berechtigt, sich
der Sache ohne weitere Förmlichkeit zu bemächtigen 15. Nur wenn der
Besitzer sich diesfalls auf einen Gewährsmann beruft, von dem er
die Sache erhalten habe, kann sie der Spurfolger erst in Besitz
nehmen, nachdem er zuvor mittelst Bürgschaft gelobt hat, dass er sie
gegen den angerufenen Gewährsmann vertreten werde 16. Ein pro-

10 Crimen afferens nach Kern bei Hessels § 180.
11 Lex Sal. 34, 4. H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 26. Vgl. Lex
Sal. 16, 1; 17, 1. 2 und unten §§ 127. 136 die Ausführungen über seolandefa, die
salische Busse der Lebensgefährdung.
12 Lex Rib. 47, 2. Lex Burg. 16, 1. Lex Rom. Burg. 12. Vgl. London,
S. 87 ff. Keure für Seeland v. J. 1258, § 31 bei van den Bergh, Oorkondenboek
van Holland en Zeeland II 21: Quicumque contradixerit inquisitioni de furto vel
rapina infra domum suam .., solvet illud furtum .. Quicumque quesitori conductum
denegaverit, emendabit sicut qui inquisitionem denegasset. Weistum von Baum-
kirchen in Tirol, Tirolische Weistümer I 192: darnach so soll man suchen zu einem
jeden haus und alle gemächt öffnen und wo sich einer oder mehr darin wiedert oder
setzen wolt und nit suchen lassen, auf den oder dieselben da soll man der verlurst
halben die zicht auflegen und haben.
13 Pactus pro tenore pacis c. 10, Cap. I 6. Vgl. Jydske Lov II, c. 100. Ssp.
II 35. Keure von Arkes in Flandern bei Warnkönig, Flandr. RG III UB Nachtrag
S. 31, Nr. 166, c. 25. London S. 80, Anm. 9.
14 Pactus Alam. V 3. Lex Baiuw. XI 2. Vgl. Wilda, Strafrecht S. 905,
Anm. 3.
15 Lex Rib. 47. Vgl. Jydske Lov II 106. Gegen Jobbe-Duvals Ansicht,
dass der Besitzer in solchem Falle als handhafter Dieb behandelt werden durfte,
siehe Hermann a. O. S. 33, Anm. 2.
16 Lex Sal. 37: ... ille, qui per vestigio sequitur, res suas per tercia manu
agramire debet, ein Satz, dessen Erklärung sehr bestritten ist. Nach Siegel
S. 46 muss der Bestohlene sein Recht an der Sache selbdritt beschwören. Nach
Sohm, Prozess S. 85, gelobt er das Dritthandverfahren. Derselben Ansicht
London S. 363 ff. in seiner weitläufigen, aber wenig ergiebigen Erläuterung zu
Titel 37 der Lex Salica. Nach Schröder darf der Spurfolger die Sache zur dritten
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 32

§ 118. Spurfolge und Anefang.
Die Buſse der Lebensgefährdung droht das salische Volksrecht dem
firinbero 10, das heiſst demjenigen, der eine gestohlene Sache in ein
fremdes Haus ohne Wissen des Hausherrn hineinträgt 11. Der Haus-
herr, der die rechtmäſsige Haussuchung verwehrt, wird als Dieb an-
gesehen 12. Ebenso, ohne daſs es eines weiteren Beweises bedarf, der-
jenige, bei dem die Sache in schloſsfestem Raume gefunden wird 13.
Nach den oberdeutschen Stammesrechten darf der Verfolger mit Ge-
walt in das Haus eindringen, verwirkt aber eine Buſse, wenn die
Haussuchung kein Ergebnis hat 14.

Findet der Bestohlene nach ununterbrochener Spurfolge die ver-
miſste Sache im Besitze eines andern binnen einer bestimmten Frist,
die bei den Franken drei Nächte beträgt, so ist er berechtigt, sich
der Sache ohne weitere Förmlichkeit zu bemächtigen 15. Nur wenn der
Besitzer sich diesfalls auf einen Gewährsmann beruft, von dem er
die Sache erhalten habe, kann sie der Spurfolger erst in Besitz
nehmen, nachdem er zuvor mittelst Bürgschaft gelobt hat, daſs er sie
gegen den angerufenen Gewährsmann vertreten werde 16. Ein pro-

10 Crimen afferens nach Kern bei Hessels § 180.
11 Lex Sal. 34, 4. H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 26. Vgl. Lex
Sal. 16, 1; 17, 1. 2 und unten §§ 127. 136 die Ausführungen über seolandefa, die
salische Buſse der Lebensgefährdung.
12 Lex Rib. 47, 2. Lex Burg. 16, 1. Lex Rom. Burg. 12. Vgl. London,
S. 87 ff. Keure für Seeland v. J. 1258, § 31 bei van den Bergh, Oorkondenboek
van Holland en Zeeland II 21: Quicumque contradixerit inquisitioni de furto vel
rapina infra domum suam .., solvet illud furtum .. Quicumque quesitori conductum
denegaverit, emendabit sicut qui inquisitionem denegasset. Weistum von Baum-
kirchen in Tirol, Tirolische Weistümer I 192: darnach so soll man suchen zu einem
jeden haus und alle gemächt öffnen und wo sich einer oder mehr darin wiedert oder
setzen wolt und nit suchen lassen, auf den oder dieselben da soll man der verlurst
halben die zicht auflegen und haben.
13 Pactus pro tenore pacis c. 10, Cap. I 6. Vgl. Jydske Lov II, c. 100. Ssp.
II 35. Keure von Arkes in Flandern bei Warnkönig, Flandr. RG III UB Nachtrag
S. 31, Nr. 166, c. 25. London S. 80, Anm. 9.
14 Pactus Alam. V 3. Lex Baiuw. XI 2. Vgl. Wilda, Strafrecht S. 905,
Anm. 3.
15 Lex Rib. 47. Vgl. Jydske Lov II 106. Gegen Jobbé-Duvals Ansicht,
daſs der Besitzer in solchem Falle als handhafter Dieb behandelt werden durfte,
siehe Hermann a. O. S. 33, Anm. 2.
16 Lex Sal. 37: … ille, qui per vestigio sequitur, res suas per tercia manu
agramire debet, ein Satz, dessen Erklärung sehr bestritten ist. Nach Siegel
S. 46 muſs der Bestohlene sein Recht an der Sache selbdritt beschwören. Nach
Sohm, Prozeſs S. 85, gelobt er das Dritthandverfahren. Derselben Ansicht
London S. 363 ff. in seiner weitläufigen, aber wenig ergiebigen Erläuterung zu
Titel 37 der Lex Salica. Nach Schröder darf der Spurfolger die Sache zur dritten
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 32
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[497/0515] § 118. Spurfolge und Anefang. Die Buſse der Lebensgefährdung droht das salische Volksrecht dem firinbero 10, das heiſst demjenigen, der eine gestohlene Sache in ein fremdes Haus ohne Wissen des Hausherrn hineinträgt 11. Der Haus- herr, der die rechtmäſsige Haussuchung verwehrt, wird als Dieb an- gesehen 12. Ebenso, ohne daſs es eines weiteren Beweises bedarf, der- jenige, bei dem die Sache in schloſsfestem Raume gefunden wird 13. Nach den oberdeutschen Stammesrechten darf der Verfolger mit Ge- walt in das Haus eindringen, verwirkt aber eine Buſse, wenn die Haussuchung kein Ergebnis hat 14. Findet der Bestohlene nach ununterbrochener Spurfolge die ver- miſste Sache im Besitze eines andern binnen einer bestimmten Frist, die bei den Franken drei Nächte beträgt, so ist er berechtigt, sich der Sache ohne weitere Förmlichkeit zu bemächtigen 15. Nur wenn der Besitzer sich diesfalls auf einen Gewährsmann beruft, von dem er die Sache erhalten habe, kann sie der Spurfolger erst in Besitz nehmen, nachdem er zuvor mittelst Bürgschaft gelobt hat, daſs er sie gegen den angerufenen Gewährsmann vertreten werde 16. Ein pro- 10 Crimen afferens nach Kern bei Hessels § 180. 11 Lex Sal. 34, 4. H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 26. Vgl. Lex Sal. 16, 1; 17, 1. 2 und unten §§ 127. 136 die Ausführungen über seolandefa, die salische Buſse der Lebensgefährdung. 12 Lex Rib. 47, 2. Lex Burg. 16, 1. Lex Rom. Burg. 12. Vgl. London, S. 87 ff. Keure für Seeland v. J. 1258, § 31 bei van den Bergh, Oorkondenboek van Holland en Zeeland II 21: Quicumque contradixerit inquisitioni de furto vel rapina infra domum suam .., solvet illud furtum .. Quicumque quesitori conductum denegaverit, emendabit sicut qui inquisitionem denegasset. Weistum von Baum- kirchen in Tirol, Tirolische Weistümer I 192: darnach so soll man suchen zu einem jeden haus und alle gemächt öffnen und wo sich einer oder mehr darin wiedert oder setzen wolt und nit suchen lassen, auf den oder dieselben da soll man der verlurst halben die zicht auflegen und haben. 13 Pactus pro tenore pacis c. 10, Cap. I 6. Vgl. Jydske Lov II, c. 100. Ssp. II 35. Keure von Arkes in Flandern bei Warnkönig, Flandr. RG III UB Nachtrag S. 31, Nr. 166, c. 25. London S. 80, Anm. 9. 14 Pactus Alam. V 3. Lex Baiuw. XI 2. Vgl. Wilda, Strafrecht S. 905, Anm. 3. 15 Lex Rib. 47. Vgl. Jydske Lov II 106. Gegen Jobbé-Duvals Ansicht, daſs der Besitzer in solchem Falle als handhafter Dieb behandelt werden durfte, siehe Hermann a. O. S. 33, Anm. 2. 16 Lex Sal. 37: … ille, qui per vestigio sequitur, res suas per tercia manu agramire debet, ein Satz, dessen Erklärung sehr bestritten ist. Nach Siegel S. 46 muſs der Bestohlene sein Recht an der Sache selbdritt beschwören. Nach Sohm, Prozeſs S. 85, gelobt er das Dritthandverfahren. Derselben Ansicht London S. 363 ff. in seiner weitläufigen, aber wenig ergiebigen Erläuterung zu Titel 37 der Lex Salica. Nach Schröder darf der Spurfolger die Sache zur dritten Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 32

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/515>, abgerufen am 22.11.2024.