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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann.

Die Anwendung der forbannitio wurde noch in karolingischer
Zeit auf Kriminalsachen eingeschränkt. Latrones, malefactores und
infideles sind nach dem Kapitular von Kiersy aus dem J. 873 die
Personen, die bei Ungehorsam dem Vorbanne verfallen.

Ihre vollen Wirkungen übt die forbannitio nur in dem Sprengel
des Grafen oder des Missus aus, der sie verhängt. Doch sollen die
Nachbargrafen den Gebannten in ihre Bezirke nicht aufnehmen, und
wird deshalb der Graf, der den Vorbann verhängt, angewiesen, seinen
Nachbargrafen davon Anzeige zu erstatten 21. Das erwähnte Kapitular
von Kiersy geht noch weiter, indem es bestimmt, dass der Missus
oder Graf, in dessen Gebiet der Gebannte flieht, ihn ergreifen und
dem Vorbannrichter ausliefern soll 22. Auch dem Könige muss über
die verhängte forbannitio berichtet werden, damit er thun könne, was
seines Amtes ist, falls etwa der Gebannte an den Hof kommt 23. Das
deutsche Reichsrecht bietet uns nachmals eine Reichsacht dar, welche
die Wirkungen der in einem einzelnen Gerichtssprengel verhängten
Verfestung auf das ganze Reich ausdehnt. Dem fränkischen Reichs-
rechte war diese Einrichtung fremd, wie wir aus den Vorschriften
über die Mitteilung der Bezirksacht an die Nachbargrafen und an
den König erschliessen können.

Die Verhängung jener Acht, die den Ungehorsamen nicht nur
der Festnahme, sondern der allgemeinen Tötung preisgab, war, wie
in merowingischer, wohl auch in karolingischer Zeit ein Vorrecht des
Königs 24.

Soweit das Nehmen des Friedens im Volksgerichte stattfand, er-
folgte es in feierlicher Rechtsform 25. Die Handlung hiess ahd. fir-

dum comiti et eo qui clamorem vel causam ad eum habuit [satisfaciat], et tunc sit
foras banno.
21 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 4, I 148.
22 Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 1, Pertz, LL I 519. Vgl. Cap. Silvac. v. J.
853, c. 7, Pertz, LL I 425, wo dem bannenden Missus gestattet wird, in der Nach-
barschaft seines Sprengels den Verbrecher zu greifen, der sich in ein anderes
Missaticum geflüchtet hat.
23 Cap. Carisiac. citat. c. 1: ut si ad nostram curtem venerit, inde faciamus,
quod nostrum est.
24 Die Quellen geben keinen unmittelbaren Aufschluss. Wenn die Relatio
episcoporum v. J. 833, c. 4, Cap. II 54 Ludwig I. vorwirft: quod contra omnem
legem divinam videlicet et humanam eos et rebus propriis privaverit et in exilio
trudi iusserit atque absentes morti adiudicari fecerit et iudicantes procul dubio ad
falsum iudicium induxerit, ist unter dem Todesurteil gegen Abwesende füglich die
Acht zu verstehen und bezieht sich der Vorwurf wohl nur darauf, dass die Ab-
wesenden nicht gehörig geladen worden waren.
25 v. Amira, Recht S. 176.
§ 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann.

Die Anwendung der forbannitio wurde noch in karolingischer
Zeit auf Kriminalsachen eingeschränkt. Latrones, malefactores und
infideles sind nach dem Kapitular von Kiersy aus dem J. 873 die
Personen, die bei Ungehorsam dem Vorbanne verfallen.

Ihre vollen Wirkungen übt die forbannitio nur in dem Sprengel
des Grafen oder des Missus aus, der sie verhängt. Doch sollen die
Nachbargrafen den Gebannten in ihre Bezirke nicht aufnehmen, und
wird deshalb der Graf, der den Vorbann verhängt, angewiesen, seinen
Nachbargrafen davon Anzeige zu erstatten 21. Das erwähnte Kapitular
von Kiersy geht noch weiter, indem es bestimmt, daſs der Missus
oder Graf, in dessen Gebiet der Gebannte flieht, ihn ergreifen und
dem Vorbannrichter ausliefern soll 22. Auch dem Könige muſs über
die verhängte forbannitio berichtet werden, damit er thun könne, was
seines Amtes ist, falls etwa der Gebannte an den Hof kommt 23. Das
deutsche Reichsrecht bietet uns nachmals eine Reichsacht dar, welche
die Wirkungen der in einem einzelnen Gerichtssprengel verhängten
Verfestung auf das ganze Reich ausdehnt. Dem fränkischen Reichs-
rechte war diese Einrichtung fremd, wie wir aus den Vorschriften
über die Mitteilung der Bezirksacht an die Nachbargrafen und an
den König erschlieſsen können.

Die Verhängung jener Acht, die den Ungehorsamen nicht nur
der Festnahme, sondern der allgemeinen Tötung preisgab, war, wie
in merowingischer, wohl auch in karolingischer Zeit ein Vorrecht des
Königs 24.

Soweit das Nehmen des Friedens im Volksgerichte stattfand, er-
folgte es in feierlicher Rechtsform 25. Die Handlung hieſs ahd. fir-

dum comiti et eo qui clamorem vel causam ad eum habuit [satisfaciat], et tunc sit
foras banno.
21 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 4, I 148.
22 Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 1, Pertz, LL I 519. Vgl. Cap. Silvac. v. J.
853, c. 7, Pertz, LL I 425, wo dem bannenden Missus gestattet wird, in der Nach-
barschaft seines Sprengels den Verbrecher zu greifen, der sich in ein anderes
Missaticum geflüchtet hat.
23 Cap. Carisiac. citat. c. 1: ut si ad nostram curtem venerit, inde faciamus,
quod nostrum est.
24 Die Quellen geben keinen unmittelbaren Aufschluſs. Wenn die Relatio
episcoporum v. J. 833, c. 4, Cap. II 54 Ludwig I. vorwirft: quod contra omnem
legem divinam videlicet et humanam eos et rebus propriis privaverit et in exilio
trudi iusserit atque absentes morti adiudicari fecerit et iudicantes procul dubio ad
falsum iudicium induxerit, ist unter dem Todesurteil gegen Abwesende füglich die
Acht zu verstehen und bezieht sich der Vorwurf wohl nur darauf, daſs die Ab-
wesenden nicht gehörig geladen worden waren.
25 v. Amira, Recht S. 176.
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[466/0484] § 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann. Die Anwendung der forbannitio wurde noch in karolingischer Zeit auf Kriminalsachen eingeschränkt. Latrones, malefactores und infideles sind nach dem Kapitular von Kiersy aus dem J. 873 die Personen, die bei Ungehorsam dem Vorbanne verfallen. Ihre vollen Wirkungen übt die forbannitio nur in dem Sprengel des Grafen oder des Missus aus, der sie verhängt. Doch sollen die Nachbargrafen den Gebannten in ihre Bezirke nicht aufnehmen, und wird deshalb der Graf, der den Vorbann verhängt, angewiesen, seinen Nachbargrafen davon Anzeige zu erstatten 21. Das erwähnte Kapitular von Kiersy geht noch weiter, indem es bestimmt, daſs der Missus oder Graf, in dessen Gebiet der Gebannte flieht, ihn ergreifen und dem Vorbannrichter ausliefern soll 22. Auch dem Könige muſs über die verhängte forbannitio berichtet werden, damit er thun könne, was seines Amtes ist, falls etwa der Gebannte an den Hof kommt 23. Das deutsche Reichsrecht bietet uns nachmals eine Reichsacht dar, welche die Wirkungen der in einem einzelnen Gerichtssprengel verhängten Verfestung auf das ganze Reich ausdehnt. Dem fränkischen Reichs- rechte war diese Einrichtung fremd, wie wir aus den Vorschriften über die Mitteilung der Bezirksacht an die Nachbargrafen und an den König erschlieſsen können. Die Verhängung jener Acht, die den Ungehorsamen nicht nur der Festnahme, sondern der allgemeinen Tötung preisgab, war, wie in merowingischer, wohl auch in karolingischer Zeit ein Vorrecht des Königs 24. Soweit das Nehmen des Friedens im Volksgerichte stattfand, er- folgte es in feierlicher Rechtsform 25. Die Handlung hieſs ahd. fir- 20 21 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 4, I 148. 22 Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 1, Pertz, LL I 519. Vgl. Cap. Silvac. v. J. 853, c. 7, Pertz, LL I 425, wo dem bannenden Missus gestattet wird, in der Nach- barschaft seines Sprengels den Verbrecher zu greifen, der sich in ein anderes Missaticum geflüchtet hat. 23 Cap. Carisiac. citat. c. 1: ut si ad nostram curtem venerit, inde faciamus, quod nostrum est. 24 Die Quellen geben keinen unmittelbaren Aufschluſs. Wenn die Relatio episcoporum v. J. 833, c. 4, Cap. II 54 Ludwig I. vorwirft: quod contra omnem legem divinam videlicet et humanam eos et rebus propriis privaverit et in exilio trudi iusserit atque absentes morti adiudicari fecerit et iudicantes procul dubio ad falsum iudicium induxerit, ist unter dem Todesurteil gegen Abwesende füglich die Acht zu verstehen und bezieht sich der Vorwurf wohl nur darauf, daſs die Ab- wesenden nicht gehörig geladen worden waren. 25 v. Amira, Recht S. 176. 20 dum comiti et eo qui clamorem vel causam ad eum habuit [satisfaciat], et tunc sit foras banno.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/484>, abgerufen am 22.11.2024.