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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 105. Der Zeugeneid.
bewegliches Gut ein liegendes Erbe, bei dem Zeugnis um Fahrhabe
ein ihrem Werte gleichkommendes Vermögen voraus 36.

Die Zahl der Zeugen, die zu einem Zeugenbeweise erforderlich
sind, schwankt in den verschiedenen Rechten. Das salische 37, das ribua-
rische 38 und das burgundische 39 Recht begehren bei der Beweisführung
durch Geschäftszeugnis und durch Öffentlichkeitszeugnis mindestens drei.
Das bairische 40, das sächsische 41 und langobardische Recht 42 begnügen
sich zur Not mit zweien. Dagegen wurde bei dem Gemeindezeugnis
eine grössere Zahl von Zeugen verlangt, nach fränkischem Rechte, wie
es scheint, mindestens sieben 43, nach einem italienischen Kapitularien-
fragment fünf bis sieben 44.

Der Zeuge hebt sich scharf vom Eidhelfer ab. Das Merkmal des
Zeugen ist Wissenschaft, Kenntnis des Beweisthemas und zwar Wissen-
schaft, die auf eigener Wahrnehmung beruht. Solche kann allerdings
unter Umständen der Eidhelfer haben; doch ist sie diesem nicht
wesentlich. Andererseits bleiben bei der Eideshilfe die Gründe der Über-
zeugung von der Wahrheit des Parteieides latent, wogegen dem Zeugen
charakteristisch ist, dass er als Augen- und Ohrenzeuge schwört, indem
er sich auf die Wahrnehmung des Beweisthemas beruft 45. Der Zeugen-
eid ist nicht ein Folgeeid wie der der Helfer: er beteuert nicht die
Wahrheit des Parteieides, sondern das unmittelbare Beweisthema. Die
Eidesschelte trifft bei dem Eide mit Helfern den Hauptmann, nicht
den Helfer, bei dem Zeugnis dagegen den Zeugen, nicht den Zeugen-

36 Emsiger Pfenningschuldbuch § 27, Rh. Rqu. S. 201.
37 Lex Sal. 39, 2; 47, 2; 46; 56. Vgl. Ed. Chilp. c. 7.
38 Lex Rib. 50, 2.
39 Lex Burg. 99.
40 Lex Baiuw. XIII 2, XVI 2. Lex Baiuw. XVI 16 und Decr. Tassil. Din-
golf. c. 2, LL III 459, verlangen drei.
41 Lex Sax. 39.
42 Liu. 15.
43 Extrav. zur Lex Sal. B. 5: testes autem septem contra Francum sint.
Lex Rib. 69, 1. Pertz, Dipl. M. 78, v. J. 710 (12 Zeugen). Siehe die urkund-
lichen Belege aus dem achten und neunten Jahrhundert, die ich Schwurgerichte
S. 51, Anm. 5 zusammengestellt habe.
44 Cap. ital. c. 4, I 216: .. per quinque vel septem testimonia dicant suum
testimonium.
45 Lex Alam. 2, 1: ita testificentur, ut illi ad praesens fuissent et oculis suis
vidissent et auribus audissent .. Lex Baiuw. XVII 2: quia ego hoc meis auribus
audivi et oculis meis vidi, quod istius hominis prior opera fuit in isto agro quam
tua .. Perard S. 36, Nr. 19, H. 217: nos vidimus Madaleno servire ad servo. Me-
nard, Histoire de Nimes I 17, v. J. 915, H. 482: quod nos testes scimus et oculis
nostris vidimus et bene nobis cognitum est in veritate ... Formel bei Schmid, An-
hang X, c. 8, S. 406 ... swa ic mid meinum egum oferseah and meinum earum
oferhyrde thaet thaet ic him mid saecge.

§ 105. Der Zeugeneid.
bewegliches Gut ein liegendes Erbe, bei dem Zeugnis um Fahrhabe
ein ihrem Werte gleichkommendes Vermögen voraus 36.

Die Zahl der Zeugen, die zu einem Zeugenbeweise erforderlich
sind, schwankt in den verschiedenen Rechten. Das salische 37, das ribua-
rische 38 und das burgundische 39 Recht begehren bei der Beweisführung
durch Geschäftszeugnis und durch Öffentlichkeitszeugnis mindestens drei.
Das bairische 40, das sächsische 41 und langobardische Recht 42 begnügen
sich zur Not mit zweien. Dagegen wurde bei dem Gemeindezeugnis
eine gröſsere Zahl von Zeugen verlangt, nach fränkischem Rechte, wie
es scheint, mindestens sieben 43, nach einem italienischen Kapitularien-
fragment fünf bis sieben 44.

Der Zeuge hebt sich scharf vom Eidhelfer ab. Das Merkmal des
Zeugen ist Wissenschaft, Kenntnis des Beweisthemas und zwar Wissen-
schaft, die auf eigener Wahrnehmung beruht. Solche kann allerdings
unter Umständen der Eidhelfer haben; doch ist sie diesem nicht
wesentlich. Andererseits bleiben bei der Eideshilfe die Gründe der Über-
zeugung von der Wahrheit des Parteieides latent, wogegen dem Zeugen
charakteristisch ist, daſs er als Augen- und Ohrenzeuge schwört, indem
er sich auf die Wahrnehmung des Beweisthemas beruft 45. Der Zeugen-
eid ist nicht ein Folgeeid wie der der Helfer: er beteuert nicht die
Wahrheit des Parteieides, sondern das unmittelbare Beweisthema. Die
Eidesschelte trifft bei dem Eide mit Helfern den Hauptmann, nicht
den Helfer, bei dem Zeugnis dagegen den Zeugen, nicht den Zeugen-

36 Emsiger Pfenningschuldbuch § 27, Rh. Rqu. S. 201.
37 Lex Sal. 39, 2; 47, 2; 46; 56. Vgl. Ed. Chilp. c. 7.
38 Lex Rib. 50, 2.
39 Lex Burg. 99.
40 Lex Baiuw. XIII 2, XVI 2. Lex Baiuw. XVI 16 und Decr. Tassil. Din-
golf. c. 2, LL III 459, verlangen drei.
41 Lex Sax. 39.
42 Liu. 15.
43 Extrav. zur Lex Sal. B. 5: testes autem septem contra Francum sint.
Lex Rib. 69, 1. Pertz, Dipl. M. 78, v. J. 710 (12 Zeugen). Siehe die urkund-
lichen Belege aus dem achten und neunten Jahrhundert, die ich Schwurgerichte
S. 51, Anm. 5 zusammengestellt habe.
44 Cap. ital. c. 4, I 216: .. per quinque vel septem testimonia dicant suum
testimonium.
45 Lex Alam. 2, 1: ita testificentur, ut illi ad praesens fuissent et oculis suis
vidissent et auribus audissent .. Lex Baiuw. XVII 2: quia ego hoc meis auribus
audivi et oculis meis vidi, quod istius hominis prior opera fuit in isto agro quam
tua .. Pérard S. 36, Nr. 19, H. 217: nos vidimus Madaleno servire ad servo. Mé-
nard, Histoire de Nimes I 17, v. J. 915, H. 482: quod nos testes scimus et oculis
nostris vidimus et bene nobis cognitum est in veritate … Formel bei Schmid, An-
hang X, c. 8, S. 406 … swâ ic mid mînum êgum oferseâh and mînum eârum
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[397/0415] § 105. Der Zeugeneid. bewegliches Gut ein liegendes Erbe, bei dem Zeugnis um Fahrhabe ein ihrem Werte gleichkommendes Vermögen voraus 36. Die Zahl der Zeugen, die zu einem Zeugenbeweise erforderlich sind, schwankt in den verschiedenen Rechten. Das salische 37, das ribua- rische 38 und das burgundische 39 Recht begehren bei der Beweisführung durch Geschäftszeugnis und durch Öffentlichkeitszeugnis mindestens drei. Das bairische 40, das sächsische 41 und langobardische Recht 42 begnügen sich zur Not mit zweien. Dagegen wurde bei dem Gemeindezeugnis eine gröſsere Zahl von Zeugen verlangt, nach fränkischem Rechte, wie es scheint, mindestens sieben 43, nach einem italienischen Kapitularien- fragment fünf bis sieben 44. Der Zeuge hebt sich scharf vom Eidhelfer ab. Das Merkmal des Zeugen ist Wissenschaft, Kenntnis des Beweisthemas und zwar Wissen- schaft, die auf eigener Wahrnehmung beruht. Solche kann allerdings unter Umständen der Eidhelfer haben; doch ist sie diesem nicht wesentlich. Andererseits bleiben bei der Eideshilfe die Gründe der Über- zeugung von der Wahrheit des Parteieides latent, wogegen dem Zeugen charakteristisch ist, daſs er als Augen- und Ohrenzeuge schwört, indem er sich auf die Wahrnehmung des Beweisthemas beruft 45. Der Zeugen- eid ist nicht ein Folgeeid wie der der Helfer: er beteuert nicht die Wahrheit des Parteieides, sondern das unmittelbare Beweisthema. Die Eidesschelte trifft bei dem Eide mit Helfern den Hauptmann, nicht den Helfer, bei dem Zeugnis dagegen den Zeugen, nicht den Zeugen- 36 Emsiger Pfenningschuldbuch § 27, Rh. Rqu. S. 201. 37 Lex Sal. 39, 2; 47, 2; 46; 56. Vgl. Ed. Chilp. c. 7. 38 Lex Rib. 50, 2. 39 Lex Burg. 99. 40 Lex Baiuw. XIII 2, XVI 2. Lex Baiuw. XVI 16 und Decr. Tassil. Din- golf. c. 2, LL III 459, verlangen drei. 41 Lex Sax. 39. 42 Liu. 15. 43 Extrav. zur Lex Sal. B. 5: testes autem septem contra Francum sint. Lex Rib. 69, 1. Pertz, Dipl. M. 78, v. J. 710 (12 Zeugen). Siehe die urkund- lichen Belege aus dem achten und neunten Jahrhundert, die ich Schwurgerichte S. 51, Anm. 5 zusammengestellt habe. 44 Cap. ital. c. 4, I 216: .. per quinque vel septem testimonia dicant suum testimonium. 45 Lex Alam. 2, 1: ita testificentur, ut illi ad praesens fuissent et oculis suis vidissent et auribus audissent .. Lex Baiuw. XVII 2: quia ego hoc meis auribus audivi et oculis meis vidi, quod istius hominis prior opera fuit in isto agro quam tua .. Pérard S. 36, Nr. 19, H. 217: nos vidimus Madaleno servire ad servo. Mé- nard, Histoire de Nimes I 17, v. J. 915, H. 482: quod nos testes scimus et oculis nostris vidimus et bene nobis cognitum est in veritate … Formel bei Schmid, An- hang X, c. 8, S. 406 … swâ ic mid mînum êgum oferseâh and mînum eârum oferhŷrde þæt þæt ic him mid sæcge.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/415>, abgerufen am 22.11.2024.