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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 111. Die gerichtliche Auspfändung.
dem uralten Grundsatze, dass die Vollstreckung der Friedlosigkeit
allgemeine Pflicht sei, verwirkt jeder, der den Ritt verweigert, eine
Busse von 120 Schillingen. Das norwegische Recht kennt eine Aus-
pfändung des säumigen Schuldners, Zufahrt (atför) oder Heimritt
(heimreid) genannt 2. Hat der Schuldner auf wiederholte Mahnung
hin nicht gezahlt, so fordert nach den Gulathingslög der Kläger die
Thingleute auf (den Amtmann des Königs und der Bauern so viele,
als ihm nötig scheinen), zuzufahren und aus dem Vermögen des
Schuldners das Doppelte der Forderung und des Königs Brüche zu
nehmen. Friedlos fällt, wer Widerstand leistet; bussfällig wird von
den Thingleuten, wer die Zufahrt verweigert 3. Im schwedischen Öst-
götaland entstand gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts eine
Exekution, welche durch die Hundertschaft ausgeführt wurde und sich
als ein gesetzlicher 'Raub' darstellt, der an dem Vermögen des Schuld-
ners zur Befriedigung des Gläubigers vorgenommen wurde 4. Den
Charakter einer von der Acht abgezweigten Konfiskation hat in Däne-
mark die im dreizehnten Jahrhundert durch Königsrecht eingeführte
Zwangsvollstreckung mit Königsbriefen 5.

Aus dem Gedanken einer auf das Vermögen beschränkten Acht
scheint auch die richterliche Pfändung des fränkischen Rechtes hervor-
gegangen zu sein. Die Franken hatten dafür den Ausdruck *strud,
dessen Wortsinn Raub ist 6. Strudes legitima sagt die Lex Ribuaria,
exstrudere 7 das Edikt Chilperichs. Ohne Zweifel war nach ältestem
fränkischem Rechte der Gläubiger, dem der Schuldner die Zahlung
der gewetteten Schuld verweigerte, berechtigt, von der aussergericht-
lichen Pfändung abzusehen und die Friedloslegung des Schuldners zu
erwirken. Eine Stelle der Lex Salica, die vermutlich auf ein
salisches Königsgesetz zurückgeht und wohl erst nachträglich in den

2 Gulathingslög 35. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 256. Derselbe,
Recht S. 199. Derselbe, Obligationenrecht II 147, Ausführungen, die hier nur
noch citiert, nicht mehr benutzt werden konnten.
3 Dem isländischen Rechte, welches sich von den Gulathingslög abgezweigt
hat, ist die Zufahrt unbekannt. Es verfügt nur über Acht oder Landesverweisung.
Siehe oben I 183, Anm. 20.
4 v. Amira, Obligationenrecht I 113.
5 Lehmann, Königsfriede S. 161. v. Amira, Recht S. 199.
6 Ags. strudan heisst plündern, verheeren. Ahd. strutjan rauben, gewaltsam
wegnehmen. Schade, WB S. 885. Eine Glosse zur Lex Rib. 32 erklärt strudem
als distructionem, 'cigistertanne'. Zi gistertanne gehört zu gistertan, stertan, ahd.
stredan, sternere, dispergere. Graff VI 744. Zu distructionem vgl. destruere neben
extrudere in Ed. Chilp. c. 8.
7 Vgl. extrodo in Lex Rib. 51, 1. Extrudere statt exstrudere, ausrauben.

§ 111. Die gerichtliche Auspfändung.
dem uralten Grundsatze, daſs die Vollstreckung der Friedlosigkeit
allgemeine Pflicht sei, verwirkt jeder, der den Ritt verweigert, eine
Buſse von 120 Schillingen. Das norwegische Recht kennt eine Aus-
pfändung des säumigen Schuldners, Zufahrt (atför) oder Heimritt
(heimreiđ) genannt 2. Hat der Schuldner auf wiederholte Mahnung
hin nicht gezahlt, so fordert nach den Gulaþíngslög der Kläger die
Thingleute auf (den Amtmann des Königs und der Bauern so viele,
als ihm nötig scheinen), zuzufahren und aus dem Vermögen des
Schuldners das Doppelte der Forderung und des Königs Brüche zu
nehmen. Friedlos fällt, wer Widerstand leistet; buſsfällig wird von
den Thingleuten, wer die Zufahrt verweigert 3. Im schwedischen Öst-
götaland entstand gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts eine
Exekution, welche durch die Hundertschaft ausgeführt wurde und sich
als ein gesetzlicher ‘Raub’ darstellt, der an dem Vermögen des Schuld-
ners zur Befriedigung des Gläubigers vorgenommen wurde 4. Den
Charakter einer von der Acht abgezweigten Konfiskation hat in Däne-
mark die im dreizehnten Jahrhundert durch Königsrecht eingeführte
Zwangsvollstreckung mit Königsbriefen 5.

Aus dem Gedanken einer auf das Vermögen beschränkten Acht
scheint auch die richterliche Pfändung des fränkischen Rechtes hervor-
gegangen zu sein. Die Franken hatten dafür den Ausdruck *strud,
dessen Wortsinn Raub ist 6. Strudes legitima sagt die Lex Ribuaria,
exstrudere 7 das Edikt Chilperichs. Ohne Zweifel war nach ältestem
fränkischem Rechte der Gläubiger, dem der Schuldner die Zahlung
der gewetteten Schuld verweigerte, berechtigt, von der auſsergericht-
lichen Pfändung abzusehen und die Friedloslegung des Schuldners zu
erwirken. Eine Stelle der Lex Salica, die vermutlich auf ein
salisches Königsgesetz zurückgeht und wohl erst nachträglich in den

2 Gulaþíngslög 35. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 256. Derselbe,
Recht S. 199. Derselbe, Obligationenrecht II 147, Ausführungen, die hier nur
noch citiert, nicht mehr benutzt werden konnten.
3 Dem isländischen Rechte, welches sich von den Gulaþíngslög abgezweigt
hat, ist die Zufahrt unbekannt. Es verfügt nur über Acht oder Landesverweisung.
Siehe oben I 183, Anm. 20.
4 v. Amira, Obligationenrecht I 113.
5 Lehmann, Königsfriede S. 161. v. Amira, Recht S. 199.
6 Ags. strudan heiſst plündern, verheeren. Ahd. strutjan rauben, gewaltsam
wegnehmen. Schade, WB S. 885. Eine Glosse zur Lex Rib. 32 erklärt strudem
als distructionem, ‘cigistertanne’. Zi gistertanne gehört zu gistertan, stertan, ahd.
strëdan, sternere, dispergere. Graff VI 744. Zu distructionem vgl. destruere neben
extrudere in Ed. Chilp. c. 8.
7 Vgl. extrodo in Lex Rib. 51, 1. Extrudere statt exstrudere, ausrauben.
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[453/0471] § 111. Die gerichtliche Auspfändung. dem uralten Grundsatze, daſs die Vollstreckung der Friedlosigkeit allgemeine Pflicht sei, verwirkt jeder, der den Ritt verweigert, eine Buſse von 120 Schillingen. Das norwegische Recht kennt eine Aus- pfändung des säumigen Schuldners, Zufahrt (atför) oder Heimritt (heimreiđ) genannt 2. Hat der Schuldner auf wiederholte Mahnung hin nicht gezahlt, so fordert nach den Gulaþíngslög der Kläger die Thingleute auf (den Amtmann des Königs und der Bauern so viele, als ihm nötig scheinen), zuzufahren und aus dem Vermögen des Schuldners das Doppelte der Forderung und des Königs Brüche zu nehmen. Friedlos fällt, wer Widerstand leistet; buſsfällig wird von den Thingleuten, wer die Zufahrt verweigert 3. Im schwedischen Öst- götaland entstand gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts eine Exekution, welche durch die Hundertschaft ausgeführt wurde und sich als ein gesetzlicher ‘Raub’ darstellt, der an dem Vermögen des Schuld- ners zur Befriedigung des Gläubigers vorgenommen wurde 4. Den Charakter einer von der Acht abgezweigten Konfiskation hat in Däne- mark die im dreizehnten Jahrhundert durch Königsrecht eingeführte Zwangsvollstreckung mit Königsbriefen 5. Aus dem Gedanken einer auf das Vermögen beschränkten Acht scheint auch die richterliche Pfändung des fränkischen Rechtes hervor- gegangen zu sein. Die Franken hatten dafür den Ausdruck *strud, dessen Wortsinn Raub ist 6. Strudes legitima sagt die Lex Ribuaria, exstrudere 7 das Edikt Chilperichs. Ohne Zweifel war nach ältestem fränkischem Rechte der Gläubiger, dem der Schuldner die Zahlung der gewetteten Schuld verweigerte, berechtigt, von der auſsergericht- lichen Pfändung abzusehen und die Friedloslegung des Schuldners zu erwirken. Eine Stelle der Lex Salica, die vermutlich auf ein salisches Königsgesetz zurückgeht und wohl erst nachträglich in den 2 Gulaþíngslög 35. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 256. Derselbe, Recht S. 199. Derselbe, Obligationenrecht II 147, Ausführungen, die hier nur noch citiert, nicht mehr benutzt werden konnten. 3 Dem isländischen Rechte, welches sich von den Gulaþíngslög abgezweigt hat, ist die Zufahrt unbekannt. Es verfügt nur über Acht oder Landesverweisung. Siehe oben I 183, Anm. 20. 4 v. Amira, Obligationenrecht I 113. 5 Lehmann, Königsfriede S. 161. v. Amira, Recht S. 199. 6 Ags. strudan heiſst plündern, verheeren. Ahd. strutjan rauben, gewaltsam wegnehmen. Schade, WB S. 885. Eine Glosse zur Lex Rib. 32 erklärt strudem als distructionem, ‘cigistertanne’. Zi gistertanne gehört zu gistertan, stertan, ahd. strëdan, sternere, dispergere. Graff VI 744. Zu distructionem vgl. destruere neben extrudere in Ed. Chilp. c. 8. 7 Vgl. extrodo in Lex Rib. 51, 1. Extrudere statt exstrudere, ausrauben.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/471>, abgerufen am 22.11.2024.