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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 108. Das Beweisverfahren.
geben hatten. In Baiern war es bei Abfassung der Lex Baiuwari-
orum unter den iudices streitig, ob der Zeugenführer zu schwören
habe63. Wahrscheinlich herrschte in dieser Beziehung in den bairischen
Volksgerichten ein örtlich verschiedener Brauch.

Bei den Baiern schwört von mehreren Zeugen nur einer und
zwar derjenige, den das Loos bestimmt. Er schwört in die Hand
seines nächsten Verwandten oder mit Helfern64. Ebenso legt nach
isländischem Rechte nur ein Zeuge das Zeugnis ab, während die
übrigen ihre Zustimmung erklären65. Nach langobardischem66 und
wie es scheint auch nach norwegischem Rechte67 gaben die Zeugen
ursprünglich ihr Zeugnis ohne Eidschwur ab. Doch konnte bei den
Langobarden der Richter, wenn er die Wahrheit der Aussage be-
zweifelte oder wenn der Gegner es verlangte, eidliche Bekräftigung
der Zeugenaussage anordnen, vorausgesetzt, dass die Zeugen nicht
sogenannte homines credentes waren, d. h. freie und unbescholtene
Grundbesitzer.

Der Gegner des Zeugenführers war nach manchen Stammesrechten
in der Lage, dem Zeugen den Weg zum Eide durch rechtzeitige
Zeugenschelte zu verlegen, welche durch Zweikampf zwischen dem
Scheltenden und einem der Zeugen erledigt wurde. So nach bur-
gundischem, nach ribuarischem und nach sächsischem Rechte68. Doch
musste das Zeugnis des Geschäftszeugen, der als solcher anerkannt
worden war, auf Grund des vorausgegangenen Beweisgedinges ge-
duldet werden. Nach bairischem Rechte war daher die Schelte des
Geschäftszeugen nur in der Weise möglich, dass der Gegner des
Zeugenführers bestritt, diesen Zeugen gezogen zu haben.

Sind die Zeugeneide geschworen, so kann das Beweisergebnis für
die schwebende Streitsache nicht mehr angefochten werden. Doch

63 Lex Baiuw. XVII 5: sed hic discordant nostri iudices de pacto, quod
ipse, qui testem adducit, iurare deberet, quod mendacem testem non praeferret nec
de illius testificatione sacramenti se abstinere debeat.
64 Lex Baiuw. XVII 6. Siehe oben S. 398. 431.
65 Konrad Maurer, Kr. Ü. V 234, Anm. 1.
66 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 14 ff.
67 So Hertzberg, Grundtraekkene S. 240 ff., Brandt, Forelaesninger II 244,
nach welchem der Zeugeneid im Norden erst unter der Einwirkung des Christen-
tums aufgekommen ist. Anderer Ansicht Konrad Maurer, Kr. V. XVIII 73.
68 Lex Burg. 45. 80, 2. Lex Rib. 59, 4. Lex Sax. 63. Das jüngere salische
Recht scheint diese Art von Zeugenschelte aus dem ribuarischen übernommen zu
haben. H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 57. Auch dem Rechte
von Schonen ist die Zeugenschelte bekannt. Sunesen 135. Skanelagen 217.

§ 108. Das Beweisverfahren.
geben hatten. In Baiern war es bei Abfassung der Lex Baiuwari-
orum unter den iudices streitig, ob der Zeugenführer zu schwören
habe63. Wahrscheinlich herrschte in dieser Beziehung in den bairischen
Volksgerichten ein örtlich verschiedener Brauch.

Bei den Baiern schwört von mehreren Zeugen nur einer und
zwar derjenige, den das Loos bestimmt. Er schwört in die Hand
seines nächsten Verwandten oder mit Helfern64. Ebenso legt nach
isländischem Rechte nur ein Zeuge das Zeugnis ab, während die
übrigen ihre Zustimmung erklären65. Nach langobardischem66 und
wie es scheint auch nach norwegischem Rechte67 gaben die Zeugen
ursprünglich ihr Zeugnis ohne Eidschwur ab. Doch konnte bei den
Langobarden der Richter, wenn er die Wahrheit der Aussage be-
zweifelte oder wenn der Gegner es verlangte, eidliche Bekräftigung
der Zeugenaussage anordnen, vorausgesetzt, daſs die Zeugen nicht
sogenannte homines credentes waren, d. h. freie und unbescholtene
Grundbesitzer.

Der Gegner des Zeugenführers war nach manchen Stammesrechten
in der Lage, dem Zeugen den Weg zum Eide durch rechtzeitige
Zeugenschelte zu verlegen, welche durch Zweikampf zwischen dem
Scheltenden und einem der Zeugen erledigt wurde. So nach bur-
gundischem, nach ribuarischem und nach sächsischem Rechte68. Doch
muſste das Zeugnis des Geschäftszeugen, der als solcher anerkannt
worden war, auf Grund des vorausgegangenen Beweisgedinges ge-
duldet werden. Nach bairischem Rechte war daher die Schelte des
Geschäftszeugen nur in der Weise möglich, daſs der Gegner des
Zeugenführers bestritt, diesen Zeugen gezogen zu haben.

Sind die Zeugeneide geschworen, so kann das Beweisergebnis für
die schwebende Streitsache nicht mehr angefochten werden. Doch

63 Lex Baiuw. XVII 5: sed hic discordant nostri iudices de pacto, quod
ipse, qui testem adducit, iurare deberet, quod mendacem testem non praeferret nec
de illius testificatione sacramenti se abstinere debeat.
64 Lex Baiuw. XVII 6. Siehe oben S. 398. 431.
65 Konrad Maurer, Kr. Ü. V 234, Anm. 1.
66 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 14 ff.
67 So Hertzberg, Grundtrækkene S. 240 ff., Brandt, Forelæsninger II 244,
nach welchem der Zeugeneid im Norden erst unter der Einwirkung des Christen-
tums aufgekommen ist. Anderer Ansicht Konrad Maurer, Kr. V. XVIII 73.
68 Lex Burg. 45. 80, 2. Lex Rib. 59, 4. Lex Sax. 63. Das jüngere salische
Recht scheint diese Art von Zeugenschelte aus dem ribuarischen übernommen zu
haben. H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 57. Auch dem Rechte
von Schonen ist die Zeugenschelte bekannt. Sunesen 135. Skånelagen 217.
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[436/0454] § 108. Das Beweisverfahren. geben hatten. In Baiern war es bei Abfassung der Lex Baiuwari- orum unter den iudices streitig, ob der Zeugenführer zu schwören habe 63. Wahrscheinlich herrschte in dieser Beziehung in den bairischen Volksgerichten ein örtlich verschiedener Brauch. Bei den Baiern schwört von mehreren Zeugen nur einer und zwar derjenige, den das Loos bestimmt. Er schwört in die Hand seines nächsten Verwandten oder mit Helfern 64. Ebenso legt nach isländischem Rechte nur ein Zeuge das Zeugnis ab, während die übrigen ihre Zustimmung erklären 65. Nach langobardischem 66 und wie es scheint auch nach norwegischem Rechte 67 gaben die Zeugen ursprünglich ihr Zeugnis ohne Eidschwur ab. Doch konnte bei den Langobarden der Richter, wenn er die Wahrheit der Aussage be- zweifelte oder wenn der Gegner es verlangte, eidliche Bekräftigung der Zeugenaussage anordnen, vorausgesetzt, daſs die Zeugen nicht sogenannte homines credentes waren, d. h. freie und unbescholtene Grundbesitzer. Der Gegner des Zeugenführers war nach manchen Stammesrechten in der Lage, dem Zeugen den Weg zum Eide durch rechtzeitige Zeugenschelte zu verlegen, welche durch Zweikampf zwischen dem Scheltenden und einem der Zeugen erledigt wurde. So nach bur- gundischem, nach ribuarischem und nach sächsischem Rechte 68. Doch muſste das Zeugnis des Geschäftszeugen, der als solcher anerkannt worden war, auf Grund des vorausgegangenen Beweisgedinges ge- duldet werden. Nach bairischem Rechte war daher die Schelte des Geschäftszeugen nur in der Weise möglich, daſs der Gegner des Zeugenführers bestritt, diesen Zeugen gezogen zu haben. Sind die Zeugeneide geschworen, so kann das Beweisergebnis für die schwebende Streitsache nicht mehr angefochten werden. Doch 63 Lex Baiuw. XVII 5: sed hic discordant nostri iudices de pacto, quod ipse, qui testem adducit, iurare deberet, quod mendacem testem non praeferret nec de illius testificatione sacramenti se abstinere debeat. 64 Lex Baiuw. XVII 6. Siehe oben S. 398. 431. 65 Konrad Maurer, Kr. Ü. V 234, Anm. 1. 66 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 14 ff. 67 So Hertzberg, Grundtrækkene S. 240 ff., Brandt, Forelæsninger II 244, nach welchem der Zeugeneid im Norden erst unter der Einwirkung des Christen- tums aufgekommen ist. Anderer Ansicht Konrad Maurer, Kr. V. XVIII 73. 68 Lex Burg. 45. 80, 2. Lex Rib. 59, 4. Lex Sax. 63. Das jüngere salische Recht scheint diese Art von Zeugenschelte aus dem ribuarischen übernommen zu haben. H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 57. Auch dem Rechte von Schonen ist die Zeugenschelte bekannt. Sunesen 135. Skånelagen 217.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/454>, abgerufen am 25.11.2024.