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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 62. Die Thronfolge.
völkerungszahl, sondern auch politische Bedeutung, Ertragsfähigkeit
und geschichtliche Zusammengehörigkeit der Teilgebiete ins Gewicht
fielen. Sie waren ferner Teilungen zu gleichem Rechte, indem keiner
der Teilkönige eine Oberhoheit über die anderen erhielt. Die Teilungen
waren endlich genau genommen nicht Teilungen des Reiches, sondern
Teilungen der Reichsverwaltung, so dass theoretisch eine Gesamtherr-
schaft bestand und der Gedanke der Reichseinheit lebendig blieb.
Begrifflich war und blieb das Königtum ein Recht des merowingischen
Königsgeschlechtes, gewissermassen ein Familiengut, insofern den Gan-
erbschaften des jüngeren deutschen Rechtes vergleichbar, bei welchen
zwar eine Teilung der Nutzungen, eine sogen. Mutschierung, nicht
aber eine Teilung des Eigentums, eine sogen. Totteilung, also keine
völlige Aufhebung der Gemeinschaft zulässig war. Jeder der Teil-
könige war rex Francorum. Jeder datierte seine Urkunden schlecht-
weg "anno regni nostri", ohne die Bezeichnung des Teilreiches hinzu-
zufügen. Succedierte ein Teilkönig in das Reich eines anderen, so
zählte man in dem neu erworbenen Gebiete die Regierungsjahre nicht
seit der Zeit, da er in diesem, sondern seit der Zeit, da er in seinem
ursprünglichen Anteil König geworden war 14. Der Anteil des Ein-
zelnen hiess sors oder pars und bildete nicht immer einen zusammen-
hängenden Komplex. Einzelne Städte oder Gebiete blieben mitunter
in gemeinschaftlichem Besitze 15. Gemeinsam traten die Teilregenten
nach aussen hin auf, gemeinsam führten sie Kriege und nahmen Unter-
werfungen entgegen 16. Kämpfe, die unter ihnen stattfanden, hiessen
Bürgerkriege 17. Der Unterthan eines Teilreiches galt in einem anderen
rechtlich nicht als ein Fremder, der auf den Königsschutz angewiesen
war; sein Personalrecht blieb anerkannt. Die Teilungen schlossen
gemeinsame Satzungen nicht aus. Auch konnten gemeinschaftliche
Versammlungen von den Grossen und gemeinschaftliche Synoden von
den Bischöfen der Teilreiche abgehalten werden 18.

Seit dem siebenten Jahrhundert, seit dem Siege, welchen die
fränkische Aristokratie durch die Erhebung Chlothars II. zur Allein-
herrschaft über Brunhilde errungen hatte, geriet die Thronfolge

14 Havet, Questions Merov. III 4 f. Zeumer, NA XI 329 f.
15 Waitz, VG II 1 S. 149.
16 Greg. Tur. Hist. Franc. IV 42, IX 18.
17 Greg. Tur. Hist. Franc. V prolog.
18 Waitz, VG II 1 S. 157 Anm. 1. 3; II 2 S. 195 ff. Die gemeinsamen
fränkischen Nationalkonzilien, welche trotz der Reichsteilungen zusammentreten,
fallen erst seit der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts aus. E. Loening,
Kirchenrecht II 131 ff.

§ 62. Die Thronfolge.
völkerungszahl, sondern auch politische Bedeutung, Ertragsfähigkeit
und geschichtliche Zusammengehörigkeit der Teilgebiete ins Gewicht
fielen. Sie waren ferner Teilungen zu gleichem Rechte, indem keiner
der Teilkönige eine Oberhoheit über die anderen erhielt. Die Teilungen
waren endlich genau genommen nicht Teilungen des Reiches, sondern
Teilungen der Reichsverwaltung, so daſs theoretisch eine Gesamtherr-
schaft bestand und der Gedanke der Reichseinheit lebendig blieb.
Begrifflich war und blieb das Königtum ein Recht des merowingischen
Königsgeschlechtes, gewissermaſsen ein Familiengut, insofern den Gan-
erbschaften des jüngeren deutschen Rechtes vergleichbar, bei welchen
zwar eine Teilung der Nutzungen, eine sogen. Mutschierung, nicht
aber eine Teilung des Eigentums, eine sogen. Totteilung, also keine
völlige Aufhebung der Gemeinschaft zulässig war. Jeder der Teil-
könige war rex Francorum. Jeder datierte seine Urkunden schlecht-
weg „anno regni nostri“, ohne die Bezeichnung des Teilreiches hinzu-
zufügen. Succedierte ein Teilkönig in das Reich eines anderen, so
zählte man in dem neu erworbenen Gebiete die Regierungsjahre nicht
seit der Zeit, da er in diesem, sondern seit der Zeit, da er in seinem
ursprünglichen Anteil König geworden war 14. Der Anteil des Ein-
zelnen hieſs sors oder pars und bildete nicht immer einen zusammen-
hängenden Komplex. Einzelne Städte oder Gebiete blieben mitunter
in gemeinschaftlichem Besitze 15. Gemeinsam traten die Teilregenten
nach auſsen hin auf, gemeinsam führten sie Kriege und nahmen Unter-
werfungen entgegen 16. Kämpfe, die unter ihnen stattfanden, hieſsen
Bürgerkriege 17. Der Unterthan eines Teilreiches galt in einem anderen
rechtlich nicht als ein Fremder, der auf den Königsschutz angewiesen
war; sein Personalrecht blieb anerkannt. Die Teilungen schloſsen
gemeinsame Satzungen nicht aus. Auch konnten gemeinschaftliche
Versammlungen von den Groſsen und gemeinschaftliche Synoden von
den Bischöfen der Teilreiche abgehalten werden 18.

Seit dem siebenten Jahrhundert, seit dem Siege, welchen die
fränkische Aristokratie durch die Erhebung Chlothars II. zur Allein-
herrschaft über Brunhilde errungen hatte, geriet die Thronfolge

14 Havet, Questions Mérov. III 4 f. Zeumer, NA XI 329 f.
15 Waitz, VG II 1 S. 149.
16 Greg. Tur. Hist. Franc. IV 42, IX 18.
17 Greg. Tur. Hist. Franc. V prolog.
18 Waitz, VG II 1 S. 157 Anm. 1. 3; II 2 S. 195 ff. Die gemeinsamen
fränkischen Nationalkonzilien, welche trotz der Reichsteilungen zusammentreten,
fallen erst seit der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts aus. E. Loening,
Kirchenrecht II 131 ff.
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[26/0044] § 62. Die Thronfolge. völkerungszahl, sondern auch politische Bedeutung, Ertragsfähigkeit und geschichtliche Zusammengehörigkeit der Teilgebiete ins Gewicht fielen. Sie waren ferner Teilungen zu gleichem Rechte, indem keiner der Teilkönige eine Oberhoheit über die anderen erhielt. Die Teilungen waren endlich genau genommen nicht Teilungen des Reiches, sondern Teilungen der Reichsverwaltung, so daſs theoretisch eine Gesamtherr- schaft bestand und der Gedanke der Reichseinheit lebendig blieb. Begrifflich war und blieb das Königtum ein Recht des merowingischen Königsgeschlechtes, gewissermaſsen ein Familiengut, insofern den Gan- erbschaften des jüngeren deutschen Rechtes vergleichbar, bei welchen zwar eine Teilung der Nutzungen, eine sogen. Mutschierung, nicht aber eine Teilung des Eigentums, eine sogen. Totteilung, also keine völlige Aufhebung der Gemeinschaft zulässig war. Jeder der Teil- könige war rex Francorum. Jeder datierte seine Urkunden schlecht- weg „anno regni nostri“, ohne die Bezeichnung des Teilreiches hinzu- zufügen. Succedierte ein Teilkönig in das Reich eines anderen, so zählte man in dem neu erworbenen Gebiete die Regierungsjahre nicht seit der Zeit, da er in diesem, sondern seit der Zeit, da er in seinem ursprünglichen Anteil König geworden war 14. Der Anteil des Ein- zelnen hieſs sors oder pars und bildete nicht immer einen zusammen- hängenden Komplex. Einzelne Städte oder Gebiete blieben mitunter in gemeinschaftlichem Besitze 15. Gemeinsam traten die Teilregenten nach auſsen hin auf, gemeinsam führten sie Kriege und nahmen Unter- werfungen entgegen 16. Kämpfe, die unter ihnen stattfanden, hieſsen Bürgerkriege 17. Der Unterthan eines Teilreiches galt in einem anderen rechtlich nicht als ein Fremder, der auf den Königsschutz angewiesen war; sein Personalrecht blieb anerkannt. Die Teilungen schloſsen gemeinsame Satzungen nicht aus. Auch konnten gemeinschaftliche Versammlungen von den Groſsen und gemeinschaftliche Synoden von den Bischöfen der Teilreiche abgehalten werden 18. Seit dem siebenten Jahrhundert, seit dem Siege, welchen die fränkische Aristokratie durch die Erhebung Chlothars II. zur Allein- herrschaft über Brunhilde errungen hatte, geriet die Thronfolge 14 Havet, Questions Mérov. III 4 f. Zeumer, NA XI 329 f. 15 Waitz, VG II 1 S. 149. 16 Greg. Tur. Hist. Franc. IV 42, IX 18. 17 Greg. Tur. Hist. Franc. V prolog. 18 Waitz, VG II 1 S. 157 Anm. 1. 3; II 2 S. 195 ff. Die gemeinsamen fränkischen Nationalkonzilien, welche trotz der Reichsteilungen zusammentreten, fallen erst seit der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts aus. E. Loening, Kirchenrecht II 131 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/44>, abgerufen am 24.11.2024.