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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 106. Die Gottesurteile.
wendung kamen, die sich bei Freien gleichzeitig nicht nachweisen lassen;
so das Loosordal im jüngeren salischen Rechte, so der Kesselfang bei
den Langobarden. Nun haben zwar manche Stämme, so die Westgoten,
die Burgunder, Franken und Baiern, bei Klagen Dritter um Misse-
thaten von Knechten ein volksrechtlich normiertes Beweisverfahren.
Allein das ältere Recht, wie es bei den meisten übrigen Stämmen in
Kraft blieb, rechnet bei solchen Klagen nur mit dem Herrn, der auch
hinsichtlich des Beweisverfahrens vor dem öffentlichen Richter für den
Knecht einstehen muss. Wo das Recht noch diesen Standpunkt ein-
nimmt, hat die Satzung keinen unmittelbaren Anlass, sich über spezi-
fisch knechtische Ordalien auszusprechen.

Das wichtigste Gottesurteil der freien Leute war der Zweikampf.
Wo wir ihn finden, steht er entweder innerhalb des Gerichtsverfahrens,
dem er als Beweismittel organisch eingegliedert ist, sodass durch
Urteil darauf erkannt werden kann, oder er steht ausserhalb des-
selben und bildet als dessen Ersatz einen Rechtsgang für sich. Der
Zweikampf war ein gerichtlicher im angegebenen Sinne bei den West-
germanen und Burgundern, dagegen ein aussergerichtlicher bei den
Nordgermanen 6 und wahrscheinlich auch bei den Goten 7. Der gericht-
liche Zweikampf war wieder bei manchen deutschen Stämmen, so bei
den Baiern und Langobarden, derart geregelt, dass ihn anstatt der
Parteien besonders bestellte Kämpen ausfechten durften. Selbstverständ-
lich mochte man hier die einseitigen Ordalien leichter entbehren,
da der Zweikampf auch solchen freien Leuten zu Gebote stand, die
körperlich nicht in der Lage waren, sich ihm zu unterziehen.

Die Wirkung, welche die kirchliche Ablehnung der Ordalien hatte,
ging am weitesten bei den Angelsachsen. Die ältere angelsächsische
Gesetzgebung lässt die Gottesurteile vollständig vermissen bei Freien
wie bei Knechten, sowohl den Zweikampf als die übrigen Ordalien 8.
Frühestens gegen Ende des neunten Jahrhunderts tauchen einseitige
Ordalien auf 9. Allgemeiner wird ihre Anwendung erst im zehnten

6 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 289 ff. Derselbe, Recht a. O.
Weinhold, Altnordisches Leben 1856, S. 297 ff.
7 Hinsichtlich der Ostgoten siehe Cassiodor Var. III 23. 24, VII 3. Vgl.
Baist a. O. S. 9. Über die Westgoten unten S. 403 f. 417.
8 Das hat Steenstrup a. O. eingehend ausgeführt.
9 Älteste Fundstelle sind die sogen. Gesetze Edwards und Guthruns c. 9, in
welchen verboten wird, an Feiertagen Ordalien vorzunehmen. Da diese Gesetze
nur die Bestätigung eines älteren, zwischen Alfred und dem Dänenhäuptling
Guthrun abgeschlossenen Friedens sind, so rückt die älteste gesetzliche Erwähnung
des Ordals bei den Angelsachsen in die Zeit vor 891 hinauf.

§ 106. Die Gottesurteile.
wendung kamen, die sich bei Freien gleichzeitig nicht nachweisen lassen;
so das Loosordal im jüngeren salischen Rechte, so der Kesselfang bei
den Langobarden. Nun haben zwar manche Stämme, so die Westgoten,
die Burgunder, Franken und Baiern, bei Klagen Dritter um Misse-
thaten von Knechten ein volksrechtlich normiertes Beweisverfahren.
Allein das ältere Recht, wie es bei den meisten übrigen Stämmen in
Kraft blieb, rechnet bei solchen Klagen nur mit dem Herrn, der auch
hinsichtlich des Beweisverfahrens vor dem öffentlichen Richter für den
Knecht einstehen muſs. Wo das Recht noch diesen Standpunkt ein-
nimmt, hat die Satzung keinen unmittelbaren Anlaſs, sich über spezi-
fisch knechtische Ordalien auszusprechen.

Das wichtigste Gottesurteil der freien Leute war der Zweikampf.
Wo wir ihn finden, steht er entweder innerhalb des Gerichtsverfahrens,
dem er als Beweismittel organisch eingegliedert ist, sodaſs durch
Urteil darauf erkannt werden kann, oder er steht auſserhalb des-
selben und bildet als dessen Ersatz einen Rechtsgang für sich. Der
Zweikampf war ein gerichtlicher im angegebenen Sinne bei den West-
germanen und Burgundern, dagegen ein auſsergerichtlicher bei den
Nordgermanen 6 und wahrscheinlich auch bei den Goten 7. Der gericht-
liche Zweikampf war wieder bei manchen deutschen Stämmen, so bei
den Baiern und Langobarden, derart geregelt, daſs ihn anstatt der
Parteien besonders bestellte Kämpen ausfechten durften. Selbstverständ-
lich mochte man hier die einseitigen Ordalien leichter entbehren,
da der Zweikampf auch solchen freien Leuten zu Gebote stand, die
körperlich nicht in der Lage waren, sich ihm zu unterziehen.

Die Wirkung, welche die kirchliche Ablehnung der Ordalien hatte,
ging am weitesten bei den Angelsachsen. Die ältere angelsächsische
Gesetzgebung läſst die Gottesurteile vollständig vermissen bei Freien
wie bei Knechten, sowohl den Zweikampf als die übrigen Ordalien 8.
Frühestens gegen Ende des neunten Jahrhunderts tauchen einseitige
Ordalien auf 9. Allgemeiner wird ihre Anwendung erst im zehnten

6 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 289 ff. Derselbe, Recht a. O.
Weinhold, Altnordisches Leben 1856, S. 297 ff.
7 Hinsichtlich der Ostgoten siehe Cassiodor Var. III 23. 24, VII 3. Vgl.
Baist a. O. S. 9. Über die Westgoten unten S. 403 f. 417.
8 Das hat Steenstrup a. O. eingehend ausgeführt.
9 Älteste Fundstelle sind die sogen. Gesetze Edwards und Guthruns c. 9, in
welchen verboten wird, an Feiertagen Ordalien vorzunehmen. Da diese Gesetze
nur die Bestätigung eines älteren, zwischen Alfred und dem Dänenhäuptling
Guthrun abgeschlossenen Friedens sind, so rückt die älteste gesetzliche Erwähnung
des Ordals bei den Angelsachsen in die Zeit vor 891 hinauf.
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[402/0420] § 106. Die Gottesurteile. wendung kamen, die sich bei Freien gleichzeitig nicht nachweisen lassen; so das Loosordal im jüngeren salischen Rechte, so der Kesselfang bei den Langobarden. Nun haben zwar manche Stämme, so die Westgoten, die Burgunder, Franken und Baiern, bei Klagen Dritter um Misse- thaten von Knechten ein volksrechtlich normiertes Beweisverfahren. Allein das ältere Recht, wie es bei den meisten übrigen Stämmen in Kraft blieb, rechnet bei solchen Klagen nur mit dem Herrn, der auch hinsichtlich des Beweisverfahrens vor dem öffentlichen Richter für den Knecht einstehen muſs. Wo das Recht noch diesen Standpunkt ein- nimmt, hat die Satzung keinen unmittelbaren Anlaſs, sich über spezi- fisch knechtische Ordalien auszusprechen. Das wichtigste Gottesurteil der freien Leute war der Zweikampf. Wo wir ihn finden, steht er entweder innerhalb des Gerichtsverfahrens, dem er als Beweismittel organisch eingegliedert ist, sodaſs durch Urteil darauf erkannt werden kann, oder er steht auſserhalb des- selben und bildet als dessen Ersatz einen Rechtsgang für sich. Der Zweikampf war ein gerichtlicher im angegebenen Sinne bei den West- germanen und Burgundern, dagegen ein auſsergerichtlicher bei den Nordgermanen 6 und wahrscheinlich auch bei den Goten 7. Der gericht- liche Zweikampf war wieder bei manchen deutschen Stämmen, so bei den Baiern und Langobarden, derart geregelt, daſs ihn anstatt der Parteien besonders bestellte Kämpen ausfechten durften. Selbstverständ- lich mochte man hier die einseitigen Ordalien leichter entbehren, da der Zweikampf auch solchen freien Leuten zu Gebote stand, die körperlich nicht in der Lage waren, sich ihm zu unterziehen. Die Wirkung, welche die kirchliche Ablehnung der Ordalien hatte, ging am weitesten bei den Angelsachsen. Die ältere angelsächsische Gesetzgebung läſst die Gottesurteile vollständig vermissen bei Freien wie bei Knechten, sowohl den Zweikampf als die übrigen Ordalien 8. Frühestens gegen Ende des neunten Jahrhunderts tauchen einseitige Ordalien auf 9. Allgemeiner wird ihre Anwendung erst im zehnten 6 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 289 ff. Derselbe, Recht a. O. Weinhold, Altnordisches Leben 1856, S. 297 ff. 7 Hinsichtlich der Ostgoten siehe Cassiodor Var. III 23. 24, VII 3. Vgl. Baist a. O. S. 9. Über die Westgoten unten S. 403 f. 417. 8 Das hat Steenstrup a. O. eingehend ausgeführt. 9 Älteste Fundstelle sind die sogen. Gesetze Edwards und Guthruns c. 9, in welchen verboten wird, an Feiertagen Ordalien vorzunehmen. Da diese Gesetze nur die Bestätigung eines älteren, zwischen Alfred und dem Dänenhäuptling Guthrun abgeschlossenen Friedens sind, so rückt die älteste gesetzliche Erwähnung des Ordals bei den Angelsachsen in die Zeit vor 891 hinauf.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/420>, abgerufen am 22.11.2024.