Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 107. Die Urkunde.
Lex Romana Curiensis dem Producenten die Pflicht auf, die Urkunde
eidlich zu erhärten, und zwar wenn das Gericht es durch Urteil
verlangt23.

Das ribuarische Verfahren, welches die Verteidigung der Urkunde
durch Schreiber und Zeugen erfolgen lässt, ist im Laufe der Zeit
mehr und mehr auch in Neustrien eingedrungen, selbst in Gebiete
westgotischen Rechtes24 und namentlich in Burgund, wo Schreiber
und Zeugen, um der Pflicht der Verteidigung zu entgehen, sich bei
dem Urkundungsakte nicht selten vom Aussteller versprechen lassen,
dass er für die Urkunde im Fall der Anfechtung persönlich eintreten
werde25. Doch machen es im salischen Freiheitsprozesse, wenn eine
Freilassungsurkunde produciert wurde, noch karolingische Kapitularien
dem Scheltenden zur Pflicht, seinerseits den Beweis der Unwahrheit
der Urkunde zu führen26. In Italien ist es in der Zeit der fränkischen
Herrschaft das ribuarische Prinzip, welches das heimische, das lango-
bardische Recht umgestaltet. Ein Kapitular Ludwigs II. bestimmt27,
dass Notar und Zeugen, oder, falls diese verstorben sind, der Notar mit
zwölf Eidhelfern die angefochtene Urkunde erhärten sollen. Nach
einem Gesetze Widos schwört der Scheltende zunächst einen Voreid.
Die Verteidigung führen der Notar selbzwölft und die Zeugen durch
ihren Eid. Ausserdem schwört aber auch der Producent einen Zwölfer-
eid. Ist der Notar gestorben, so tritt Schriftvergleichung mit zwei

habuerit, ipse faciat iuramentum. Die Cautio mit der Satzungsklausel wird be-
handelt wie die wadia (pignus) in c. 35 a. O., wo es heisst: illi tribuatur arbitrium
iurandi, qui pignus habuerit. Vgl. Val de Lievre, Launegild S. 221.
23 Lex Rom. Cur. XI 14: si quis homo qualecunque carta in iudicio presen-
taverit, si ei iudicatum fuerit, ipse eam per sacramentum firmare debet, que legi-
tima carta sit.
24 H. 351: Urteil, dass der Bischof und sein Vogt zur Erhärtung der vom
Gegner durchstossenen Urkunde donent quinque homines firmatores ipsius noticie ..
atque (so ist statt aetatum zu lesen) advocatum ipsius cancellarii, qui ipsam noti-
ciam legibus iurantes veram adfirment. Vgl. H. Brunner, Carta u. Notitia S. 585.
25 Bresslau, Urkundenbeweis S. 27.
26 Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 11, I 293. Responsa misso cuidam data
801--814, c. 7, I 145: Nequaquam hoc volumus, quod servus suam cartam pro-
priam probare debeat; sed dominus, qui ipsum servum quaerit, ipse, si poterit,
ipsam cartam falsam depraehendat. -- Ein Kapitular unsicheren Ursprungs und
Geltungsgebietes, Cap. I 215, c. 7, gestattet dem Beklagten in Ermangelung von
auctor und Zeugen, dass er mit zwei Urkunden desselben cancellarius die Frei-
lassungsurkunde veracem et legitimam esse confirmet. Wenn auch dieses Auskunfts-
mittel fehlt, ipse, qui eum inscripsit (der Kläger) secundum legem, cartam ipsam fal-
sam efficiat.
27 Cap. Pap. pro lege tenendum v. J. 856, c. 6, II 91.

§ 107. Die Urkunde.
Lex Romana Curiensis dem Producenten die Pflicht auf, die Urkunde
eidlich zu erhärten, und zwar wenn das Gericht es durch Urteil
verlangt23.

Das ribuarische Verfahren, welches die Verteidigung der Urkunde
durch Schreiber und Zeugen erfolgen läſst, ist im Laufe der Zeit
mehr und mehr auch in Neustrien eingedrungen, selbst in Gebiete
westgotischen Rechtes24 und namentlich in Burgund, wo Schreiber
und Zeugen, um der Pflicht der Verteidigung zu entgehen, sich bei
dem Urkundungsakte nicht selten vom Aussteller versprechen lassen,
daſs er für die Urkunde im Fall der Anfechtung persönlich eintreten
werde25. Doch machen es im salischen Freiheitsprozesse, wenn eine
Freilassungsurkunde produciert wurde, noch karolingische Kapitularien
dem Scheltenden zur Pflicht, seinerseits den Beweis der Unwahrheit
der Urkunde zu führen26. In Italien ist es in der Zeit der fränkischen
Herrschaft das ribuarische Prinzip, welches das heimische, das lango-
bardische Recht umgestaltet. Ein Kapitular Ludwigs II. bestimmt27,
daſs Notar und Zeugen, oder, falls diese verstorben sind, der Notar mit
zwölf Eidhelfern die angefochtene Urkunde erhärten sollen. Nach
einem Gesetze Widos schwört der Scheltende zunächst einen Voreid.
Die Verteidigung führen der Notar selbzwölft und die Zeugen durch
ihren Eid. Auſserdem schwört aber auch der Producent einen Zwölfer-
eid. Ist der Notar gestorben, so tritt Schriftvergleichung mit zwei

habuerit, ipse faciat iuramentum. Die Cautio mit der Satzungsklausel wird be-
handelt wie die wadia (pignus) in c. 35 a. O., wo es heiſst: illi tribuatur arbitrium
iurandi, qui pignus habuerit. Vgl. Val de Liévre, Launegild S. 221.
23 Lex Rom. Cur. XI 14: si quis homo qualecunque carta in iudicio presen-
taverit, si ei iudicatum fuerit, ipse eam per sacramentum firmare debet, que legi-
tima carta sit.
24 H. 351: Urteil, daſs der Bischof und sein Vogt zur Erhärtung der vom
Gegner durchstoſsenen Urkunde donent quinque homines firmatores ipsius noticie ..
atque (so ist statt aetatum zu lesen) advocatum ipsius cancellarii, qui ipsam noti-
ciam legibus iurantes veram adfirment. Vgl. H. Brunner, Carta u. Notitia S. 585.
25 Breſslau, Urkundenbeweis S. 27.
26 Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 11, I 293. Responsa misso cuidam data
801—814, c. 7, I 145: Nequaquam hoc volumus, quod servus suam cartam pro-
priam probare debeat; sed dominus, qui ipsum servum quaerit, ipse, si poterit,
ipsam cartam falsam depraehendat. — Ein Kapitular unsicheren Ursprungs und
Geltungsgebietes, Cap. I 215, c. 7, gestattet dem Beklagten in Ermangelung von
auctor und Zeugen, daſs er mit zwei Urkunden desselben cancellarius die Frei-
lassungsurkunde veracem et legitimam esse confirmet. Wenn auch dieses Auskunfts-
mittel fehlt, ipse, qui eum inscripsit (der Kläger) secundum legem, cartam ipsam fal-
sam efficiat.
27 Cap. Pap. pro lege tenendum v. J. 856, c. 6, II 91.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0443" n="425"/><fw place="top" type="header">§ 107. Die Urkunde.</fw><lb/>
Lex Romana Curiensis dem Producenten die Pflicht auf, die Urkunde<lb/>
eidlich zu erhärten, und zwar wenn das Gericht es durch Urteil<lb/>
verlangt<note place="foot" n="23">Lex Rom. Cur. XI 14: si quis homo qualecunque carta in iudicio presen-<lb/>
taverit, si ei iudicatum fuerit, ipse eam per sacramentum firmare debet, que legi-<lb/>
tima carta sit.</note>.</p><lb/>
              <p>Das ribuarische Verfahren, welches die Verteidigung der Urkunde<lb/>
durch Schreiber und Zeugen erfolgen lä&#x017F;st, ist im Laufe der Zeit<lb/>
mehr und mehr auch in Neustrien eingedrungen, selbst in Gebiete<lb/>
westgotischen Rechtes<note place="foot" n="24">H. 351: Urteil, da&#x017F;s der Bischof und sein Vogt zur Erhärtung der vom<lb/>
Gegner durchsto&#x017F;senen Urkunde donent quinque homines firmatores ipsius noticie ..<lb/>
atque (so ist statt aetatum zu lesen) advocatum ipsius cancellarii, qui ipsam noti-<lb/>
ciam legibus iurantes veram adfirment. Vgl. H. <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Carta u. Notitia S. 585.</note> und namentlich in Burgund, wo Schreiber<lb/>
und Zeugen, um der Pflicht der Verteidigung zu entgehen, sich bei<lb/>
dem Urkundungsakte nicht selten vom Aussteller versprechen lassen,<lb/>
da&#x017F;s er für die Urkunde im Fall der Anfechtung persönlich eintreten<lb/>
werde<note place="foot" n="25"><hi rendition="#g">Bre&#x017F;slau</hi>, Urkundenbeweis S. 27.</note>. Doch machen es im salischen Freiheitsprozesse, wenn eine<lb/>
Freilassungsurkunde produciert wurde, noch karolingische Kapitularien<lb/>
dem Scheltenden zur Pflicht, seinerseits den Beweis der Unwahrheit<lb/>
der Urkunde zu führen<note place="foot" n="26">Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 11, I 293. Responsa misso cuidam data<lb/>
801&#x2014;814, c. 7, I 145: Nequaquam hoc volumus, quod servus suam cartam pro-<lb/>
priam probare debeat; sed dominus, qui ipsum servum quaerit, ipse, si poterit,<lb/>
ipsam cartam falsam depraehendat. &#x2014; Ein Kapitular unsicheren Ursprungs und<lb/>
Geltungsgebietes, Cap. I 215, c. 7, gestattet dem Beklagten in Ermangelung von<lb/>
auctor und Zeugen, da&#x017F;s er mit zwei Urkunden desselben cancellarius die Frei-<lb/>
lassungsurkunde veracem et legitimam esse confirmet. Wenn auch dieses Auskunfts-<lb/>
mittel fehlt, ipse, qui eum inscripsit (der Kläger) secundum legem, cartam ipsam fal-<lb/>
sam efficiat.</note>. In Italien ist es in der Zeit der fränkischen<lb/>
Herrschaft das ribuarische Prinzip, welches das heimische, das lango-<lb/>
bardische Recht umgestaltet. Ein Kapitular Ludwigs II. bestimmt<note place="foot" n="27">Cap. Pap. pro lege tenendum v. J. 856, c. 6, II 91.</note>,<lb/>
da&#x017F;s Notar und Zeugen, oder, falls diese verstorben sind, der Notar mit<lb/>
zwölf Eidhelfern die angefochtene Urkunde erhärten sollen. Nach<lb/>
einem Gesetze Widos schwört der Scheltende zunächst einen Voreid.<lb/>
Die Verteidigung führen der Notar selbzwölft und die Zeugen durch<lb/>
ihren Eid. Au&#x017F;serdem schwört aber auch der Producent einen Zwölfer-<lb/>
eid. Ist der Notar gestorben, so tritt Schriftvergleichung mit zwei<lb/><note xml:id="seg2pn_107_2" prev="#seg2pn_107_1" place="foot" n="22">habuerit, ipse faciat iuramentum. Die Cautio mit der Satzungsklausel wird be-<lb/>
handelt wie die wadia (pignus) in c. 35 a. O., wo es hei&#x017F;st: illi tribuatur arbitrium<lb/>
iurandi, qui pignus habuerit. Vgl. <hi rendition="#g">Val de Liévre</hi>, Launegild S. 221.</note><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0443] § 107. Die Urkunde. Lex Romana Curiensis dem Producenten die Pflicht auf, die Urkunde eidlich zu erhärten, und zwar wenn das Gericht es durch Urteil verlangt 23. Das ribuarische Verfahren, welches die Verteidigung der Urkunde durch Schreiber und Zeugen erfolgen läſst, ist im Laufe der Zeit mehr und mehr auch in Neustrien eingedrungen, selbst in Gebiete westgotischen Rechtes 24 und namentlich in Burgund, wo Schreiber und Zeugen, um der Pflicht der Verteidigung zu entgehen, sich bei dem Urkundungsakte nicht selten vom Aussteller versprechen lassen, daſs er für die Urkunde im Fall der Anfechtung persönlich eintreten werde 25. Doch machen es im salischen Freiheitsprozesse, wenn eine Freilassungsurkunde produciert wurde, noch karolingische Kapitularien dem Scheltenden zur Pflicht, seinerseits den Beweis der Unwahrheit der Urkunde zu führen 26. In Italien ist es in der Zeit der fränkischen Herrschaft das ribuarische Prinzip, welches das heimische, das lango- bardische Recht umgestaltet. Ein Kapitular Ludwigs II. bestimmt 27, daſs Notar und Zeugen, oder, falls diese verstorben sind, der Notar mit zwölf Eidhelfern die angefochtene Urkunde erhärten sollen. Nach einem Gesetze Widos schwört der Scheltende zunächst einen Voreid. Die Verteidigung führen der Notar selbzwölft und die Zeugen durch ihren Eid. Auſserdem schwört aber auch der Producent einen Zwölfer- eid. Ist der Notar gestorben, so tritt Schriftvergleichung mit zwei 22 23 Lex Rom. Cur. XI 14: si quis homo qualecunque carta in iudicio presen- taverit, si ei iudicatum fuerit, ipse eam per sacramentum firmare debet, que legi- tima carta sit. 24 H. 351: Urteil, daſs der Bischof und sein Vogt zur Erhärtung der vom Gegner durchstoſsenen Urkunde donent quinque homines firmatores ipsius noticie .. atque (so ist statt aetatum zu lesen) advocatum ipsius cancellarii, qui ipsam noti- ciam legibus iurantes veram adfirment. Vgl. H. Brunner, Carta u. Notitia S. 585. 25 Breſslau, Urkundenbeweis S. 27. 26 Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 11, I 293. Responsa misso cuidam data 801—814, c. 7, I 145: Nequaquam hoc volumus, quod servus suam cartam pro- priam probare debeat; sed dominus, qui ipsum servum quaerit, ipse, si poterit, ipsam cartam falsam depraehendat. — Ein Kapitular unsicheren Ursprungs und Geltungsgebietes, Cap. I 215, c. 7, gestattet dem Beklagten in Ermangelung von auctor und Zeugen, daſs er mit zwei Urkunden desselben cancellarius die Frei- lassungsurkunde veracem et legitimam esse confirmet. Wenn auch dieses Auskunfts- mittel fehlt, ipse, qui eum inscripsit (der Kläger) secundum legem, cartam ipsam fal- sam efficiat. 27 Cap. Pap. pro lege tenendum v. J. 856, c. 6, II 91. 22 habuerit, ipse faciat iuramentum. Die Cautio mit der Satzungsklausel wird be- handelt wie die wadia (pignus) in c. 35 a. O., wo es heiſst: illi tribuatur arbitrium iurandi, qui pignus habuerit. Vgl. Val de Liévre, Launegild S. 221.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/443
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/443>, abgerufen am 22.11.2024.