mag der Sachfällige nachträglich gegen die Zeugen eine Meineids- und Ersatzklage erheben 69.
Die karolingischen Kapitularien haben hinsichtlich des Zeugenver- fahrens eine Anzahl von Reformen durchgeführt 70, welche jedoch den formalen Charakter des Beweismittels nicht beseitigten. Um sich der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu versichern, sollte der Richter nach einer mehrfach eingeschärften Neuerung Karls des Grossen mit den Zeugen vor dem Eidgange ein Verhör vornehmen, discussio testium genannt. Dieses Verhör lief darauf hinaus, dass dem Zeugeneide eine formlose Zeugenaussage vorausging, welche feststellen sollte, ob der Zeuge überhaupt etwas wisse von der Sache, über die er zu schwören gedachte. In Fällen des Gemeindezeugnisses gestattete man dem Gegner des Beweisführers, Gegenzeugen vorzuführen. Widersprachen sich die eidlosen Aussagen der beiden Zeugenreihen, so wurde aus jeder Reihe je ein Zeuge auserwählt, um zu schwören und durch gericht- lichen Zweikampf zu entscheiden, wer wahr geschworen habe.
3. Das Ordalverfahren.
War der Beweisführer ein freier Mann, so ging der Ordalhandlung ein Eid voraus, dessen Wahrheit jener durch das Ordal erhärten sollte. Das galt nicht nur bei der Meineidsklage und bei der Eides-, Zeugen- und Urkundenschelte, sondern auch dann, wenn es zu einem Eide oder Eidgelöbnisse noch nicht gekommen war. Den Eid des Beweisführers finden wir in konstanter Anwendung bei dem Zwei- kampf 71, aber auch bei den Feuerordalien 72, bei dem Loosordal 73, bei dem Probebissen 74, bei der Bahrprobe und häufig auch bei dem Wasserordal 75, obwohl dieses laut der Legende von Ludwig I. ein-
69 Lex Baiuw. XVII 2. 6. Die Klage wird durch Zweikampf entschieden. Nach Lex Sal. 94 kann der Kläger durch Kesselfang beweisen, quod falsum testi- monium dedissent.
70 H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 66 f.
71 Lex Baiuw. XVII 2. Lex Fris. 14, 4. Zeumer, Formulae S. 719 unten Anm. 75. Allgemein in den jüngeren Quellen.
72 Zeumer, Formulae S. 616: tunc faciat sacramentum et portet ferrum. Lex Fris. 3, 8. Aethelstan II 23.
73 Lex Fris. 14, 1.
74 Zeumer, Formulae S. 634.
75 Zeumer, Formulae S. 676: deinde dato iuramento immergatur; S. 686: postea facto iuramento solito ligetur et ponatur in aquam. S. 719: postea iurent sacramenta et accusans et defensor, quasi duellum ingressuri iurant. Aethelstan II 23.
§ 108. Das Beweisverfahren.
mag der Sachfällige nachträglich gegen die Zeugen eine Meineids- und Ersatzklage erheben 69.
Die karolingischen Kapitularien haben hinsichtlich des Zeugenver- fahrens eine Anzahl von Reformen durchgeführt 70, welche jedoch den formalen Charakter des Beweismittels nicht beseitigten. Um sich der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu versichern, sollte der Richter nach einer mehrfach eingeschärften Neuerung Karls des Groſsen mit den Zeugen vor dem Eidgange ein Verhör vornehmen, discussio testium genannt. Dieses Verhör lief darauf hinaus, daſs dem Zeugeneide eine formlose Zeugenaussage vorausging, welche feststellen sollte, ob der Zeuge überhaupt etwas wisse von der Sache, über die er zu schwören gedachte. In Fällen des Gemeindezeugnisses gestattete man dem Gegner des Beweisführers, Gegenzeugen vorzuführen. Widersprachen sich die eidlosen Aussagen der beiden Zeugenreihen, so wurde aus jeder Reihe je ein Zeuge auserwählt, um zu schwören und durch gericht- lichen Zweikampf zu entscheiden, wer wahr geschworen habe.
3. Das Ordalverfahren.
War der Beweisführer ein freier Mann, so ging der Ordalhandlung ein Eid voraus, dessen Wahrheit jener durch das Ordal erhärten sollte. Das galt nicht nur bei der Meineidsklage und bei der Eides-, Zeugen- und Urkundenschelte, sondern auch dann, wenn es zu einem Eide oder Eidgelöbnisse noch nicht gekommen war. Den Eid des Beweisführers finden wir in konstanter Anwendung bei dem Zwei- kampf 71, aber auch bei den Feuerordalien 72, bei dem Loosordal 73, bei dem Probebissen 74, bei der Bahrprobe und häufig auch bei dem Wasserordal 75, obwohl dieses laut der Legende von Ludwig I. ein-
69 Lex Baiuw. XVII 2. 6. Die Klage wird durch Zweikampf entschieden. Nach Lex Sal. 94 kann der Kläger durch Kesselfang beweisen, quod falsum testi- monium dedissent.
70 H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 66 f.
71 Lex Baiuw. XVII 2. Lex Fris. 14, 4. Zeumer, Formulae S. 719 unten Anm. 75. Allgemein in den jüngeren Quellen.
72 Zeumer, Formulae S. 616: tunc faciat sacramentum et portet ferrum. Lex Fris. 3, 8. Aethelstan II 23.
73 Lex Fris. 14, 1.
74 Zeumer, Formulae S. 634.
75 Zeumer, Formulae S. 676: deinde dato iuramento immergatur; S. 686: postea facto iuramento solito ligetur et ponatur in aquam. S. 719: postea iurent sacramenta et accusans et defensor, quasi duellum ingressuri iurant. Aethelstan II 23.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0455"n="437"/><fwplace="top"type="header">§ 108. Das Beweisverfahren.</fw><lb/>
mag der Sachfällige nachträglich gegen die Zeugen eine Meineids-<lb/>
und Ersatzklage erheben <noteplace="foot"n="69">Lex Baiuw. XVII 2. 6. Die Klage wird durch Zweikampf entschieden.<lb/>
Nach Lex Sal. 94 kann der Kläger durch Kesselfang beweisen, quod falsum testi-<lb/>
monium dedissent.</note>.</p><lb/><p>Die karolingischen Kapitularien haben hinsichtlich des Zeugenver-<lb/>
fahrens eine Anzahl von Reformen durchgeführt <noteplace="foot"n="70">H. <hirendition="#g">Brunner</hi>, Entstehung der Schwurgerichte S. 66 f.</note>, welche jedoch den<lb/>
formalen Charakter des Beweismittels nicht beseitigten. Um sich der<lb/>
Glaubwürdigkeit der Zeugen zu versichern, sollte der Richter nach<lb/>
einer mehrfach eingeschärften Neuerung Karls des Groſsen mit den<lb/>
Zeugen vor dem Eidgange ein Verhör vornehmen, discussio testium<lb/>
genannt. Dieses Verhör lief darauf hinaus, daſs dem Zeugeneide<lb/>
eine formlose Zeugenaussage vorausging, welche feststellen sollte, ob der<lb/>
Zeuge überhaupt etwas wisse von der Sache, über die er zu schwören<lb/>
gedachte. In Fällen des Gemeindezeugnisses gestattete man dem Gegner<lb/>
des Beweisführers, Gegenzeugen vorzuführen. Widersprachen sich die<lb/>
eidlosen Aussagen der beiden Zeugenreihen, so wurde aus jeder<lb/>
Reihe je ein Zeuge auserwählt, um zu schwören und durch gericht-<lb/>
lichen Zweikampf zu entscheiden, wer wahr geschworen habe.</p></div><lb/><divn="5"><head>3. <hirendition="#g">Das Ordalverfahren</hi>.</head><lb/><p>War der Beweisführer ein freier Mann, so ging der Ordalhandlung<lb/>
ein Eid voraus, dessen Wahrheit jener durch das Ordal erhärten<lb/>
sollte. Das galt nicht nur bei der Meineidsklage und bei der Eides-,<lb/>
Zeugen- und Urkundenschelte, sondern auch dann, wenn es zu einem<lb/>
Eide oder Eidgelöbnisse noch nicht gekommen war. Den Eid des<lb/>
Beweisführers finden wir in konstanter Anwendung bei dem Zwei-<lb/>
kampf <noteplace="foot"n="71">Lex Baiuw. XVII 2. Lex Fris. 14, 4. Zeumer, Formulae S. 719 unten<lb/>
Anm. 75. Allgemein in den jüngeren Quellen.</note>, aber auch bei den Feuerordalien <noteplace="foot"n="72">Zeumer, Formulae S. 616: tunc faciat sacramentum et portet ferrum. Lex<lb/>
Fris. 3, 8. Aethelstan II 23.</note>, bei dem Loosordal <noteplace="foot"n="73">Lex Fris. 14, 1.</note>,<lb/>
bei dem Probebissen <noteplace="foot"n="74">Zeumer, Formulae S. 634.</note>, bei der Bahrprobe und häufig auch bei dem<lb/>
Wasserordal <noteplace="foot"n="75">Zeumer, Formulae S. 676: deinde dato iuramento immergatur; S. 686:<lb/>
postea facto iuramento solito ligetur et ponatur in aquam. S. 719: postea iurent<lb/>
sacramenta et accusans et defensor, quasi duellum ingressuri iurant. Aethelstan<lb/>
II 23.</note>, obwohl dieses laut der Legende von Ludwig I. ein-<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[437/0455]
§ 108. Das Beweisverfahren.
mag der Sachfällige nachträglich gegen die Zeugen eine Meineids-
und Ersatzklage erheben 69.
Die karolingischen Kapitularien haben hinsichtlich des Zeugenver-
fahrens eine Anzahl von Reformen durchgeführt 70, welche jedoch den
formalen Charakter des Beweismittels nicht beseitigten. Um sich der
Glaubwürdigkeit der Zeugen zu versichern, sollte der Richter nach
einer mehrfach eingeschärften Neuerung Karls des Groſsen mit den
Zeugen vor dem Eidgange ein Verhör vornehmen, discussio testium
genannt. Dieses Verhör lief darauf hinaus, daſs dem Zeugeneide
eine formlose Zeugenaussage vorausging, welche feststellen sollte, ob der
Zeuge überhaupt etwas wisse von der Sache, über die er zu schwören
gedachte. In Fällen des Gemeindezeugnisses gestattete man dem Gegner
des Beweisführers, Gegenzeugen vorzuführen. Widersprachen sich die
eidlosen Aussagen der beiden Zeugenreihen, so wurde aus jeder
Reihe je ein Zeuge auserwählt, um zu schwören und durch gericht-
lichen Zweikampf zu entscheiden, wer wahr geschworen habe.
3. Das Ordalverfahren.
War der Beweisführer ein freier Mann, so ging der Ordalhandlung
ein Eid voraus, dessen Wahrheit jener durch das Ordal erhärten
sollte. Das galt nicht nur bei der Meineidsklage und bei der Eides-,
Zeugen- und Urkundenschelte, sondern auch dann, wenn es zu einem
Eide oder Eidgelöbnisse noch nicht gekommen war. Den Eid des
Beweisführers finden wir in konstanter Anwendung bei dem Zwei-
kampf 71, aber auch bei den Feuerordalien 72, bei dem Loosordal 73,
bei dem Probebissen 74, bei der Bahrprobe und häufig auch bei dem
Wasserordal 75, obwohl dieses laut der Legende von Ludwig I. ein-
69 Lex Baiuw. XVII 2. 6. Die Klage wird durch Zweikampf entschieden.
Nach Lex Sal. 94 kann der Kläger durch Kesselfang beweisen, quod falsum testi-
monium dedissent.
70 H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 66 f.
71 Lex Baiuw. XVII 2. Lex Fris. 14, 4. Zeumer, Formulae S. 719 unten
Anm. 75. Allgemein in den jüngeren Quellen.
72 Zeumer, Formulae S. 616: tunc faciat sacramentum et portet ferrum. Lex
Fris. 3, 8. Aethelstan II 23.
73 Lex Fris. 14, 1.
74 Zeumer, Formulae S. 634.
75 Zeumer, Formulae S. 676: deinde dato iuramento immergatur; S. 686:
postea facto iuramento solito ligetur et ponatur in aquam. S. 719: postea iurent
sacramenta et accusans et defensor, quasi duellum ingressuri iurant. Aethelstan
II 23.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/455>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.